„Beschimpft, bespuckt, verhöhnt“

Korruption II. Rechtsanwalt Manfred Ainedter über geschmacklose Meinungsmache und Showeinlagen der Justiz

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Interview: Michael Nikbakhsh

profil: Herr Ainedter, wir haben für dieses Interview eine Stunde veranschlagt. Was würde mich das kosten, wäre ich als Delinquent hier?
Ainedter: Das hängt von der Causa ab. Die Frage wird mir von Klienten immer wieder gestellt, der tatsächliche Aufwand und die damit verbundenen Kosten sind nur selten abzuschätzen.

profil: Laut Anwaltstarif müsste ich bei einem Wirtschaftsvergehen mit einem Stundensatz von plus/minus 260 Euro zuzüglich Umsatzsteuer rechnen.
Ainedter: Das kommt etwa hin, ist aber die Untergrenze.

profil: So gesehen muss Karl-Heinz Grasser in jüngerer Vergangenheit ziemlich oft bei Ihnen gewesen sein. Er muss jetzt sein Wiener Penthouse verkaufen, weil er sich nach eigenem Bekunden seine Anwälte nicht mehr leisten kann.
Ainedter: Das ist in journalistischer Übertreibung so dargestellt worden und stimmt natürlich nicht. Zu meinen Abrechnungen mit Karl-Heinz Grasser kann ich nichts sagen, aber gehen Sie davon aus, dass das nicht an meinen Honoraren liegt. Mein Mandant beschäftigt darüber hinaus auch Medienanwälte, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Das verursacht insgesamt hohe Kosten. Umgekehrt hat er ja keine Einnahmen mehr, was aufgrund der permanenten Medienberichterstattung auch kein Wunder ist.

profil: Wer ist Manfred Ainedter für Karl-Heinz Grasser? Sein Anwalt? Sein PR-Berater? Sein Seelenklempner? Am Ende gar seine Gouvernante?
Ainedter: Das müsste man ihn selbst fragen. Sicher geht meine Tätigkeit über normale anwaltliche Vertretung hinaus, das ergibt sich hauptsächlich aus den permanenten Medienanfragen.

profil: Karl-Heinz Grasser war zu seiner Zeit als Finanzminister eine Person des öffentlichen Interesses und blieb das auch nach seinem Abgang aus der Politik. Insofern kommt das mediale Interesse ja nicht von ungefähr.
Ainedter: Ich habe schon damit gerechnet, dass der Fall öffentlichkeitswirksam sein würde. Ich habe nur nicht mit der Dauer des Verfahrens und der Wucht der medialen Berichterstattung gerechnet. Und schon gar nicht damit, dass jede Regung der Verfolgungsbehörden sofort in den Medien landet. Ich hatte eigentlich gehofft, dass das Vorverfahren nicht öffentlich geführt wird, so wie das gesetzlich auch vorgesehen ist.

profil: Sie verstehen es durchaus geschickt, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, hier kämpften zwei Männer, also Karl-Heinz Grasser und Manfred Ainedter, allein gegen die Justiz – um nicht zu sagen: allein gegen den Rest der Welt.
Ainedter: Der Eindruck täuscht. Wir regen uns ja nicht darüber auf, dass untersucht wird. Das Verfahren dauert nur mittlerweile viel zu lange. Und wenn man nichts findet, dann muss man eben einstellen.

profil: Einspruch. Das Landesgericht für Strafsachen Wien hat erst jüngst wieder einen Ihrer Einstellungsanträge verworfen. Die Indizien gegen Ihren Mandanten erscheinen durchaus valide.
Ainedter: Es sind eben nur Indizien beziehungsweise eher Mutmaßungen. Von einem dringenden Tatverdacht ist da weit und breit keine Spur. Sollten die Indizien tatsächlich ausreichen, müsste Anklage erhoben werden. Wenn nicht, dann muss eingestellt werden.

profil: Sie werden ohnehin nie müde zu betonen, dass es eigentlich gar keinen Fall Grasser gebe. Das ist nun einmal Ihre Rolle als Anwalt. Und Sie würden diese wohl auch dann spielen, wenn Grasser schuldig wäre.
Ainedter: Wenn ich nicht felsenfest von seiner Unschuld überzeugt wäre, würde ich mich sehr bedeckt halten.

profil: Sie werfen den Medien ständig vor, Ihren Mandanten in ein kriminelles Eck zu drängen und dabei die Unschuldsvermutung zu verletzen.
Ainedter: Nicht pauschal. Doch die Berichterstattung erreicht mittlerweile ein Ausmaß, das rechtsstaatlich über den Anlassfall hinaus unerträglich geworden ist. Erst jüngst hatte der „Kurier“ Grasser als Kandidaten in der „Millionenshow“ auf dem Titelblatt. Bei Antwort D stand: „lebenslänglich mit Fiona“. Und das in einer Zeitung, die für sich in Anspruch nimmt, nicht frauenfeindlich zu sein. In der Gratiszeitung „Heute“ wiederum werden Votings veranstaltet, wo die Leser dar­über abstimmen sollen, ob Grasser nun angeklagt werden soll oder nicht. Das ist nicht nur unjournalistisch, sondern auch geschmacklos.

profil: Man könnte auch auf dem Standpunkt stehen: Grasser hat während seiner Amtszeit keine Gelegenheit ausgelassen, sich öffentlich zu inszenieren. Also muss er das jetzt auch aushalten.
Ainedter: Das rechtfertigt nicht, dass er jetzt ständig vorverurteilt und an den Pranger gestellt wird. Im Mittelalter wurden Leute erst nach der Verurteilung an den Pranger gestellt, beschimpft, bespuckt und verhöhnt. Im Falle Grasser passiert das schon während des Vorverfahrens.

profil: Aber es muss wohl gestattet sein, die manifesten Ungereimtheiten rund um seine Amtsführung zu hinterfragen.
Ainedter: Keine Frage. Aber Grasser ist einer dreifachen Justiz ausgesetzt: der medialen, der parlamentarischen und der eigentlichen Justiz. Mein Mandant muss sich permanent rechtfertigen. Die Gewaltentrennung im Lande ist anscheinend aufgehoben, alles fließt ineinander. Das ist im Falle Kampusch nicht anders.

profil: Sollen Journalisten vertrauliche Dokumente, die ihnen zugespielt werden, unter den Tisch fallen lassen?
Ainedter: Der seriöse Journalist fragt dann wenigstens nach. Im Falle meines Mandanten geschieht das längst nicht immer. Das ändert übrigens nichts an meinem Vorwurf, dass die Justiz nicht in der Lage ist, geheime Akten geheim zu halten.

profil: Tatsache ist, dass die Berichterstattung zu laufenden Untersuchungen und die Veröffentlichung von Gerichtsakten medienrechtlich gedeckt und damit legal sind.
Ainedter: Ja, leider. Bis in die siebziger Jahre galten bekanntlich die Lasser’schen Artikel von 1862, welche die Berichterstattung zu schwebenden Verfahren stark einschränkten. Auch ich war damals für deren Aufhebung. Es ist aber einfach nicht in Ordnung, dass den Medien vonseiten der Behörden ständig Dokumente zugespielt werden.

profil: Das Prinzip des Whistleblowing ist seit jeher integrierender Bestandteil des Enthüllungsjournalismus.
Ainedter: Das erkenne ich auch an. Nur worin genau besteht die investigative Leistung, wenn ein Journalist Akten, die ihm amtsmissbräuchlich übergeben werden, einfach abschreibt? Das ist keine große Leistung.

profil: Wieder Einspruch: Gerade in der Causa Grasser nehmen wir Journalisten für uns in Anspruch, zu einem Zeitpunkt recherchiert und berichtet zu haben, da es noch überhaupt keine Gerichtsakten gab. Ganz allgemein ist es der Arbeit von Journalisten geschuldet, dass Ermittlungen bisweilen überhaupt erst in die Gänge kommen oder nicht einfach so abgedreht werden.
Ainedter: Ich anerkenne das. Die Medien haben die Funktion des Public Watchdog. Nur: War es im Falle Grasser erforderlich, dass Journalisten die Ermittlungen vorantreiben? Das war doch ohnehin ein Selbstläufer, seit Walter Meischberger im Herbst 2009 Selbstanzeige erstattet hat.

profil: War es das? Ich darf daran erinnern, dass Grassers ehemaliger Kabinettsmitarbeiter Michael Ramprecht in einem profil-Interview im Oktober 2009 erstmals davon sprach, dass die Buwog-Privatisierung unter KHG 2004 ein abgekartetes Spiel gewesen sei. Erst danach wurden entsprechende Ermittlungsmaßnahmen gesetzt. Grasser hat Ramprecht und profil daraufhin geklagt. Das Verfahren ist nach wie vor nicht rechtskräftig entschieden.
Ainedter: Die Justiz hat einen Anfangsverdacht konstruiert und meinen Mandanten ein Jahr lang nicht einvernommen. Tatsächlich wurde die Causa dann auch in diesem Medienverfahren vorangetrieben.

profil: Nun ist es eine Tatsache, dass profil als mitbeklagter Partei in diesem Verfahren Akteneinsicht zusteht. Von amtsmissbräuchlicher Aktenbeschaffung kann da keine Rede sein.
Ainedter: Das ist mir bekannt und bewusst, gilt aber sicher nicht für die „News“ zugespielten Steuererklärungen KHGs und für die ebendort veröffentlichten Unterlagen zu seinen derzeitigen Tätigkeiten, die bei der skandalösen Hausdurchsuchung beschlagnahmt wurden. Die Frage ist dann außerdem, wie verantwortungsvoll Journalisten mit der Causa umgehen. In der Berichterstattung fehlt leider die Objektivität. Erst vor wenigen Tagen musste ich im „Kurier“ vom „dringenden Tatverdacht“ gegen Karl-Heinz Grasser lesen, wobei wieder einmal aus einem amtsmissbräuchlich erlangten Gerichtsbeschluss zitiert wurde. Dieser war nur dem Staatsanwalt und mir vom Gericht zugestellt worden. In diesem Schriftsatz wird ausdrücklich festgehalten, dass es keinen einzigen Beweis gegen meinen Mandanten gibt. Das wurde geflissentlich unter den Teppich gekehrt. Mein Appell an die Journalisten lautet daher, ausgewogener zu berichten.

profil: Journalisten stellen Karl-Heinz Grasser nicht vor Gericht. Und sie haben ihn auch nicht zu verurteilen. Das ist immer noch Aufgabe der Justiz.
Ainedter: Trotzdem erwartet ein Teil der Öffentlichkeit aufgrund des zweieinhalbjährigen medialen Trommelfeuers, dass Grasser angeklagt und verurteilt wird …

profil: … womit Sie unterstellen, dass die Justiz auf medialen Zuruf hin handelt.
Ainedter: Wenn ich an den Fall Helmut Elsner denke, war es doch einmalig, dass ein derartiges Monsterverfahren so rasch über die Bühne ging, um die öffentliche Erwartungshaltung zu befriedigen. Ich würde mir wünschen, dass in anderen Fällen ähnlich schnell gehandelt wird. Bei Grasser sind wir im dritten Jahr der Untersuchungen. Von der Justiz höre ich dazu immer nur, man sei überlastet, daher die überlange Verfahrensdauer. Es kann ja nicht sein, dass Organisationsschwächen dazu führen, dass das gesetzliche Beschleunigungsgebot derart verletzt wird.

profil: Im Mai des Vorjahrs ließ die Staatsanwaltschaft Wien Hausdurchsuchungen an mehreren Grasser zugerechneten Adressen vornehmen und vermeldete dies prompt auch via Presseaussendung. Sie haben in diesem Zusammenhang Anzeige wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs erstattet, das Verfahren ist nicht abgeschlossen. Im Kern werfen Sie der Staatsanwaltschaft vor, die Hausdurch­suchungen zu einer Art Show unter medialer Beteiligung umfunktioniert zu haben. Die Justiz wollte damit anscheinend zeigen, dass in der Causa Grasser entgegen anders lautender Darstellungen sehr wohl etwas passiert. Wohl auch um dem Vorwurf zu begegnen, die Ermittlungen würden aus politischem Kalkül verschleppt. Kann man es ihr verdenken? Sie selbst lassen ja auch kaum eine Gelegenheit aus, sich öffentlich in Szene zu setzen und dabei die Arbeit der Behörden zu geißeln.
Ainedter: Es ist selbstverständlich zulässig und wäre auch wünschenswert, dass die Staatsanwaltschaft sich öfter öffentlich äußert. Die Frage ist dann nur, wie. Das Einmalige und Verräterische an diesem Fall ist, dass die Mitteilung über die HD eine halbe Stunde nach deren Beginn erfolgte. Begründung der Staatsanwaltschaft: Erfahrungen mit früheren Hausdurchsuchungen hätten gezeigt, dass sich solche nicht lange geheim halten ließen. Das ist eine Bankrotterklärung des Rechtsstaates. Ich gehe davon aus, dass das auch in den von mir angestrengten Verfahren so festgestellt werden wird.

profil: Das Medienarchiv der Austria Presse Agentur verzeichnet für den Suchbegriff „Karl-Heinz Grasser“ 13.800 Treffer seit Herbst 2009. Bei „Manfred Ainedter“ sind es immerhin noch 3000.
Ainedter: Da sehen Sie mal, wie zurückhaltend ich agiere.

profil: Lesen Sie die Medien, die Sie kritisieren, überhaupt noch?
Ainedter: Ich versuche natürlich, einen Überblick zu bewahren. Aber es kann ja nicht sein, dass der Name Karl-Heinz Grasser so gut wie jeden Tag in der Zeitung steht. Meine Frau macht mich manchmal in der Früh aufmerksam: „Überraschung, heute ist dein Mandant mal nicht in der Zeitung!“

profil: Ein guter Tag beginnt also ohne Karl-Heinz Grasser. Wie reagiert Ihr Mandant auf die Berichterstattung?
Ainedter: Er hat mittlerweile eine dicke Haut.

profil: Und Manfred Ainedter?
Ainedter: Der auch.

profil: Sie geraten zunehmend selbst ins Kreuzfeuer. In Onlineforen diverser Medien ist immer wieder zu lesen, Manfred Ainedter möge doch besser auf Distanz zu seinem Klienten gehen, ehe er sich selbst dauerhaft beschädigt.
Ainedter: Das kommt von Menschen, denen jedes Mittel recht ist, Grasser und sein Umfeld zu diskreditieren. Ich bin in diesem Fall sicher exponierter als in anderen. Aber das geht ja nicht nur mir so. Denken Sie an meinen Kollegen Rudi Mayer und die Causa Fritzl. Mayer hat ja nicht die Tat verteidigt, sondern seinen Mandanten Josef Fritzl. In allen Fällen muss man als Anwalt eine gebotene Distanz haben. Ich brauche mich ja nicht auf die Schienen zu legen, um Grasser bedingungslos zu verteidigen. Für mich ist nur eine Frage relevant: Ist Grasser eine strafbare Handlung vorzuwerfen oder nicht? Zur politischen Dimension der Vorgänge kann und will ich mich nicht äußern.

profil: Sie haben einmal in einem Interview gemeint: „Recht und Gerechtigkeit sind zwei paar Schuhe. Gerechtigkeit gibt es im Himmel, auf Erden bekommt man nur ein Urteil.“
Ainedter: Ja. Wenn es denn je ein Urteil geben sollte