Affenmutterliebe

Für Männer opfern wir uns nimmer. Aber bei den Kindern hören alle Ansprüche auf.

Drucken

Schriftgröße

Jane Goodall, die berühmte britische Schimpansenforscherin, ist siebzig, und das Ö1-„Radiokolleg“ widmete ihr deshalb eine kleine Sendereihe. Aus der erfuhr man, dass Frau Goodall das, was sie geworden ist, in nicht geringem Ausmaß ihrer Mutter verdankt, denn die war immer für sie da und hat an sie geglaubt und sie bestärkt und in allem unterstützt und alles für sie gemacht. Als die junge Jane nach Afrika aufbrach, kam die Mama mit, und später hat sie, wieder in England, den Enkel aufgezogen, während die Tochter in Afrika bei ihrer Forschungsarbeit blieb.

Wir könnten viel von den Schimpansenmüttern lernen, erklärte Frau Goodall in der Sendung, denn auch die Schimpansenmütter seien ständig um ihr Kind herum, ermutigend, bestätigend, bekräftigend.

Wirklich schön, dass Tochter Jane das herausfinden konnte, weil Mutter Goodall sich intuitiv und in quasi vorauseilendem Gehorsam ein Beispiel an den Schimpansenmüttern nahm, lange bevor Tochter Jane die Schimpansenmütter als beispielhaft erforscht hatte.

Wäre man kleinlich, könnte man fragen, warum Tochter Jane in ihrem Verhalten Tochter blieb und deshalb den Sohn an die Großmutter weitergab, aber davon später.

In der gleichen Woche war in Ö1, und zwar im „Klassiktreffpunkt“, auch der Regisseur Felix Breisach zu Gast, der wiederum brach eine Lanze für die versorgende Mama als Mittelpunkt der Familie, ein sehr erstrebenswertes Los, wie er fand, weshalb er nichts übrig habe für den Hardcore-Feminismus.

Erstaunlicherweise hat er für sich selber offenbar dennoch ein anderes Los gewählt, denn anschließend hörte man viel von seinem künstlerischen Schaffen, aber nichts davon, dass er ver- oder umsorge, wogegen ja auch schon der Umfang seiner künstlerischen Aufgaben gesprochen hätte.

Ach ja, die gute Mutter. Lebt nur fürs Kind und durch das Kind, auf ewig und immerdar, amen. Ist für alles verantwortlich und an allem schuld und hat den Anspruch auf ein eigenes Dasein bei der Geburt ihrer Kinder an der Schwelle zum Kreißsaal abgegeben. Versteht alles, verzeiht alles, unterstützt alles, badet alles aus und kennt kein anderes Glück, als, je nach Bedarf, wechselweise eine helfende Hand oder den Kopf hinzuhalten.

Ist schon erstaunlich, wie das Ideal der selbstlosen Mama, die befriedigt im lebenslangen Vollzeitdienst für ihren Nachwuchs aufgeht, Jahrzehnte der Frauenbewegung unbeschadet überdauert hat.

Die Idee, dass Frauen dazu geboren seien, Männern die Patschen hinterherzutragen, haben wir nicht gänzlich erfolglos bekämpft. Aber bei den Kindern ...! Da hört sich das Recht auf Eigenständigkeit auf. Wehe, wir wollen nicht immer da und zuständig sein und sagen das auch noch laut, statt uns allenfalls unter Absonderung heuchlerischer Ergebenheitsadressen vor diesem oder jenem Liebesdienst zu drücken („Ich würde ja gern, Schatzilein, aber du weißt, mein Blutdruck ...“).

Was wäre gewesen, wenn Mutter Goodall lieber mit einem schmucken Herrn nach Madeira statt mit Töchterchen Jane nach Afrika gereist wäre?

Die Antwort auf diese Frage interessiert niemanden, weil es nämlich niemanden interessiert, was Mütter wollen und wie es ihnen bei der Erfüllung ihrer angeblichen Pflichten wirklich geht. Stattdessen glauben wir ganz fest daran, dass es ihnen ein Bedürfnis ist, auch hochbetagt noch an Feiertagen für zwanzig Leute zu kochen, und dass sie zu Recht mit schlimmen Folgen rechnen müssen, wenn sie sich weigern, für einen Motorradkredit zu bürgen.

Aber, okay, nehmen wir an, Mütter hätten tatsächlich die Verpflichtung, ihren Kindern das Gefühl zu geben, sie seien der Nabel der Welt und nichts wäre wichtiger als ihr Wohlbefinden – was machen diese Kinder dann, sobald sie selber Kinder haben? Sie, siehe oben, der Großmutter aufs Auge drücken?

Doch wenn’s die Großmutter einmal nicht mehr gibt? Gehen dann zwei Generationen von lupenreinen Egoisten einander erbittert an die Gurgel?
Na ja, nicht jede Tochter wird zur Forscherin erzogen.

Neulich, am Ostermontag, im Park: Eine junge Mutter mit zwei Kindern kommt mir entgegen. Sohnemann, etwa sechs, fährt stolz einen Traktor. Flink tritt er in die Pedale, schnell ist er unterwegs, wendig düst er um die Kurven. Hinter ihm die kleine Schwester, vielleicht vier. Sie trappelt gebremst dahin, denn sie schiebt einen Puppenwagen. Der Unterschied ist augenfällig: Ihm dient der Traktor als Fortbewegungsmittel; sie dient der Puppe im Puppenwagen.

Wenig später wieder ein Geschwisterpaar, diesmal noch ein bisschen jünger. Der Bruder fährt ein kleines Rad. Die winzig kleine Schwester, mit Schnuller im Mund, einen Puppenwagen. Auch hier: Er ist mobil, sie eingeschränkt. Sein Spielzeug beschleunigt ihn, ihres verlangsamt sie. Er kümmert sich um sich, sie kümmert sich um ein Puppenkind – frühe Konditionierung. Wenn sie Glück haben, die kleinen Puppenmütter, dann dienen sie als Mütter einmal einer Forscherin oder einem Künstler und bekommen verbal ein Denkmal gesetzt. Wenn sie Pech haben, dann plagen sie sich und verstehen und verzeihen – und alles, was herauskommt, ist ein Versager. Wenn sie gescheit sind, schnappen sie sich Brüderleins Fahrrad und kratzen die Kurve.

Ja, aber – wollen wir eine Welt ganz ohne Liebe, Hinwendung und Fürsorge? Nein, wollen wir nicht. Was wir wollen, ist, dass Liebe, Hinwendung und Fürsorge nicht einseitig den Müttern abverlangt werden. Das wär’s dann schon.