Affäre um das US-Wertpapierhaus Refco

Affäre: No Future

Der Skandal zieht Kreise bis nach Österreich

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Er galt als einer der Besten seiner Zunft. Gesegnet mit all den Attributen, die knallharte Wall-Street-Broker adeln. Cool, eitel, wendig und unbeschreiblich geldgeil. Einer, der aus allem Kohle machen konnte: Aktien, Anleihen, Schweinebäuche, Soja, Orangensaftkonzentrat. Seine Freunde, mehr noch seine Feinde, nannten ihn ehrfurchtsvoll „The Closer“. Weil er am Ende des Tages oftmals die Deals in der Tasche hatte, bei denen andere gezaudert hatten.

Phillip R. Bennett war der Mann, der andere, wie auch sich selbst, reich gemacht hatte – der Junge, auf den Mama mächtig stolz sein konnte.

Am Dienstagabend vergangener Woche wurde der 57-jährige Brite, Chef und Großaktionär des New Yorker Wertpapierhandelshauses Refco Inc., auf Betreiben von US-Staatsanwalt Michael Garcia in New York verhaftet – und erst gegen eine selbst erlegte Kaution von fünf Millionen Dollar sowie Bürgschaften von Freunden und Familie über weitere 50 Millionen Dollar wieder auf freien Fuß gesetzt.

Bennett steht nach vorläufigen Erkenntnissen der US-Behörden im Verdacht, die Bücher des auf den Handel mit so genannten Futures – eine Art Wette auf die Kurs- und Preisentwicklung von Waren, Währungen oder Zinsen – spezialisierten Hauses manipuliert zu haben, um horrende und vermutlich uneinbringliche Außenstände von Refco-Kunden zu kaschieren.

Die mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten waren im Gefolge einer internen Revision der Refco-Konten am Tag zuvor öffentlich geworden. Die Buchprüfer waren zu ihrem Entsetzen auf unerklärliche Forderungen gestoßen, die Refco an eine private Gesellschaft von Bennett hatte – in der Höhe von nicht weniger als 430 Millionen Dollar (359 Millionen Euro).

Noch am 10. Oktober musste Bennett den Hut nehmen, die Gesellschaft schaltete die zuständigen US-Börsenaufsichtsbehörden Securities and Exchange Commission (SEC) und Commodity Futures Trading Commission (CFTC) sowie die Justiz ein. „Es ist davon auszugehen, dass die Forderungen an eine von Bennett kontrollierte Einheit in Zusammenhang mit Verpflichtungen unbekannter Dritter stehen, die wahrscheinlich uneinbringlich sind“, teilte Bennetts langjähriger Stellvertreter und Partner William M. Sexton der SEC am 10. Oktober in einer Stellungnahme mit. Sextons erschütterndes Resümee: Den Jahresabschlüssen der – seit wenigen Monaten börsenotierten – Refco Inc. und ihrer Tochtergesellschaften sei jedenfalls für die Jahre 2002, 2003, 2004 und 2005 „kein Vertrauen“ mehr zu schenken.

Seither haben sich die Ereignisse in New York förmlich überschlagen: Bennett wurde verhaftet, die erst im August 2005 an die New Yorker Börse gebrachte Refco-Aktie stürzte ins Bodenlose – und Ende der Woche musste Refco, nachdem Kunden und Banken in großem Stil Gelder abzogen und das Unternehmen somit von der für Finanzgesellschaften lebensnotwendigen Verfügbarkeit liquider Mittel abschnitten, den Geschäftsbetrieb bei zwei wesentlichen Tochtergesellschaften vorübergehend einstellen. Die betroffenen Kundenkonten wurden bis zur restlosen Klärung der näheren Umstände gesperrt. Die Gruppe war nach eigenen Angaben zuletzt für 200.000 Kunden an Börsen und Terminmärkten in 14 Ländern tätig. Das jährlich über Refco abgewickelte Handelsvolumen an Devisen- und Warentermingeschäften beträgt viele Billionen Dollar.

Es lässt sich vorerst nicht annähernd ermessen, ob und in welchem Ausmaß Bennett sein eigenes Unternehmen geschädigt hat. Die fehlenden 430 Millionen Dollar hat er zwar noch vergangene Woche dank eines generösen Kredits einer nicht näher genannten „europäischen Bank“ refundiert. Dem Vernehmen nach dürfte das Ausmaß der bislang unentdeckten und mutmaßlich uneinbringlichen Forderungen an Kunden des Hauses aber weit darüber liegen. In US-Medien war Ende vergangener Woche bereits unverhohlen von einem zweiten „Fall Enron“ und dem drohenden Kollaps der 1969 gegründeten Refco-Gruppe die Rede. Laut einer Einschätzung der international tätigen Ratingagentur Standard & Poor’s ist es inzwischen „ziemlich unwahrscheinlich“, dass Refco seinen Zahlungsverpflichtungen zeitgerecht nachkommen kann. Das Rating der Gruppe wurde vorsorglich auf „CC“ gesetzt – also in etwa das Niveau argentinischer Staatsanleihen.

Spuren nach Wien. Die von den Refco-Headquarters ausgehenden Erschütterungen – das Unternehmen residiert an der Adresse One World Financial Center in unmittelbarer Nachbarschaft von Ground Zero, wo vor vier Jahren die Zwillingstürme des World Trade Center zusammenstürzten – dürften auch 6800 Kilometer weiter östlich mit einiger Besorgnis registriert worden sein – in der Wiener Seitzergasse 1–4, Sitz der Bank für Arbeit und Wirtschaft, 100-prozentige Tochter des Österreichischen Gewerkschaftsbundes.

Laut Telefonprotokollen, die von der US-Justiz beschlagnahmt wurden, wollte Bennett die Vereinigten Staaten von Amerika unmittelbar nach seiner Demission Richtung Europa, genauer: nach Wien, verlassen. Weshalb Staatsanwalt Michael Garcia wegen akuter Fluchtgefahr einen Haftbefehl erließ.

Die Wiener Gewerkschaftsbank Bawag war Refco im Allgemeinen, Bennett und dessen Vorgänger Tom Dittmer im Besonderen über Jahre hinweg auf das Engste verbunden. Im Oktober 1998 hatten die Wiener, damals noch unter Generaldirektor Helmut Elsner, mit Dittmer ein Gemeinschaftsunternehmen in den USA gegründet. Dittmer galt als enger Vertrauter der Familie Flöttl. Der legendäre Bawag-Generaldirektor Walter Flöttl hatte die Bawag Anfang der neunziger Jahre wegen der höchst umstrittenen so genannten Karibik-Geschäfte mit seinem eigenen Sohn Wolfgang in ihre bis dahin schwerste Krise geführt.

Millionenschulden. Jetzt könnte es noch dicker kommen. Nach profil vorliegenden Informationen führt die Bawag bis zum heutigen Tage aus nicht näher genannten Transaktionen Forderungen gegen Refco in der Höhe von 70 Millionen Dollar in ihren Büchern. Wie diese Forderungen entstanden sind und ob sie im Lichte der jüngsten Ereignisse überhaupt noch werthaltig sind, ist nicht bekannt. Bawag-Sprecher Thomas Heimhofer bemüht das österreichische Bankwesengesetz: „Wir sagen zu Kundenbeziehungen prinzipiell nichts.“ Dass es eine „Kundenbeziehung“ zu Refco gibt, bestreitet er indes nicht. „Das überlasse ich Ihrer Interpretation.“ Spekulationen, wonach die Bawag auch hinter jenem Millionen-Dollar-Kredit stehen könnte, mit dem Bennett seine Schulden gegenüber Refco getilgt und damit kurzzeitig seinen Kopf aus der Schlinge gezogen hat, lassen sich vorerst ebenso wenig verifizieren.

Tatsache ist, dass Walter Flöttls Nachfolger Helmut Elsner die US-Achse 1999 erheblich verstärkt hatte. Dem ursprünglichen Gemeinschaftsunternehmen folgte eine direkte zehnprozentige Beteiligung der Bawag an Refco. Die Amerikaner gründeten eine Tochtergesellschaft im Bawag-Haus Fleischmarkt Nummer 1 (siehe Kasten: „Dependance an der Donau“), umgekehrt schlüpften die Wiener in der New Yorker Refco-Zentrale mit einem eigenen Büro unter. Über Art und Umfang der Geschäfte ist nie etwas bekannt geworden. Die Bawag brüstete sich stets damit, in Refco einen idealen Partner gefunden zu haben, der ihren Kunden den Zugang zu den internationalen Warenterminbörsen ermögliche. Oder wie es Bennett im Mai 1999 in einem Statement formulierte: „Unser Ziel ist es, Bawag Zugang zu dem Geschäft zu gewähren, in dem wir über Expertise verfügen.“

Und nicht nur das: Als die Bawag im Jahr 2000 die Postsparkasse (P.S.K.) kaufte, fand sich im Übernahmekonsortium eine gewisse Refco Group Ltd. wieder – die vorübergehend etwa 20 Prozent der P.S.K.-Anteile verwaltete.

Im Juni 2004 wurden die transatlantischen Bande etwas gelockert. Elsners Nachfolger an der Bawag-Spitze, Johann Zwettler, verkaufte den zehnprozentige Refco-Anteil gegen gutes Geld an das New Yorker Investmenthaus Thomas H. Lee Partners.

Die Partnerschaft blieb freilich bestehen. Zitat aus einem Aktionärsbrief der Bawag aus dem Vorjahr: „Die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Refco wird künftig ohne Verflechtung fortgesetzt werden, sodass dieser Zugang zu internationalen Kunden für die Bawag-P.S.K.-Gruppe erhalten bleibt.“

Sollte dem so sein, könnte ein Refco-Kollaps neben dem Institut selbst auch zahlreiche seiner Kunden treffen.

Der gebürtige Brite Phillip Bennett, ehedem Rugby-Spieler an der University of Cambridge, hatte das Unternehmen, in das er 1981 eingetreten war, zusammen mit Vorgänger Tom Dittmer mit schier unermüdlichem Ehrgeiz und beispielloser Härte zum bedeutendsten der gesamten Branche gemacht. Refco war, jedenfalls bis vor wenigen Tagen, die Latte, an der sich alle Futures-Broker der Welt messen mussten. Dass es schon früher immer wieder zu Unregelmäßigkeiten und behördlichen Sanktionen kam, sollte die Erfolgsbilanz von Dittmer und Bennett nicht schmälern. Wer international mit Terminkontrakten spekulieren wollte, kam an der Expertise der New Yorker kaum vorbei.

Von Phillip R. Bennett heißt es, seine Maßanzüge hätten auch nach einem 13-Stunden-Tag keine Knitterfalten gehabt. Was ehemalige Kollegen damit erklärten, dass er nie zum Sitzen kam.

Dazu könnte er demnächst allerdings umso reichlicher Gelegenheit haben.

Von Michael Nikbakhsh, Martin Staudinger und Stefan Janny