Notaufnahme

Spital. Ein Krieg zwischen Gemeinde Wien und Medizin-Uni bringt das AKH in schwere Turbulenzen

Drucken

Schriftgröße

Hier vertragen sich zwei allzu verschiedene Partner nicht: "Ein Beziehungsproblem war das immer schon“, sagt Sepp Rieder, ehemaliger Wiener Gesundheitsstadtrat und Geburtshelfer des Wiener AKH. Erhard Busek, heute Vorsitzender des Universitätsrats der Medizinischen Universität Wien (MUW), sieht kaum noch Chancen, diese Ehe zu kitten: "Die MUW soll in das entstehende Krankenhaus Wien Nord einziehen, die Gemeinde Wien soll das AKH allein weiterführen.“ Wolfgang Schütz, Rektor der MUW, fühlt sich von der Gemeinde Wien ausgebeutet und will nun andere Saiten aufziehen. Er streicht Nachtdienste und entfernt 180 Ärzte: "Das wird der Gemeinde Wien sehr wehtun.“

Im Wiener AKH, mit 2200 Betten das zweitgrößte Spital der Welt, tobt ein offener Konflikt zwischen den beiden Krankenhausbetreibern, der Gemeinde Wien und der Medizin-Universität Wien. Die Uni wirft der Gemeinde Wien vor, massenweise Patienten von anderen Wiener Krankenhäusern in das AKH umzuleiten, weil die AKH-Ärzte aus Bundesmitteln bezahlt würden und daher für die Gemeinde kostenlos seien. Dabei werde das AKH mit "Wehwehchen-Patienten“ überschwemmt und die medizinische Forschung der MUW blockiert.

Ärztekammerpräsident Walter Dorner sieht gar eine "Bedrohung der Krankenversorgung“ und prognostiziert einen möglichen "Kollaps des AKH“. Dabei räumen selbst harte AKH-Gegner ein, dass dieses Krankenhaus trotz punktuellen Ärztemangels im Vergleich mit anderen Häusern personell gut ausgestattet sei und als Spital insgesamt nicht nur gut funktioniere, sondern zu einem der besten Europas zähle.

Darin sieht Peter Husslein, Chef der Gynäkologie am AKH, auch die Ursache für die gegenwärtige Krisenlage: "Das Problem ist, dass das AKH so gut funktioniert. Deshalb kommen alle her und überschwemmen uns, anstatt auch andere Spitäler aufzusuchen.“ Man dürfe das AKH nicht "herunterfahren, man muss es hinauffahren“. Hussleins Vorschlag: Man solle das geplante Krankenhaus Nord gar nicht bauen und das Geld dem AKH geben, damit es effizienter betrieben werden und seinem Kernauftrag nachkommen könne, Forschung, Ausbildung und Spitzenmedizin zu betreiben.

Das jährliche Gesamtbudget des AKH beträgt 1,2 Milliarden Euro. Die Medizin-Universität stellt die rund 1500 Ärzte zur Verfügung und bezahlt sie zur Gänze. Ihr Auftrag lautet: Wissenschaft, Ausbildung, Spitzenmedizin und routinemäßige Versorgung von Patienten. Die Gemeinde Wien finanziert den großen Rest: den technischen Betrieb des Hauses sowie das Pflege- und Verwaltungspersonal. Die MUW beteiligt sich an den Betriebskosten des AKH mit jährlich 40 Millionen Euro für "klinischen Mehraufwand“, weil sie die Infrastruktur auch für Wissenschaft und Lehre nutzt. Vertraglich vereinbart wurde das 2005, ein Jahr nachdem die damalige medizinische Fakultät von der Universität Wien ausgegliedert, zur eigenständigen Medizin-Universität gemacht und vom Wissenschaftsministerium mit einem Jahresbudget von rund 300 Millionen Euro ausgestattet worden war. Eine genaue Definition, welche Leistungen die Vertragspartner in welchem Ausmaß zu erbringen haben, steht nicht im Vertrag. Es ist auch nicht definiert, wie groß der Anteil der "Wissenschaft“ und wie groß jener der "Versorgung“ durch die MUW-Ärzte sein soll.

Die Gemeinde Wien will von den für sie kostenlosen MUW-Ärzten möglichst viel Versorgung der Wiener Patienten, die MUW sieht sich durch den Massenansturm von "Wehwehchen-Patienten“ immer weniger in der Lage, ihrem wissenschaftlichen Kernauftrag nachzukommen.

Mittlerweile würden die AKH-Ärzte zu 80 Prozent für "routinemäßige Versorgung“ eingesetzt, rechnet Rektor Wolfgang Schütz vor. Das koste an die 150 Millionen Euro aus dem MUW-Budget, also Geld des Bundes, mit dem die Krankenbetreuung der Gemeinde Wien querfinanziert werde, anstatt für Wissenschaft aufgewendet zu werden. Schütz: "Das ist auf Dauer untragbar. Die Gemeinde kürzt laufend Pflegepersonal, dauernd sind Betten gesperrt, manchmal gar halbe Stationen. Aber wegen Ärztemangels ist noch nie eine Station gesperrt worden. Und weil wir es finanziell nicht mehr schaffen, werden wir jetzt Dienste zurückfahren.“

Auf der Suche nach Druckmitteln gegen die Gemeinde Wien wurde in einer Sitzung des Senats der MUW im März dieses Jahres überlegt, die 40 Millionen Euro für den "klinischen Mehraufwand“ nicht mehr an die Gemeinde Wien zu überweisen, sondern auf ein Treuhandkonto. Das Sitzungsprotokoll liegt profil vor.

Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely bezeichnet diese Idee sarkastisch als "sehr lustig“. Die Gemeinde Wien zahle ein Mehrfaches dessen, was die MUW aufbringe. Es gebe einen Vertrag bis 2015, und diesen gelte es zu erfüllen. Wehsely: "Der Herr Wissenschaftsminister hat ein Geldproblem, und wir sollen die Schuldigen sein. Das ist amüsant.“

Gar nicht amüsant findet AKH-Gynäkologe Peter Husslein die Tatsache, dass es in Wien wochentags nach 16 Uhr kaum einen verfügbaren Kinderarzt gebe und an Wochenenden gar keinen, weswegen alle Mütter mit ihren Kindern ins AKH strömten. Husslein: "Sogar aus Niederösterreich und dem Burgenland kommen sie zu uns.“ Schuld daran sei die Sozialversicherung: Diese vergebe nur wenige Kassenverträge für Kinderärzte, weil man ja ohnehin das AKH habe.

Groteskerweise liegt die Infrastruktur des Hauses dennoch zu 50 Prozent brach. Husslein: "Ab 15 Uhr sind die Operationssäle zugesperrt. Da passiert nichts mehr. Man sollte von 7 bis 22 Uhr durcharbeiten.“

Grund für die Leere ist der Personalmangel, aber auch die schlechte Bezahlung der Oberärzte, die sich mit eigenen Ordinationen am Nachmittag selbstständig machen. Die Folge ist die "goldene Meile“ rund um das AKH: lukrative Privatordinationen von Ärzten, die dem Vernehmen nach nicht selten auch während der AKH-Dienstzeiten betrieben werden. Uni-Ratsvorsitzender Erhard Busek: "Das haben Sie gesagt. Aber ich bestreite es nicht.“

Ernst Wolner, emeritierter Chef der Herzchirurgie am AKH, sieht die Angelegenheit etwas gelassener: "Wichtig wäre eine objektive Prüfung der Personalsituation. Das würde ich dem Rektor empfehlen. Auch die tatsächliche Belastung des Personals soll man evaluieren. Zum letzten Mal ist das vor 20 Jahren gemacht worden, als wir das neue AKH bezogen haben.“ Dann könne man entscheiden, welche Maßnahmen möglich und richtig seien.

"Das neue AKH ist mittlerweile längst ein altes AKH. Das müsste baulich renoviert und auch gerätemäßig erneuert werden“, sagt Busek. "Aber auch dafür ist kein Geld da.“

Fazit:
Streit prolongiert - wohl noch auf einige Jahre.