Affäre: Knüppel aus dem Sack

Der Meinl-Skandal wird zum Kriminalfall

Drucken

Schriftgröße

Dementi, das. Abgeleitet vom französischen „démentir“. Das Fremdwörterbuch versteht darunter den Widerruf, die Ableugnung oder auch die Richtigstellung einer Nachricht. Nicht zu verwechseln mit Dementia. Die steht nämlich für Geistesschwäche, Unsinnigkeit oder schlicht: Schwachsinn.

Vor mittlerweile drei Monaten ist der Skandal um verheimlichte Wertpapierrückkäufe bei der börsennotierten Immobiliengesellschaft Meinl European Land Ltd., kurz MEL, aufgeflogen. Drei Monate, in denen der Öffentlichkeit eines sehr deutlich gemacht wurde: Der Grat zwischen Dementi und Dementia ist ein schmaler.

profil hat die Vorgänge in und um die Gesellschaft gleichsam seit dem ersten Tag ausführlich wie kritisch beleuchtet. Und sah sich nicht nur einmal harschen Dementis ausgesetzt.

Am 10. September etwa berichtete profil erstmals davon, dass nach MEL auch die ihr nahestehende Meinl Bank Besuch von den Finanzaufsichtsbehörden bekommen werde. Das wurde noch am Tag des Erscheinens von allen Seiten in Abrede gestellt – ehe die Oesterreichische Nationalbank nur sieben Tage später eine Sonderprüfung der kleinen Wiener Privatbank in Angriff nahm. Am 8. Oktober stand hier zu lesen, dass die Finanzmarktaufsicht (FMA) von Meinl European Land zu einem sehr frühen Zeitpunkt über Wertpapierrückkäufe informiert worden war. Auch hier: erst das totale Dementi, kurz darauf die zumindest teilweise Bestätigung. Und die aus Sicht von Bankier Julius Meinl V. wohl unangenehmste Enthüllung wurde überhaupt als maßlose Übertreibung abgetan. Bereits am 23. September hatte profil von anlaufenden Untersuchungen der Justiz gegen den Bankier berichtet.

Seit Freitag, 23. November 2007, ist auch das amtlich. Die Staatsanwaltschaft Wien, vertreten durch den Leiter der Wirtschaftsgruppe Karl Schober, hat nach mehrwöchigen intensiven Investigationen formell gerichtliche Vorerhebungen gegen Julius Meinl V. wegen des Verdachts des Betrugs, der Untreue und der Täuschung eingeleitet. „Ich kann bestätigen, dass wir einen entsprechenden Antrag bei Gericht eingebracht haben“, so Staatsanwalt Gerhard Jarosch, Sprecher der Anklagebehörde. Die richterliche Genehmigung, ein reiner Formalakt, dürfte noch im Laufe dieser Woche, spätestens Mitte Dezember vorliegen.

Andere Baustelle. Der Auslöser der behördlichen Maßnahmen steht nur mittelbar in Zusammenhang mit dem MEL-Skandal. Bereits Anfang August war der Staatsanwaltschaft die anonyme Anzeige eines Privatanlegers zugegangen, der anlässlich des Börsengangs der Energiegesellschaft Meinl International Power (MIP) im Juli so genannte Zertifikate erworben hatte und anschließend wie alle anderen Anleger auch herbe Kursverluste verkraften musste (siehe Faksimile). Für MIP sind auch Meinls Kompagnon und Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser sowie der frühere Verbund-Chef Hans Haider tätig. Die drei Herren werden in der Anzeige namentlich genannt, tatsächlich aber konzentriert sich die Staatsanwaltschaft jetzt auf Julius Meinl V. und die Vorgänge bei Meinl European Land. „Letztlich hätte es keiner Anzeige bedurft“, präzisiert Staatsanwalt Jarosch, „da möglicherweise strafrechtlich relevante Tatbestände gegeben sind, hätten wir auch von uns aus Ermittlungen aufgenommen.“

Meinl V. will dazu nichts sagen. Dessen Sprecher Herbert Langsner: „Kein Kommentar.“ Für die Beteiligten gilt bis zu einer allfälligen rechtskräftigen Verurteilung ausnahmslos die Unschuldsvermutung.

Die Aufarbeitung des MEL-Skandals tritt damit in eine heiße Phase. Die Finanzmarktaufsicht hat in den vergangenen Wochen bereits mehrere Strafbescheide gegen Manager der Immobiliengesellschaft und der Meinl Bank wegen Irreführung der Anleger erlassen. Ermittlungen wegen mutmaßlichen Insiderhandels, Marktmanipulation und Verletzung der Publizitätspflichten sind anhängig; die Nationalbank ist ihrerseits nach wie vor mit der Prüfung der Meinl-Bank-Bücher befasst, der Abschlussbericht könnte noch vor Jahresende vorliegen. Und jetzt eben die Justiz (siehe auch Kasten: Das Sündenregister).

Wie profil in Erfahrung bringen konnte, war die Einleitung gerichtlicher Vorerhebungen, also das Beiziehen eines Untersuchungsrichters, notwendig geworden, weil die Staatsanwaltschaft nur so an die Erkenntnisse und Berichte von FMA und Nationalbank gelangen kann. Was auf den Ernst der Lage schließen lässt. Die Anklagebehörde bleibt vorsichtig. „Wir werden die Aktenlage sehr genau studieren und dann entscheiden, wie wir weiter verfahren“, sagt Jarosch. Von einer Einstellung bis zur Anklage sei „alles möglich“.

Der Sachverhalt ist vor allem deshalb komplex, weil Julius Meinl V. bei Meinl European Land keinerlei Funktion bekleidet (wie übrigens auch bei den anderen beiden Gesellschaften Meinl Airports International und Meinl International Power). Der Bankier ist in den vergangenen Woche nicht müde geworden, seine Rolle zu relativieren. „Ich führe eine Bank und kein Immobiliengeschäft. Daher konnte die Meinl Bank den Zertifikatsankauf weder anordnen noch orchestrieren“, so Meinl V. gegenüber profil Anfang September (Nr. 36/07). Als gesichert gilt aber, dass Meinl V. so etwas wie der geistige Vater des gesamten Konstrukts ist. In den Gremien aller Gesellschaften sitzen entweder Vertrauensleute oder Angestellte der Meinl Bank. De facto läuft im Meinl-Komplex nichts ohne die Zustimmung des Bankiers. Auch die klandestine Rückkaufaktion bei MEL soll zunächst über seinen Schreibtisch gegangen sein.

Wie ausführlich berichtet, hat Meinl European Land zwischen April und August insgesamt 88,8 Millionen eigener Wertpapiere, so genannte Zertifikate auf Aktien, über die Meinl Bank zurückkaufen lassen und dafür 1,8 Milliarden Euro Anlegergeld eingesetzt – hinter dem Rücken der Öffentlichkeit. Mehr noch: Die Papiere wurden ausnahmslos teuer gekauft.

Gepflegte Kurse. Ab dem Frühjahr zeigten Immobilienaktien im Lichte steigender Zinsen weltweit erste Anzeichen von Schwäche. In Niedrigzinsphasen sind die Titel besonders gefragt, da sie von der Papierform her als solide Wertanlage gelten. Da das Ertragspotenzial aber nach oben beschränkt ist – die Renditen im europäischen Immobiliengeschäft liegen je nach Markt zwischen drei und sechs Prozent –, verlieren die Aktien bei steigenden Zinsen an Attraktivität. Verschärft wurde der Trend noch durch den sommerlichen Crash des US-Hypothekenmarktes. Meinl European Land? Blieb ungerührt. Während die Mitbewerber an den Börsen teils herbe Verluste einstecken mussten, pendelten die MEL-Papiere zwischen April und Juli um den historischen Höchststand von 21,33 Euro. Was im Rückblick nicht weiter verwundert. Bis einschließlich 30. Juni kaufte MEL 52,3 Millionen eigene Zertifikate zu einem Durchschnittskurs von 20,78 Euro, bis Ende August kamen weitere 36,5 Millionen Stück zu durchschnittlich 19,93 Euro hinzu. Und das, obwohl der Börsenkurs in dieser zweiten Phase bereits deutlich nachzugeben begann. Ende Juli etwa hielten sich die Zertifikate bei gerade noch 18 Euro, ab Anfang August waren kaum mehr als 17 Euro zu erzielen (siehe Chart).

Die Finanzmarktaufsicht hegt in diesem Zusammenhang den Verdacht der Marktmanipulation, weil der MEL-Wert durch die Transaktionen zumindest vorübergehend künstlich hochgehalten worden sein könnte. Dabei handelt es sich allerdings nur um eine Verwaltungsübertretung, die mit höchstens 50.000 Euro geahndet wird.

Fantasiepreise. Der daraus abgeleitete und möglicherweise auch strafrechtlich relevante Aspekt: MEL hat eigene Wertpapiere zum Teil deutlich über dem so genannten Net Asset Value (NAV), zu Deutsch: Netto-Inventarwert oder auch Netto-Vermögen, erstanden. Der NAV ist bei Immobilienwerten gleichbedeutend mit Substanzkraft und gilt als wesentlicher Parameter zur Bestimmung der Bonität. Sehr vereinfacht gesagt steht der Netto-Inventarwert für den Wert einer Immobilie abzüglich der darauf lastenden Verbindlichkeiten. Die in Zentral- und Osteuropa verankerte Immobiliengruppe MEL wies zuletzt einen Nettovermögenswert von insgesamt 3,2 Milliarden Euro aus – das entsprach rund 15 Euro je börsennotiertem Zertifikat.

Nur: Zwischen April und August hatte MEL eigene Papiere zum Preis von rund 20 Euro das Stück gekauft, also jeweils etwa fünf Euro über dem NAV. Macht bei 88,8 Millionen Zertifikaten rechnerisch 444 Millionen Euro zu viel. Das wäre etwa so, als würde man ohne jede Not ein Fahrzeug deutlich über dessen Listenpreis kaufen – noch dazu mit fremdem Geld.

Der Netto-Inventarwert einer Immobilie ist, wie auch der Listenpreis eines Automobils, naturgemäß eine Momentaufnahme. Der Wert kann je nach Objekt steigen – oder fallen.

Meinl wäre nicht Meinl, hätte man sich nicht kreativer Buchführung bedient, um dem Dilemma beizukommen. Der jüngst veröffentlichte Quartalsbericht von MEL listet – zur kollektiven Verwirrung – erstmals zwei Nettovermögenswerte auf. Einer auf Basis des Marktwerts bestehender Immobilien: unverändert 15 Euro je Zertifikat. Und einer auf Basis „signifikanter Entwicklungsprojekte und Grundstücke, die zuvor nicht in die Kalkulation der Gesellschaft eingeflossen sind“. Und siehe da: Diese zweite Berechnung spuckte einen NAV von 21 Euro aus. Zufall oder nicht: Der Wert liegt um Haaresbreite über jenem Kurs, zu dem die Zertifikate im Sommer zurückgekauft wurden.

Gegenoffensive. Es ist mehr als fraglich, ob sich die Behörden von derart durchsichtigen Manövern ablenken lassen werden.

Die weiteren Ermittlungen versprechen jedenfalls Kurzweil. Am Donnerstag vergangener Woche wagte sich Meinls Anwalt Christian Hausmaninger, ganz nebenbei auch Rechtsberater des im Bawag-Prozess angeklagten Investmentbankers Wolfgang Flöttl, mit durchaus bemerkenswerten Äußerungen an die Öffentlichkeit. In einem kurzfristig arrangierten Pressegespräch bezeichnete er das Vorgehen der FMA „sorgfaltswidrig“, „grob fahrlässig“ sowie „medien- und aktionsgetrieben“ – und kündigte im Namen seines Mandanten Julius Meinl V. eine Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich an.

Von ehrlichem Bemühen um lückenlose Aufklärung oder gar Einsicht war nichts zu bemerken. In Hausmaningers Fall ist das auch nicht weiter verwunderlich. Der verschachtelte Meinl-Komplex wurde zu einem nicht unwesentlichen Teil von ihm selbst konzipiert. Kippt die Konstruktion, wäre das der Reputation seiner Kanzlei nicht eben zuträglich.

Stellvertreterkrieg. Julius Meinl V. zog es einmal mehr vor, öffentlich nicht in Erscheinung zu treten. Er geht wohl immer noch davon aus, dass er selbst zu all dem nichts sagen muss, weil er in keinem MEL-Gremium vertreten ist. Nun sind aber auch die fünf MEL-Manager seit Wochen auf Tauchstation. Also werden „Kapitalmarktbeauftragte“, Pressesprecher und Rechtsberater zwecks einschlägiger Öffentlichkeitsarbeit vorgeschoben. Dass auch diese Herren ausnahmslos keine Organfunktion bei MEL bekleiden, scheint da kaum noch ins Gewicht zu fallen.

Der Grat zwischen Dementi und Dementia ist, wie gesagt, ein schmaler.

Von Michael Nikbakhsh