Affäre: Importiert und kaserniert

Unternehmen lassen Ar-beitskolonnen einfliegen

Drucken

Schriftgröße

Wenn Wilhelm Pemberger, Betriebsratsvorsitzender und Aufsichtsrat der VoestAlpine Schienen GmbH, dieser Tage die Walzstraße des Werks in Donawitz besucht, fühlt er sich nach eigenen Worten oft wie „auf einem anderen Planeten“. Das liegt aber weniger daran, dass die mehr als 50 Jahre alte Industrieanlage gerade Stück für Stück auf den letzten Stand der Technik gebracht wird – sondern vielmehr an den Arbeitskräften, die dort neuerdings zugange sind.

Dick vermummt bibbern sie in der Morgenkälte, exotische Gestalten, die mit dem unter Metallern üblichen Universalgruß „Glück auf!“ nur wenig anfangen können. Pemberger könnte es allenfalls mit dem Wort „sawatdii“ versuchen: So sagt man in Thailand „Guten Tag“ ebenso wie „Guten Abend“ und „Auf Wiedersehen“.

Seit ein paar Monaten werkt bei der VA Schienen GmbH eine Arbeitskolonne aus Südostasien: Etwa 40 Thailänder sind im Auftrag des italienischen Anlagenbauers Danieli Construction International SpA mit der Erneuerung der Walzstraße beschäftigt, 70 weitere sollen bis Jahresende dazukommen. „Besonders in der Früh leiden sie unter der Kälte. Ich hoffe nur, dass sie im Dezember und Jänner die dann wirklich tiefen Temperaturen gut überstehen“, hat Pemberger kürzlich in der Betriebszeitung geschrieben.

Argwohn. Wirkliche Sorgen um die Thailänder macht sich die Gewerkschaft aber aus ganz anderen Gründen: Arbeiter aus einem Niedriglohnland, von einem ausländischen Unternehmen nach Italien geholt und dann hierzulande eingesetzt – das bedeutet mehr als nur einen Grund für Argwohn. Zumal aus den vergangenen Wochen Fälle aktenkundig sind, in denen Asiaten nach Österreich gekarrt und in Fabriken kaserniert wurden, um dort für den sprichwörtlichen Hungerlohn zu malochen.

Auf herbe Kritik des Arbeitsinspektors stießen zum Beispiel die Arbeitsbedingungen bei einem Unternehmen, das vor ein paar Wochen einen Auftrag im von den Wiener Stadtwerken betriebenen Kraftwerk Simmering abwickeln wollte. „Unhaltbare Zustände bei der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte“ hatte dem Arbeitsinspektorat dort ein Anrufer gemeldet. Und tatsächlich stießen die umgehend zur Nachschau ausgerückten Beamten auf Verhältnisse, die eher an ein chinesisches Arbeitslager denken ließen als an einen österreichischen Betrieb: Die SSU Montage und Demontage GmbH, ein in Linz domiziliertes Unternehmen, hatte direkt im Werk dutzende Südkoreaner und Indonesier einquartiert – unter fragwürdigen Bedingungen. Die angeblichen Spezialmonteure waren dafür abgestellt, einen Kraftwerksblock abzubauen. Als Schlafgelegenheit hatte die SSU Massenunterkünfte vorgesehen. Viel Zeit zum Rasten dürften die Asiaten ohnehin nicht gefunden haben. Das Arbeitsinspektorat stellte unter anderem die „Nichteinhaltung der Wochenendruhe“ und die „Überschreitung der zulässigen täglichen Arbeitszeit“ fest, beanstandete desolate elektrische Anlagen, nicht vorhandene Erste-Hilfe-Einrichtungen und das Fehlen eines Brandschutzsystems: „Sklavenarbeit“, wetterte die Gewerkschaft Metall-Textil in der Zeitschrift „Solidarität“.

Wenige Tage später in Linz: Dasselbe Unternehmen, ähnliche Verhältnisse, diesmal am Gelände der VoestAlpine Stahl GmbH. Auch dort waren Arbeiter im Einsatz, die von der SSU GmbH nach Österreich vermittelt worden waren – und zwar im Auftrag einer indonesischen Gesellschaft namens Pt. Srijaya Segara Utama.

Der Papierform nach hätte es eigentlich keinen Grund für Beanstandungen geben dürfen. Die Visa der „Spezialmonteure“, die in Linz eine Teerdestillationsanlage demontieren sollten, waren in Ordnung. Als Stundenlohn hatte die SSU GmbH gegenüber dem Arbeitsmarktservice (AMS) 10,15 Euro angegeben – und zudem versichert, sämtliche arbeitsrechtliche Bestimmungen einzuhalten.

Laufendes Verfahren. Die Wirklichkeit sah nach Beurteilung der Beamten der im Finanzministerium angesiedelten Einheit zur Kontrolle der illegalen Arbeitnehmerbeschäftigung (KIAB) anscheinend etwas anders aus. Diese protokollierten „wesentliche Verletzungen der Lohn- und Arbeitsbedingungen“. Glaubt man den Schilderungen der Indonesier selbst, dann mussten sie 62 Stunden in der Woche hackeln: Montag bis Freitag von 8 bis 19 Uhr, samstags von 8 bis 15 Uhr. Und zwar für einen durchschnittlichen Stundenlohn von 1,30 Euro. Die Differenz auf das Kollektivvertragsgehalt werde den Arbeitern in ihrer Heimat ausbezahlt, beteuerte SSU. Der offiziell „angeführte Betrag ist nicht zur Auszahlung gelangt“, heißt es hingegen in einem internen Aktenvermerk der KIAB, der profil vorliegt.

Die Arbeitskräfte dürften nach den bisherigen Ermittlungen nicht sozialversichert gewesen sein“, stellte ÖVP-Wirtschafts- und -Arbeitsminister Martin Bartenstein zudem in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung fest.

Schlafsäle, in denen ein Stahlrohrbett unmittelbar neben dem anderen stand, eine Art Sprinkleranlage als Dusche, eine winzige Küche: So hausten im stillgelegten „Sozialgebäude 26“ die insgesamt 73 Asiaten monatelang am Gelände der VoestAlpine Stahl GmbH. Um ihre anscheinend eher kargen Rationen aufzubessern, hatten sie daneben einen Hühnerstall gezimmert und einen Gemüsegarten angelegt.

Erich Krieger, bis 2003 Geschäftsführer und nunmehr Haupteigentümer der SSU Montage und Demontage GmbH, will keine Stellungnahme zu den Vorwürfen abgeben: „Das ist ein laufendes Verfahren. Wir werden zum gegebenen Zeitpunkt alles klarstellen.“

Weitere Erhebungen der Behörden ergaben, dass SSU seit 1998 regelmäßig um so genannte Entsendebewilligungen (siehe Kasten Seite 64) für ausländische Arbeitskräfte angesucht hat – zumeist mit der Begründung, diese würden für den Abbau und Abtransport von Industrieanlagen benötigt. Dabei arbeitete das Unternehmen immer wieder mit indonesischen Gesellschaften zusammen: etwa mit Baja Teknik Rekatama in Surabaya.

Das AMS dürfte in diesem Zusammenhang zumindest einmal stutzig geworden sein: Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums wurden bei dieser Gelegenheit gleich 40 derartige Anträge auf einen Schlag abgelehnt. Regelmäßige Kontrollen des Unternehmens unterblieben jedoch.

Dass Fälle wie jener in Linz wochenlang unbemerkt bleiben können, liegt auch am Amtsweg. Das AMS richtet sich bei der Prüfung zunächst danach, welche Informationen ihm vom jeweiligen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Bei den Anträgen der SSU GmbH wurde überprüft, ob die offiziellen Lohnangaben den Kollektivvertragsbestimmungen in Österreich entsprechen. Ergebnis: Sie tun es. Insofern habe es „keinen Anlass gegeben, die Richtigkeit der Angaben der SSU von vornherein infrage zu stellen“, so das Wirtschaftsministerium.

Gibt das AMS grünes Licht, geht wiederum die Fremdenpolizei erst einmal davon aus, dass alles in Ordnung ist. Vereinfacht gesagt, lautet das Prinzip folgendermaßen: Wer eine Entsendebewilligung hat, ist legal im Land, hat eine Beschäftigung und damit auch eine – zumindest befristete – Aufenthaltserlaubnis. Nur bei konkreten Hinweisen darauf, dass all dem nicht so ist, werden die Behörden aktiv. Dann beginnt die KIAB damit, die Richtigkeit der Angaben zu überprüfen.

„Die Causa SSU ist sicher nicht die einzige ihrer Art“, sagt Franz Riepl, SPÖ-Abgeordneter und Zentralsekretär der Metallergewerkschaft. Er befürchtet, dass möglicherweise auch mit den thailändischen Hilfskräften, die auf dem Gelände der VA Schiene GmbH in Donawitz tätig sind, ein ähnliches Spiel gespielt werde.

Vorschriften. Der dortigen Geschäftsführung dürfte anfangs ebenfalls nicht ganz wohl bei der Sache gewesen sein. In einem Schreiben an Danieli aus dem vergangenen Juli heißt es: „Aus gegebenem Anlass bringen wir Ihnen nochmals die geltenden österreichischen Rechtsvorschriften hinsichtlich der Beschäftigung von Ausländern … zur Kenntnis.“ Zudem ersucht die VoestAlpine Schienen GmbH ihren Auftragnehmer, „umgehend zu bestätigen, dass für die von Ihnen entsandten Mitarbeiter die gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere hinsichtlich der Entgeltvorschriften, erfüllt werden“.

Hintergrund dieser Besorgnis dürfte der Umstand sein, dass Danieli seine Zahlungen nicht direkt an die Thailänder, sondern über einen Paying Agent abwickelt. Wer kann da schon kontrollieren, ob die Arbeiter tatsächlich das in die Hand bekommen, was ihnen der italienische Anlagenbauer eigenen Angaben zufolge zahlt – ein Gehalt nämlich, das um 15 Prozent über dem österreichischen Kollektivvertragslohn liegt? Was wiederum die Frage aufwirft, warum sich Danieli dann ausgerechnet Monteure aus einem 8000 Kilometer entfernten Land einfliegen lässt, in dem ein Fabriksarbeiter im Schnitt umgerechnet 120 Euro pro Monat verdient.

Bewilligung. Die Thailänder seien immerhin bereit, auch „während der Monate zu arbeiten, die für Europäer Ferienzeit sind“, begründet Ferdinando Tedesco, Präsident der Danieli Construction International SpA, die Vorteile asiatischer Arbeitskräfte (siehe Interview).

„Danieli Construction International SpA hat sich nichts vorzuwerfen“, heißt es aus der Kanzlei Eiselsberg Natlacen Walderdorff Cancola, die das Unternehmen in Österreich vertritt. „Alle angeforderten Unterlagen wurden den Behörden vorgelegt. Sämtliche Anträge auf Erteilung der EU-Entsendebestätigungen und Aufenthaltserlaubnisse sind nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen bewilligt worden.“ Und was die Bezahlung betrifft: „Die Lohnstreifen wurden den österreichischen Behörden übermittelt, die diesbezügliche Überprüfungen durchgeführt haben. Das sind offizielle Dokumente“, so Danieli-Construction-Chef Tedesco.

Tatsächlich haben sowohl das AMS als auch das Arbeitsinspektorat und die KIAB die Arbeitsbedingungen und die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen in Donawitz bereits mehrfach penibel überprüft – ohne bislang einen Grund für Beanstandungen zu finden. Auch beim Fröschlwirt am Ortsende von Donawitz, wo die Arbeiter aus Fernost Quartier bezogen haben, fand eine Begehung statt. Dort wird seit Neuestem thailändisch gekocht, an der Tür der Gastwirtschaft lehnt ein Sack Reis.

Die Thailänder werden also hier bleiben und weiterarbeiten können, bis das Schienen-Walzwerk in Donawitz im Jänner fertig gestellt ist.

Jene Koreaner und Indonesier, die über Vermittlung der Linzer SSU GmbH ins Land geholt wurden, haben es wohl in jeder Hinsicht schlechter erwischt. Sie wurden mittlerweile zwar in halbwegs anständige Unterkünfte verlegt. Gleichzeitig hat das AMS aber ihre Entsendebewilligungen zurückgezogen und auch einer Berufung des Unternehmens nicht stattgegeben. Nunmehr wurden den Arbeitern von der Fremdenpolizei die Ausweisungsbescheide zugestellt. Ein Teil der Männer hat Österreich bereits verlassen, für die anderen sind die Flüge bereits gebucht.

Aber noch bis vor Kurzem, heißt es in Linz, seien einige von ihnen bei der Arbeit am Voest-Gelände gesehen worden.

Von Josef Redl und Martin Staudinger