Grasser-Affäre

Affäre: Family Business

Family Business

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Karl-Heinz Grasser war demonstrativ um gute Laune bemüht: „Langsam ist es ein Kompliment für mich, von der Opposition zum Angriffsziel Nummer eins gemacht zu werden“, scherzte der Finanzminister im Bundesrat, wo er Freitag vergangener Woche wieder einmal Fragen der SPÖ zur Affäre um seine private Homepage beantworten musste.

Was der Sonnyboy nicht wissen konnte: Zur selben Stunde wurde im Rechnungshof in der Wiener Dampfschiffstraße eine folgenschwere Entscheidung getroffen. Franz Fiedler, oberster Finanzkontrollor der Republik, wies seine Beamten an, die Causa Grasser unter die Lupe zu nehmen – jedenfalls jene Aspekte, für die er laut Gesetz zuständig ist.

Zitat aus dem Büro Fiedler: „Wir werden die Vorgänge in eine ohnehin schon geplante Prüfung einbeziehen.“ Hintergrund: In etwa zwei Wochen werden einzelne Abteilungen des Finanzressorts routinemäßig vom Rechnungshof gecheckt. „Es würde niemand verstehen, wenn just die aktuellen Unklarheiten ungeprüft blieben“, so die Erklärung: „Wir werden aber nicht personen-, sondern sachbezogen vorgehen.“

Schwere Vorwürfe. Was wiederum Rechnungshofpräsident Fiedler zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Wenige Minuten zuvor waren neue, schwere Vorwürfe gegen Karl-Heinz Grasser aufgetaucht.

In einer schriftlichen Stellungnahme hatte der Klagenfurter Rechtsanwalt Stephan Medwed erklärt, für Karl Grasser, den Vater des Ministers, bis 2001 treuhändig Aktien des Softwarehauses FirstInEx Internet Services AG im Wert von damals 880.640 Schilling (64.000 Euro) gehalten zu haben.

Grasser sen. war damit also an einer Firma beteiligt, die 2000 und 2001 zwei höchst lukrative Aufträge an Land gezogen hatte:

die aus Steuergeldern bezahlte Neugestaltung der offiziellen Homepage des Finanzministeriums (www.bmf.gv.at) und die aus Spenden der Industriellenvereinigung finanzierte Errichtung von Grassers inzwischen berühmter „New Economy“-Homepage (www.karlheinzgrasser.at).

Gesamtwert beider Aufträge: 2,39 Millionen Schilling oder 173.800 Euro.

Karl-Heinz Grasser, der schon geglaubt haben mag, er habe das Schlimmste hinter sich, gerät nun noch massiver unter Druck.

Am Montag vergangener Woche versuchte die ÖVP-Zentrale noch einmal lenkend in die aus dem Ruder laufende Affäre einzugreifen. An alle Minister-Sprecher erging per SMS die Direktive: „Bei Anfragen zu Homepages keine Auskunft.“
Das wird freilich nicht mehr viel nützen.

Jetzt geht es nicht mehr nur um Homepages, sondern um weit mehr. Der Umstand, dass der Vater des Finanzministers Anteile an einem Unternehmen hielt, dem sein Sohn fette Aufträge zukommen ließ, könnte Letzterem zum Verhängnis werden.

SPÖ-Finanzsprecher Christoph Matznetter: „Ich bin gegen Sippenhaftung. Aber woher wusste der Herr Kommerzialrat Grasser aus Klagenfurt, dass es sinnvoll sein könnte, sich an dieser Firma zu beteiligen, der so ein schöner Auftrag ins Haus stand?“

Die zeitliche Koinzidenz ist tatsächlich merkwürdig. Im November 2000 wurde FirstInEx nach einer „Ausschreibung“ mit der Neugestaltung der offiziellen Website des Finanzministeriums beauftragt. Kostenpunkt: exakt 820.770 Schilling (umgerechnet 59.649 Euro).

Als Vorstand der FirstInEx fungierte zu diesem Zeitpunkt ein alter Bekannter von Karl-Heinz Grasser: Dieter Jandl, Filius eines Klagenfurter ÖVP-Stadtrats und ehemaliger Klassenkamerad von KHG.

Grasser senior hatte sich fast zeitgleich mit der Auftragsvergabe direkt bei FirstInEx eingekauft. Über Rechtsanwalt Stephan Medwed – ebenfalls ein Klassenkamerad von KHG – hielt der Herr Papa 3200 Aktien des Unternehmens im Wert von damals 880.640 Schilling (64.000 Euro). Gelagert waren die Wertpapiere auf dem Depot Nummer 67.854.547 bei der Raiffeisen Landesbank Niederösterreich-Wien.

Sonderbare Seilschaften. Was bewog den honorigen Kommerzienrat und Autohändler aus Klagenfurt wohl, so viel Geld ausgerechnet in ein kleines Wiener IT-Unternehmen zu investieren?

Ein Unternehmen, das obendrein im Einflussbereich des skandalumwitterten Internetdienstleisters YLine Internet Business Services AG stand, an dem sein Sohn Karl-Heinz zu allem Überdruss bis zum Jahresende 2000 selbst beteiligt war?

FirstInEx wurde damals zu etwa 60 Prozent von YLine kontrolliert. Die weiteren Aktionäre: eine Schweizer Investmentgruppe namens Qino Flagship AG, hinter der niemand anderer als der frühere Börsenstar Mike Lielacher stand; die Beratergesellschaft Cap Gemini Ernst & Young; das Management um KHG-Amigo Dieter Jandl und Stephan Medwed als Treuhänder. Unter dessen Treugebern: Personen aus Jandls privatem Umfeld, Mitarbeiter und eben Karl Grasser.

Noch ehe die offizielle Homepage des Finanzministeriums im April ans Netz ging, wurde FirstInEx erneut kontaktiert. Diesmal von Karl-Heinz Grassers Pressesprecher Matthias Winkler.

Der beauftragte FirstInEx am 28. März 2001 namens des fünf Tage zuvor gegründeten „Vereins zur Förderung der New Economy“ mit der Erstellung einer ganz auf Karl-Heinz Grasser zugeschnittenen „Personality Website“.
Damit begann die eigentliche Homepage-Affäre, die inzwischen auch die Justiz- und Finanzbehörden beschäftigt.

Für die Erstellung dieser Webseite, finanziert aus Zuwendungen der Industriellenvereinigung, verpulverte Vereinsobmann Winkler in nicht ganz zwei Jahren 240.328 Euro – fast viermal so viel wie für die offizielle Homepage des Finanzministeriums und gleich zehnmal mehr, als etwa die Internetseiten des Bildungs- und Landwirtschaftsministeriums kosteten.

Winkler und dessen Chef, der bis heute die Rolle des „unbeteiligten Dritten“ mimt, werden nicht müde, die exorbitanten Kosten mit „wirtschaftlichen Problemen“ und „unbrauchbaren Leistungen“ von FirstInEx zu rechtfertigen, weshalb der Auftrag ein zweites Mal habe vergeben werden müssen.

Die Wahrheit ist eine andere: Winkler hat eine Reihe von Personen aus dem engsten Freundeskreis des Ministers nachgerade mit dem Geld der Industriellenvereinigung zugeschüttet:

Allein FirstInEx erhielt 114.163 Euro – bis zu jenem 3. Juli 2001, an dem KHG-Schulkollege Dieter Jandl als Vorstand völlig überraschend demissionieren musste. Mit Jandl verlor FirstInEx auch den Auftrag. Dieser wurde an Grassers Duz-Freund Peter Hochegger weitergereicht. Hocheggers Kommunikationsagentur „martrix“ bekam für die Finalisierung der Homepage noch einmal 105.362 Euro. Das Unternehmen eines weiteren Grasser-Spezis, des früheren FPÖ-Generalsekretärs Walter Meischberger, wurde für „konzeptive Tätigkeit“ ohne schriftliche Vereinbarung mit 20.802 Euro bedacht. Ein paar Tausender dürften auch für den KHG-Vertrauten und Kurzzeit-Pressesprecher Peter Schöndorfer herausgesprungen sein: für „redaktionelle Mitarbeit“ an der Homepage, als er noch Beamter der Kärntner Landesregierung war.

Inzwischen tobt unter den Beteiligten ein heftiger Streit darüber, wer denn nun welche Beträge wofür kassiert hat.

Der seit September 2001 amtierende FirstInEx-Vorstand Christoph Oßberger hat Winkler auf Schadenersatz geklagt. „Die Behauptung, FirstInEx sei pleite gewesen und habe deshalb nicht liefern können, ist schlichtweg eine Frechheit“, so Oßberger.

Hocheggers martrix wiederum will nach Jandls Ablöse ein „völlig verwahrlostes Konzept“ von FirstInEx vorgefunden haben. Und von martrix später beschäftigte Subunternehmer sollen für ihre Arbeit mit einem Bettel abgespeist worden sein: Ganze 18.000 Euro hat die Salzburger Werbeagentur COP für die Erstellung des gesamten Designs der „New Economy“-Website erhalten. 18.000 von 240.000.

Tatsache ist: Winklers Verein hat eine Reihe von Leistungen für die Homepage doppelt bezahlt: sowohl an FirstInEx als auch martrix.

Ein Beispiel: Für die Lieferung eines so genannten „Redaktionssystems“ (kurz: CMS) überwies der Verein FirstInEx 26.162 Euro. martrix ließ über den ihr nahe stehenden EDV-Dienstleister Lemon42 ein zweites CMS anschaffen. Winkler blechte dafür noch einmal 49.200 Euro.

Was mit dem CMS von FirstInEx passiert ist, bleibt unklar.

Fehler im System. martrix-Geschäftsführer Laszlo Jakabffy: „Ich habe dieses System nie gesehen.“ FirstInEx-Chef Oßberger: „Das System wurde funktionstüchtig geliefert und bezahlt.“ Vereinsobmann Winkler: „Das System hat existiert, wurde allerdings nicht übernommen, da es den Anforderungen nicht gerecht war.“

Winkler hat also anstandslos mehr als 26.000 Euro (360.000 Schilling) für etwas ausgegeben, das nach seinen eigenen Worten unbrauchbar war.

Als er FirstInEx am 24. August 2001 den Auftrag entzog, langte er noch einmal in die Kasse: FirstInEx erhielt als Gegenleistung für die vorzeitige Trennung 25.700 Euro. Als Abschiedsgeschenk sozusagen. Bezahlt aus den Spenden der Industriellenvereinigung. Im Gegenzug wurde der Vertrag „einvernehmlich“ gelöst (siehe Faksimile). Ziemlich viel Entgegenkommen für so viel Unzufriedenheit.

Die redaktionelle Betreuung von www.karlheinzgrasser.at liegt bei Winkler höchtselbst – und bei Fritz Simhandl. Der ist Vize-Obmann im „Verein zur Förderung der New Economy“, Schriftführer und nebenbei Referent im Finanzministerium. Winkler: „Sowohl Kollege Simhandl als auch ich haben Laptops und betreiben in unserer Freizeit via Redaktionstool die Page und pflegen die Inhalte. Personalkosten entstehen dadurch keine.“

Die Beteiligung von Vater Grasser an jenem Unternehmen, das sowohl vom Finanzministerium als auch vom „New Economy“-Verein Aufträge bekam, könnte sich jetzt fatal auswirken.

Schon einmal trat in Österreich ein Regierungsmitglied aus einem ähnlichen Grund zurück. Umweltministerin Marlies Flemming (ÖVP) nahm 1991 ohne Zögern ihren Abschied, nachdem bekannt geworden war, dass ihr Gatte, ein Filmproduzent, öffentliche Aufträge bekommen hatte. Vor dem Nationalrat begann sie ihre Rücktrittsrede mit dem Satz: „Ich habe gesündigt.“

Karl-Heinz Grasser spricht derzeit noch von einer Schmutzkübel-Kampagne.