Alles nicht wahr

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Wir haben’s ja schon seit langem gewusst. Und es wurde auch ausgesprochen. Von Michael Moore, von John Kerry, von unzähligen Kritikern der amerikanischen Regierung. Und es wurde so oft schon geschrieben und gesagt, dass es bereits fad wurde, schon lächerlich erschien, angesichts der Hilflosigkeit, mit der die Wahrheit immer wieder an der Realität der Macht zerschellte.

Seit vergangener Woche ist das anders. Seit letztem Mittwoch kommt die Wahrheit um einiges robuster daher. Denn es sind nicht bloß die Netten, sondern nun auch die Mieslinge, die sie aussprechen, und jene, die von den Mieslingen beauftragt sind, der Lüge Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Eine Iraq Survey Group unter dem US-Waffeninspektor Charles Duelfer war von George W. Bush eingesetzt worden, um die von seiner Regierung angegebenen Kriegsgründe zu erhärten: dass Saddam Hussein eine Gefahr für Amerika und die Welt gewesen wäre, dass er Massenvernichtungswaffen entweder besessen habe oder, wenn nicht, zumindest Programme zur Herstellung solchen Teufelszeugs existierten.

Der jetzt veröffentlichte Bericht kommt auf 1000 Seiten zum exakt gegenteiligen Ergebnis. Bei Kriegsbeginn gab es im Irak einfach keine chemischen, biologischen oder atomaren Waffen. Und es sind auch keine Produktionsanlagen oder auch nur Programme gefunden worden, die auf die unmittelbare Absicht des irakischen Diktators hingewiesen hätten, Massenvernichtungswaffen zu erzeugen. Die vom Weißen Haus als weicheiig verdammte Eindämmungsstrategie gegenüber Saddam in den neunziger Jahren hat offenbar gut funktioniert. Nach seinem gescheiterten Versuch, Kuwait zu annektieren, wurde Saddam Hussein sukzessive entwaffnet.

Sanktionen und Embargo waren – trotz westlicher Korruptionisten, die die Blockade durchbrachen – ebenso erfolgreich wie die Flugverbotszonen, die den Bösen von Bagdad in seiner Handlungsfreiheit drastisch einschränkten. Und wenn er die Welt zuweilen im Unklaren gelassen hatte, ob er nicht doch massenmörderische Waffen besitzt oder entwickelt, dann um nicht völlig ohne Abschreckung dazustehen.
Aber Saddam stellte – außer für das irakische Volk – mitnichten eine ernsthafte Gefahr dar. „Wir lagen alle falsch“, sagt nun Duelfer. Und die im Wahlkampf inflationäre Beteuerung Bushs, Amerika sei nach der Beseitigung Saddams sicherer geworden, wird immer grotesker. „Die Argumentation der Regierung für den Krieg liegt mehr denn je in Fetzen“, kommentiert die „New York Times“.

Auch Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der Ultra-Falke in der amerikanischen Administration – ausgerechnet er! –, versetzte der Glaubwürdigkeit des Präsidenten schon Anfang der vergangenen Woche einen schweren Schlag, als er in seiner bekannt lakonischen Art vor einem New Yorker Thinktank feststellte, dass es keine „handfesten Beweise für eine Verbindung zwischen dem Irak und al-Qa’ida“ gebe. Das hat eingeschlagen wie eine Bombe. Zwar hatten fast alle Fachleute dies ausgeschlossen: Aber die angebliche Zusammenarbeit des islamistischen Bin Laden und des sekulären Regimes Saddams war zentral in der US-Begründung für den Waffengang am Golf. Rumsfeld hat sofort, nachdem seine jüngsten Äußerungen bekannt wurden, dementiert: Er sei missverstanden worden. Aber im Bereich der Worte gilt auch in den USA der alte Wiener Kartenspielersatz: Was liegt, das pickt.

Die vor kurzem im privaten Gespräch geäußerte und nun an die Öffentlichkeit gelangte Kritik von Ex-Zivilverwalter Paul Bremer, der mit eiserner Faust im Irak regierte und die offizielle Regierungslinie bisher immer unterstützte, hat es gleichfalls in sich: Es seien anfänglich bei weitem nicht genügend US-Soldaten im Irak gestanden, beklagte Bremer, die Entscheidung, nur so wenige Truppen zu schicken, sei ideologisch motiviert gewesen. Und jetzt werde dafür ein hoher Preis gezahlt.

Der Preis für die Etablierung der ganzen Wahrheit über den Irak-Krieg in der breiten Öffentlichkeit war auch nicht klein. Millionen von Dollar wurden für die Erstellung des Berichts ausgegeben, der nur bestätigte, was die Kriegskritiker immer schon wussten. Hunderte von UN-Inspektoren wurden in den vergangenen Jahren an den Golf entsandt, und 1200 US-Inspektoren suchten nach Saddams Sturz vor Ort nach den vorgegebenen Kriegsgründen. Die britische Tageszeitung „Independent“ empört sich: Für die Aufdeckung der großen Lüge bedurfte es „eines Kriegs, in dem tausende Irakis, mehr als 1000 Amerikaner und mehr als 100 Briten und Soldaten anderer Nationalitäten starben. Und der Irak ist ein zerstörtes Land, das dabei ist, in Anarchie abzugleiten. Und wofür das Ganze?“

Der Bush-Regierung ist es über die Monate und Jahre gelungen, eine Scheinwelt aufzubauen, die immer weniger mit der Realität zu tun hatte, aber bis heute zumindest von etwa der Hälfte der Amerikaner geglaubt wurde. Die so kunstvoll aufgebaute Lügenkulisse beginnt aber jetzt ganz gewaltig zu bröckeln, die Wirklichkeit schiebt sich immer mehr in den Vordergrund. Plötzlich beginnt auch der Protagonist des Schauspiels zu stolpern. Hinter der Pose des volksnahen Kumpels und entschlossenen Kriegsherrn, der Amerika und die Welt mit Konsequenz vor dem Bösen schützt, kommt der wirkliche George W. Bush zum Vorschein: ein vielleicht nicht unsympathischer Sohn aus reicher Familie, ein überaus mediokrer und hohler Präsidentendarsteller, der, mit der Realität konfrontiert, dazu tendiert, die Contenance zu verlieren. Ein schwacher Typ.

Die Wahrheit bricht sich Bahn. Sie möge sich beeilen. Die Wahlen finden in drei Wochen statt.