Karl-Heinz Grasser: Marke mit Makel

Affäre: Marke mit Makel

Grassers Image in der Bevölkerung ist ramponiert

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Die Aufmerksamkeit des Bundespräsidenten war Mittwochvormittag vergangener Woche im Parlament nicht immer ungeteilt. Mal plauderte Heinz Fischer mit seinen hinter ihm sitzenden Mitarbeitern, mal ließ er seinen Blick von seiner Loge aus über den Plenarsaal schweifen. Doch die meiste Zeit lauschte er wie auch Nationalbank-Gouverneur Klaus Liebscher der insgesamt sechsten Budgetrede, die Finanzminister Karl-Heinz Grasser von der Regierungsbank aus hielt. Abseits knallharter Zahlen, Daten und Fakten wartete Grasser auch mit allgemeinen volkswirtschaftlichen Weisheiten auf: „Subjektives Empfinden, Stimmung, die Antwort auf die Frage – „Wie geht es mir?“ – sind sehr wichtig, weil Wirtschaft immer auch eine Frage der Psychologie ist.“

Karl-Heinz Grasser dürfte Fragen nach dem persönlichen Befinden vergangene Woche mit „Danke, bestens!“ beantwortet haben. Am Montag hatte die Staatsanwaltschaft Wien offiziell bekannt gegeben, das Verfahren gegen den Finanzminister in der Homepage-Affäre einzustellen. „Die Gerechtigkeit hat gesiegt“, meinte der Minister. Die „beispiellose Schmutzkübelkampagne“ der Opposition richte sich von selbst, von den Anschuldigungen sei nichts übrig geblieben.

Zumindest medial wurde Grasser trotz des Persilscheins der Staatsanwaltschaft zur Rechenschaft gezogen: „KHG ist zwar aus der unmittelbaren Schusslinie, aber nicht aus der politischen Verantwortung“, kommentierte der „Kurier“. Die „Salzburger Nachrichten“ stellten die Frage, „was in einem Finanzminister vorgeht, der sich steuerfrei von einer Lobbyisten-Organisation subventionieren lässt“. Das abschließende Verdikt des „Standard“ fiel kurz und harsch aus: „Die Politmoral ist auf ihrem Tiefpunkt angelangt.“

Imageproblem. Beim zweiten politischen Höhepunkt der Woche lief Grasser nicht wie gewohnt zur Höchstform auf. Zwar locker, aber relativ emotionslos las er seine Budgetrede vom Blatt ab. Die Zeiten, als Nationalratspräsident Andreas Khol den jungen Minister nach absolvierter Pflicht mit einem anerkennenden „Brillant, Karl-Heinz“ belobigte, sind vorbei. Diesmal fiel selbst die Gratulation durch Wolfgang Schüssel gemäßigt aus: ein Händedruck, das war’s. Zur leidigen Homepage-Causa gab der Bundeskanzler in der Vorwoche keinen öffentlichen Kommentar ab.

So hilfreich Grassers blendende Imagewerte im Nationalratswahlkampf 2002 waren, so gewagt wäre aus heutiger Sicht der Versuch der Volkspartei, Grasser wieder als Werbeträger einzusetzen. Der Klagenfurter Politologe Peter Filzmaier: „Grassers Imageschaden ist nachhaltig und mittelfristig nicht ausgleichbar. Einst war er unter den Top drei in der Politik, beliebt bei Jung und Alt, nun liegt er im Mittelfeld.“ Und er polarisiert. Filzmaier: „Grasser hat überzeugte Anhänger und überzeugte Gegner. Das macht ihn für eine strategische Verwendung im Wahlkampf gefährlich.“ Denn eine Grundregel politischer Werber lautet: Sei es ein Thema oder eine Person – wenn etwas polarisiert, Finger weg!

In den jüngsten Politiker-Beliebtheitsranglisten ist der Kärntner weiter abgerutscht. Laut einer Umfrage des Linzer market-Instituts für profil sind 56 Prozent der Österreicher der Ansicht, Grasser könne der ÖVP bei den nächsten Wahlen nicht mehr so viel Stimmen bringen wie im Jahr 2002. Besonders drastisch ist Grassers Absturz bei den besser Gebildeten. Zwei Drittel der Österreicher mit Matura glauben, der Finanzminister eigne sich nicht mehr als Zugpferd für die ÖVP. Das Fazit: Marken- und Marktwert Grassers sind deutlich gesunken.

Lustlosigkeit. Grassers eigene Lust an der Politik scheint in den vergangenen Monaten ebenfalls etwas gesunken zu sein. Aus ÖVP-Kreisen ist zu vernehmen, dass der frühere Wonneproppen nicht mehr ganz so selbstbewusst wirkt und auftritt. Dennoch geht man davon aus, dass Grasser bis zum Ende der Legislaturperiode durchdienen wird. Konkrete Hinweise auf einen baldigen Abschied des einstigen Angestellten bei Frank Stronachs Magna-Konzern in Richtung Privatwirtschaft liegen nicht vor, auch wenn sich derartige Gerüchte hartnäckig halten. So wurde aufmerksam registriert, dass sich Grasser kürzlich beim Nobelitaliener Fabio’s in der Wiener Innenstadt mit einem der größten Industriellen Österreichs traf: Stanislaus Turnauer, 34, Vorstand und Erbe der Constantia-Industriegruppe.

Von vielen führenden ÖVP-Funktionären wird Grasser, immerhin kooptiertes Mitglied im schwarzen Parteivorstand, eher toleriert als geschätzt. Zu viele Eskapaden hat sich der frühere Sonnyboy geleistet, vom nicht gemeldeten Aktienbesitz über die Homepage-Affäre bis zur jüngsten Aufregung um das Upgrading für sich und seine Verlobte beim Flug auf die Malediven. Im Wirtschaftsbund der Volkspartei, der gern den Alleinvertretungsanspruch für kleinere und mittlere Unternehmen in Österreich erhebt, sorgt Grassers wiederholtes Auftreten als Schutzpatron des heimischen Mittelstands für wenig Begeisterung. Und auch die Industriellenvereinigung war von Grassers Handling der Spendenaffäre wenig begeistert. Die schwarzen Arbeitnehmervertreter vom ÖAAB liefern sich mit dem Finanzminister ohnehin regelmäßig Scharmützel, und die ÖVP-Landeshauptleute empören sich bisweilen über dessen Auftreten. Vor allem im Umgang mit Oberösterreichs Josef Pühringer soll es Grasser am nötigen Respekt mangeln. Wolfgang Schüssel scheint dennoch bis auf Weiteres beharrlich hinter seinem Minister zu stehen.

In Grasser ehemaliger Partei FPÖ, die derzeit mit eigenen Personalproblemen zu kämpfen hat (siehe Seite 13), begegnet man dem Abtrünnigen mit einer Mischung aus Distanz und Gleichgültigkeit. Der allgemeine Tenor vom Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider abwärts: „Grasser ist nicht unser Problem, sondern das der Volkspartei.“

FPÖ-Generalsekretär Uwe Scheuch stellt die Charakterfrage: „Inwieweit Grasser in der Öffentlichkeit reingewaschen ist, kann ich nicht beurteilen. Ich meine aber, dass die ganze Sache der Reputation und Vorbildwirkung eines Finanzministers nicht zugute gekommen ist.“

Lahme Ente. Grassers Verteidigung gegen die Angriffe der Opposition nach der Einstellung des Verfahrens musste Reinhold Lopatka übernehmen. Der ÖVP-Generalsekretär ermahnte Rot und Grün, „Respekt vor dem Rechtsstaat“ zu zeigen. Vor der Person Karl-Heinz Grasser haben die Oppositionsvertreter – so scheint’s – den Respekt jedoch verloren. Der grüne Abgeordnete Peter Pilz: „Ich bin überzeugt, dass Grasser für Schüssel der beste Finanzminister aller Zeiten ist. Grasser ist völlig von ihm abhängig und tut, was Schüssel will. Bildlich gesprochen: Grasser ist der Schlittschuh, Schüssel der Läufer.“ Und der Budgetsprecher der SPÖ, Christoph Matznetter, sieht in Grasser mittlerweile ein Atout für die Opposition: „Wir sind dafür, dass er Finanzminister bleibt. Eine lahme Ente sollte man nicht aus ihrem Teich holen.“

Grasser selbst scheint sich in den vergangenen Monaten bewusst etwas zurückgenommen zu haben. Bei seiner vorwöchigen Budgetrede verzichtete der Finanzminister auf keck eingestreute Werbeslogans à la „Der Speck muss weg“ oder „Ein guter Tag beginnt mit einem sanierten Budget“. Zu viel Scheinwerferlicht und Selbstbeweihräucherung tut Grassers ramponiertem Ruf in dieser Situation nicht allzu gut. Der Politologe Peter Filzmaier sieht darin ein wohl kalkuliertes Manöver: „Um sein Image halbwegs wieder aufzubauen, ist Grasser jetzt zur sorgsamen Nichtübertreibung verpflichtet.“ Zusatz: „Aber bis zur nächsten Wahl geht sich eine Imagekorrektur sicher nicht mehr aus.“ Für Filzmaiers Kollegen Fritz Plasser hat der Finanzminister beim persönlichen Krisenmanagement versagt: „In bestimmten Phasen dieser seit eineinhalb Jahren laufenden Causa war Grasser mehr als überfordert, hat betrübt gewirkt, hat widersprüchlich, nicht professionell reagiert. Von der Kommunikation her hat er das Falsche gemacht.“ Um die negativen Effekte zu mildern, müsste der Minister jetzt „mit Kompetenz“ überzeugen.

Mittwoch im Parlament zeigte Grasser zumindest in eigener Sache das richtige Gespür. In der vorab verteilten schriftlichen Version seiner Budgetrede war von „noch mehr Konsequenz im Kampf gegen die Steuerhinterziehung“ zu lesen. Weil: „Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Es ist Diebstahl an der Allgemeinheit.“ In seiner Rede, der von der Galerie auch Natalia Corrales-Diez, die Verlobte des Ministers, lauschte, zog es Karl-Heinz Grasser dann allerdings vor, auf diese Sätze zu verzichten.