Alfred Gusenbauer im Interview

"Bin nicht der Interpret von André Heller"

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profil: Herr Bundeskanzler, was sagen Sie zur verlorenen Wahl?
Gusenbauer: Nun, die ÖVP hat ja offensichtlich vorgehabt, die Regierung inklusive meiner Person so lange zu beschädigen, bis sie in den Umfragen vorne ist, um dann die Reißleine zu ziehen und als Erster durchs Ziel zu gehen. Das ist ihr von den Wählern vermasselt worden. Das wichtigste Ziel, die Nummer eins zu sein, hat die SPÖ erreicht. Aber natürlich haben auch wir kräftige Verluste hinnehmen müssen.

profil: Minus sechs Prozentpunkte – allzu viel hat der Obmannwechsel nicht gebracht.
Gusenbauer: Aber er hat es ermöglicht, dass sich die SPÖ leichter von der Regierungszeit der letzten 18 Monate distanzieren konnte. Und er hat einen Schulterschluss mit den Gewerkschaften und dem Pensionistenverband ermöglicht. Ich glaube, dass die SPÖ unter den gegebenen Umständen das Maximum erreicht hat, mehr war bei dieser Wahl nicht drinnen. Wenn sich staatstragende Parteien nicht staatstragend aufführen, dann dürfen sie auch nicht erwarten, dass sie bei der Wahl als staatstragend wahrgenommen werden.

profil: Sie sprechen im Plural: Parteien.
Gusenbauer: Den Plural verwende ich deswegen, weil die Leute der Meinung sind, zum Streiten gehören zwei. Daher gibt es auch so etwas wie Verantwortung zur gesamten Hand für das Scheitern einer Regierung, auch wenn die Hauptverantwortung bei der ÖVP liegt.

profil: 29 Prozent für die SPÖ – entweder ist das sozialdemokratische Lager weitgehend zerfallen, oder es war wütender Protest.
Gusenbauer: Für beide Theorien spricht etwas. Es hat natürlich Protestverhalten gegeben. So lange die Konjunktur gut war, blieb alles ruhig. Aber wenn die Probleme beginnen – und die haben 2008 mit der Teuerung begonnen –, wird die Erwartungshaltung der Bevölkerung größer. Die wirklichen Turbulenzen haben ja eingesetzt, als die Regierung nicht imstande war, eine gemeinsame Antwort auf die Teuerung zu finden.

profil: Das allein erklärt nicht das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten.
Gusenbauer: Nein. Wir haben diesmal auch bewusst einen kleineren Ausschnitt der Wählerschaft angesprochen. Die SPÖ hat gesagt: Es geht darum, die Kernschichten zu mobilisieren. Mehr kann man in dieser kurzen Zeit nicht erreichen.

profil: Und auf jene, die „ein Stück des Weges“ mit der SPÖ gehen, hat man einfach verzichtet.
Gusenbauer: Das Sympathisantenumfeld –Künstler, Intellektuelle – ist in dieser Wahlauseinandersetzung nicht sehr in Erscheinung getreten. Sei es, weil sie nicht wollten, sei es, weil sie vielleicht auch nicht angesprochen wurden. Ja, es stimmt: Diese Wahlkampagne war enger angelegt.

profil: Hätte man sie breiter anlegen sollen?
Gusenbauer: Das Problem ist: Wenn man es breiter anlegt, dann hat das klarerweise auch eine programmatische Auswirkung.

profil: Man hätte das Thema Ausländer ansprechen müssen.
Gusenbauer: Der SPÖ-Wahlkampf hat sich fokussiert auf die Bekämpfung der Teuerung, aber es ist mit Recht bemerkt worden, dass in dieser Wahlauseinandersetzung Fragen der Bildung, der Kultur, der Europapolitik kaum eine Rolle gespielt haben. Aber wenn man in einer Situation ist wie die SPÖ Anfang Juli, kann man sich nur noch auf diejenigen konzentrieren, die am ehesten erreichbar sind.

profil: Und der berühmte Brief an die „Kronen Zeitung“ war Teil dieses Kernwählerprogramms.
Gusenbauer: Das ist eine gute Gelegenheit, der Legendenbildung entgegenzuwirken. Es ist zum Beispiel unrichtig, dass Werner Faymann und ich das allein abgemacht hätten. Erstens ist der Text mehrfach gedraftet und regedraftet worden, und zum Zweiten wurde natürlich mit den Spitzen der Partei Einvernehmen hergestellt. So zu tun, als hätten wir die Entscheidung über die Köpfe der entscheidenden Leute der SPÖ hinweg getroffen, ist falsch. Außerdem stimmt es nicht, dass die Neuigkeit exklusiv der „Kronen Zeitung“ zur Verfügung gestellt wurde. Die Ersten, die es veröffentlichen konnten, war die APA.

profil: Die APA hat doch nur Wind von Ihrem Brief an Hans Dichand bekommen und von sich aus nachgefragt, ob das stimmt.
Gusenbauer: Danach konnten alle Tageszeitungen gleichzeitig mit der „Krone“ darüber berichten.

profil: Da muss es Leuten wie Ihrem Freund André Heller ja wie Schuppen von den Augen fallen. Der schreibt im neuen „Falter“: „Ich jedenfalls konnte mich diesmal nicht mehr dazu überreden, noch einmal der SPÖ Gefolgschaft zu leisten, die unter Herrn Faymann über Nacht zu einer Zweigstelle der ‚Kronen Zeitung‘ verkommen ist.“
Gusenbauer: Ich bin nicht der Interpret von André Heller. Aber ich glaube, dass das, was er hier sagt, sich nicht auf den Leserbrief an die „Krone“ reduziert, sondern dass diese Aussage bei ihm auf einem breiteren Hintergrund gestützt ist.

profil: Auf die merkwürdige Freundschaft der Herren Faymann und Dichand?
Gusenbauer: What so ever. Da muss man ihn selber fragen.

profil: Werner Faymann wurde danach in der „Krone“ penetrant angehimmelt. Wäre Ihnen das peinlich gewesen?
Gusenbauer: Wenn man über sich lesen muss, was ich über Monate lesen musste? Nein, es hätte mich nicht gestört, wenn ab und zu auch etwas Positives über mich in der Zeitung gestanden wäre.

profil: Wenige Wochen vor dem Brief haben Sie im Parlament noch wortgewaltig dargelegt, warum über den EU-Vertrag nicht eine Volksabstimmung entscheiden soll …
Gusenbauer: …und ich bin immer noch der Meinung, dass es vernünftig war, diesen Vertrag von Lissabon im Parlament zu ratifizieren. Ich glaube aber, dass sich diese Methode mit dieser Ratifikation erschöpft hat, wenn man nicht auch noch aus den EU-Skeptikern entschlossene EU-Gegner machen will. Es ist meine ehrliche Überzeugung, dass wir bei einem weiteren Vertrag von dieser Tragweite eine Volksabstimmung machen müssen.

profil: Wie soll Europa funktionieren, wenn es in jeder wichtigen Frage 27 Volksabstimmungen gibt?
Gusenbauer: Viele Volksabstimmungen, die zu europäischen Verträgen in Mitgliedsstaaten stattgefunden haben, sind positiv ausgegangen. Ein guter Freund von mir, Ex-Ministerpräsident Poul Nyrup Rasmussen, hat in Dänemark sechs Volksabstimmungen zu EU-Themen erlebt, zwei hat er verloren, vier hat er gewonnen. Frankreich haben wir immer für eines der integrationistischsten Länder gehalten, und auf einmal lehnen die den Verfassungsvertrag ab, während zum gleichen Zeitpunkt in Spanien ein Referendum mit ganz großer Mehrheit dafür ausgeht. Jedes Land muss selbst entscheiden, ob eine Volksabstimmung notwendig ist.

profil: Es heißt, Sie würden Journalisten inzwischen hassen. Stimmt das?
Gusenbauer: Ich differenziere: Es gibt solche, die gescheit sind, und solche, die weniger gescheit sind. Nur weil jemand das Recht hat, seine Meinung in gedruckter Form veröffentlichen zu dürfen, ist er für mich noch kein besserer Mensch.

profil: Gibt es eine Zeitung, auf die Sie gerne verzichten würden?
Gusenbauer: Ich bin nicht gezwungen, jede lesen zu müssen.

profil: Lesen Sie „Österreich“, wo zuletzt ausgiebig über Schulprobleme Ihrer Tochter berichtet wurde?
Gusenbauer: Dazu gibt es von mir keine Bemerkungen. Das wird vor Gericht ausgetragen.

profil: Ihre Kanzlerkarriere war kurz und schmerzhaft. Haben Sie da Verletzungen davongetragen?
Gusenbauer: (Lacht.) Das wird sich vielleicht erst später herausstellen.

profil: Haben Sie sich von der Partei manchmal verlassen gefühlt?
Gusenbauer: Verlassen? Das ist ein zu pathetisches Wort.

profil: Die Landeshauptleute Franz Voves und Gabi Burgstaller sind ja nicht gerade herzlich mit Ihnen umgegangen.
Gusenbauer: Die Blockadepolitik der ÖVP in der Regierung war insofern erfolgreich, als innerhalb der SPÖ die Zufriedenheit mit der Regierung deutlich geringer wurde. Dazu kamen die unangenehmen Wahlergebnisse in Niederösterreich, Tirol und Graz. Dort gab es viele regionale Faktoren, aber ein gewisser bundespolitischer Anteil war sicher dabei. Dass das nicht zur Freude der Landesparteivorsitzenden beiträgt, die demnächst zu einer Wahl antreten, ist klar.

profil: Das war der Anfang vom Ende?
Gusenbauer: Es ergab sich jedenfalls ein immer stärkeres Spannungsfeld. In einer ersten Phase setzen sich die Länder von dem ab, was auf Bundesebene geschieht. In einer zweiten Phase glauben dann viele, Profit daraus ziehen zu können, wenn sie zumindest so stark gegen die eigene Parteiführung opponieren, wie das die ÖVP oder die Opposition macht. Dieser Prozess ist dann schwer zu stoppen.

profil: Haben Sie das überhaupt versucht?
Gusenbauer: Ja, mit dem Osterpaket. Ich habe Molterer gesagt: Wenn ihr unbedingt die Regierung zerstören wollt, dann kostet mich das wahrscheinlich den Kopf – aber dich auch. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich den Eindruck, er habe das verstanden.

profil: Was haben Sie sich denn von der Doppelspitze Kanzler Gusenbauer/Parteivorsitzender Faymann erhofft?
Gusenbauer: Die ÖVP hätte das Good-Guy-Bad-Guy-Spiel spielen müssen – bei dem aber immer wenigstens ein Good Guy übrig bleibt. Darüber hinaus hätte sie die Partei wieder stärker mobilisieren sollen.

profil: Die Doppelspitze hätte über den Parteitag hinaus bestehen sollen?
Gusenbauer: Das war so geplant.

profil: Hielten Sie das für realistisch?
Gusenbauer: Der wahre Grund, warum die ÖVP die Wahlen vom Zaun gebrochen hat, war diese Doppelspitze und nicht der Brief an die „Krone“. Die ÖVP hat sich gesagt: Bis jetzt hatten wir einen Gegner, in Zukunft haben wir zwei. Das macht es für uns nicht leichter.

profil: Schüssel und Molterer haben Sie politisch überlebt. Eine Genugtuung?
Gusenbauer: Das löst bei mir keine Gefühlsregungen aus. Wenn ein Parteiobmann Wahlen vom Zaun bricht und am Ende acht Prozentpunkte verliert, wird er das in keiner Partei lange überleben.

profil: Wieso sollte Pröll/Faymann besser funktionieren als Gusenbauer/Molterer?
Gusenbauer: Eine Regierung muss ja nicht von vornherein mit der Absicht gegründet werden, sie bei ehestmöglicher Gelegenheit in die Luft zu sprengen. Jetzt ist sowieso Schluss mit lustig: Die Finanzkrise, die zu erwartende Rezession – die Regierung wird stark gefordert sein. Wenn jetzt dieselben Spielchen abgehen wie in den letzten 18 Monate, dann wird die Partei, die dafür Verantwortung trägt, wirklich zum Teufel gejagt – und zwar mit Recht.

profil: Was halten Sie von einer „Kenia-Koalition“ Rot-Schwarz-Grün?
Gusenbauer: Es gibt Vor- und Nachteile. Sie wäre etwas Neues. Es würden die Regeln des Spiels zwischen den beiden Großparteien geändert. Ist vielleicht ein Vorteil. Außerdem hätte die Regierung dann eine Verfassungsmehrheit, und man könnte sich eine kostensparende Bundesstaatsreform vornehmen.

profil: Was spricht also dagegen?
Gusenbauer: In der Tagesarbeit ist eine Koalition zu dritt wohl eher schwieriger. Außerdem würde sich die ÖVP überrumpelt sehen, weil SPÖ und Grüne in vielen Fragen ähnlichere Auffassungen haben. Und die SPÖ würde vermuten, dass die Grünen eher zur ÖVP tendieren, weil Sepp Pröll ja immer als schwarz-grüner Verbinder galt. Außerdem höre ich, dass die künftige Regierung kleiner sein soll als die jetzige. Da bliebe dann für SPÖ und ÖVP noch weniger über. Diese Koalition hat keine realistische Chance.

profil: Und was wäre mit einer Minderheitsregierung?
Gusenbauer: Eine Minderheitsregierung ist keine Lösung, sondern bestenfalls der Übergang zu einer neuen Nationalratswahl.

profil: Sollte die SPÖ in den Koalitionsverhandlungen den Finanzminister fordern?
Gusenbauer: Ich werde sicher keine Zurufe machen, welche Ressorts gefordert werden sollen. Ich hätte mir das auch verbeten.

profil: Es heißt, Sie spitzten auf den Außenminister.
Gusenbauer: Man kann davon ausgehen, dass ich der nächsten Bundesregierung nicht angehören werde.

profil: Sie tun oft so, als sei an allem die ÖVP schuld. Welchen Ihrer eigenen Fehler bereuen Sie am meisten?
Gusenbauer: Dass ich davon ausgegangen bin, dass die ÖVP ein konstruktiver Partner sein wird. Vielleicht auch die leider falsch verstandenen Aussagen über die Arbeitsbereitschaft der Abgeordneten, die ja jetzt nachhaltig demonstriert haben, wie fleißig sie sind. Auch über das „Gesudere“ könnte man natürlich lange reden.

profil: Wo sehen wir Sie zu Ihrem 50. Geburtstag?
Gusenbauer: (Lacht.) Der ist noch weit. Aber sicher nicht in der österreichischen Politik.

profil: In einem internationalen Konzern?
Gusenbauer: Es gibt auch genügend andere Möglichkeiten in der Wirtschaft. Man muss nicht unbedingt nach Argentinien auswandern.

profil: Heute ist der 1. Oktober. Der 1. Oktober 2006 war Ihr großer Tag. Empfinden Sie Wehmut?
Gusenbauer: Tempi passati. Ich bin nicht grundsätzlich unsentimental, aber es ist noch nicht so lange her, dass Sentimentalitäten aufkommen. Vielleicht in 20 Jahren.

Interview: Herbert Lackner, Christian Rainer