Afrika addio?

Afrika addio?

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An der Wirtschafts-Uni war ich mit meiner Afrika-Sorge allein. Der „romantische Kontinent“ (Kipling) war kein Thema. In den siebziger Jahren interessierte nur die arabische Halbinsel und ihr Öl.

Die exotische Afrika-Sorge erwuchs durch ein berufliches Privileg. Der „trend“ hatte mich ein paar Mal um den Globus gejagt. Meine Aufgabe lag darin, die Exportlust der Unternehmer zu schüren und das Label „Made in Austria“ evangelistisch zu stützen. Auf diesen Reisen kam es zu einer raschen Auslese der Kontinente. Jeder Erdteil war ein faszinierender Sonderfall, wenn man davon absieht, dass die Menschen überall freundlicher und lebensfroher schienen als in Europa. Der einzige Ausreißer war Afrika.

Afrika schied als Kontinent der Freude aus. Er kommt zwar landschaftlich und kreatürlich der Vorstellung vom Paradies am nächsten. Er ist schön und warm. In den weiten Steppen spannt sich der höchste, kugelrunde Himmel. Bald überwog dennoch die Trauer.

Erster Augenöffner war eine gemeinsame Medienaktion von Ö3, „Rennbahn-Express“, „Kurier“, „trend“, profil und Institutionen wie Caritas und Volkshilfe. Man bestimmte mich, Hilfslieferungen nach Gambia zu begleiten. Wir wollten sichergehen, dass jeder Reis-Sack an seinen Platz kam, also nicht in den Fängen korrupter Hafenbehörden versickerte. Von dieser Reise erholte ich mich nimmer.
Sie glich einer Überquerung des Hades. Orpheus sah seine Geliebte verloren. Alles war verdüstert durch die Kraftlosigkeit und Resignation der küstenfernen Bevölkerung. Behutsame Händedrücke raschelten wie zerknülltes Seidenpapier. Ich sah das wirkliche Afrika, nicht jenes aus der Warte der begünstigten Metropolen wie Pretoria und Nairobi. Selbst diese, wie etwa Lagos (Nigeria) zeigt, sind oft Vorhöfe der Hölle.

Meine Reise durch Gambia, die auch an den Geburtsort von Alex Hailey führte, der mit seiner TV-Serie „Roots“ viele Dollar-Millionen verdiente, fand ich viele Jahre später in einem Buch wieder. Es heißt „Nootebooms Hotel“, eine Reisesammlung des vielfach ausgezeichneten niederländischen Literaten Cees Nooteboom. Ich empfehle dieses Buch. Er zeigt auch das Innerste Afrikas bis hinein nach Timbuktu. Tipp: Schicken Sie Ihr Exemplar nicht zurück, nur weil es abgegriffen und benützt aussieht. Der Autor wollte es so. Er freute sich über jeden Buchhändler, der ihm auf den Leim ging.

Schreckliche Erkenntnis damals und heute: Wir wissen nicht wirklich, wie Entwicklungshilfe ideal auszusehen habe, wie Aids zu stoppen sei, wie der Blutrausch der Stammesgenozide gebremst werden könne. In langen Gesprächen mit dem erstklassig gebildeten Zulu-König Mangotsu Buthelezi wurde mir klar, wie viel Unsinn in der nördlichen Welt über Afrika gesprochen wird; wie diffizil das Verhältnis der schwarzen Afrikaner zu den Coloured (Indern) und den weißen Afrikanern sein kann und dass Zulus und Xhosas einander mehr hassen können als jeden Weißen.

Wenn man als Berufsoptimist alle Kräfte anspannt und „Good News“ sucht, könnte man sagen: Das Ende der Apartheid in Südafrika war schön und versprach viel. Nelson Mandela bewies, was Stefan Zweig in seinen „Sternstunden der Menschheit“ postuliert: dass ein Einzelner viel bewegen kann. Es gibt auch Großartige, die wie meine Freundin Renate (die keinen Nachnamen hat, weil sie keinen Applaus wünscht) in aller Stille Schulen bauen und diese hegen und pflegen und darin mit Recht die einzige Hoffnung dieses Kontinents sehen.

Es mag sogar Sinn machen, Tourist zu sein. Wie sollte es Afrika helfen, Luxus-Ressorts wie Sun City oder die üppigen Lodges der geschützten Nationalparks zu meiden? Vielleicht gleicht mancher Euro oder Dollar jener heißen Träne in Ludwig Hirschs Lied, die durch die Erde sickert und den Toten tröstet.

Ich kann Afrika kaum noch genießen. Nicht einmal im privilegierten Südafrika den Tafelberg über Kapstadt. Nicht einmal die blütenreichste und duftendste Universität der Welt, jene von Stellenbosch, umgeben von österreichischen Exilanten, die dort herrlichen Chardonnay keltern. Afrika ist in unserer Mozart-Sprache kein Jubilate mehr, sondern ein Requiem. Dieser Kontinent hat, mathematisch gesehen, mehr Unbekannte als Gleichungen. Er ist die größte Prüfungsaufgabe der Völkergemeinschaft. Die Frage ist nur: Welche Nationen könnten am besten helfen?
Japaner und Koreaner sind nicht unbeliebt. Man liefert immerhin Primitiv-Autos mit Starrachse und hoher Bodenfreiheit, die von jedem Dorfschmied repariert werden können. Die USA liefern die Export-Ikonen Coca-Cola und McDonald’s. Europa wird von afrikanischen Intellektuellen geschätzt. Deutsche Goethe-Institute und österreichische Handwerksschulen werden gelobt.

Von strategischen Firmengründungen ist wenig bekannt. Unternehmer, die südlich der Mittelmeerküste Nordafrikas und nördlich des relativ tüchtigen Staates Südafrika investieren, bezeichnen sich selbst als Abenteurer. Afrika gilt als Fass ohne Boden. Die Korruption sei systemimmanent. Viele fürchten einen supranationalen EOA (equal opportunity act), der eines Tages vorschreibt, dass ein Zwanzigstel der Produktion aus afrikanischen Manufakturen stammen muss. Dafür fehlte derzeit noch alles: die Kraft, die Bildung, die Moral, das industrielle Know-how.

So nebenbei: Ich habe in hunderten Podiumsdiskussionen nicht nur keinen Unternehmer gehört, der etwas zu Afrika gesagt hätte, sondern auch keinen einzigen Grünen. Afrika ist der Kontinent, den man verloren gab und vergessen hat. Obwohl wir uns einst als homo erectus in den warmen Tälern Kenias erhoben, um das zu werden, was wir sind.