Leitartikel: Christian Rainer

Alt durchstarten

Alt durchstarten

Drucken

Schriftgröße

Man müsse bloß „neu durchstarten“. So zitiert „SPÖ Aktuell“ Werner Faymann, und das sozialdemokratische Wochenblatt macht gleich den Titel des zugehörigen Interviews daraus. Was soll der neue SPÖ-Obmann denn auch sonst sagen? Er könnte allenfalls „erneut durchstarten“ sagen oder „erneuert durchstarten“. Das ergäbe zumindest sprachlich ein wenig Sinn. „Neu durchstarten“ tut das nämlich nicht, zumal „alt durchstarten“ keine Sprachbedeutung hat.

Einfach nur „durchstarten“. So würde es bei einem Flugzeug heißen.
Aber vielleicht beschreibt „alt durchstarten“ die Situation ja doch wesentlich besser. Was hat sich denn geändert, seit Alfred Gusenbauer am Montag der vergangenen Woche in einer beispiellosen Aktion die ihm entgleitende Macht in der Mitte teilte, um wenigstens eine Hälfte festhalten zu können, um wenigstens an einer Hälfte festhalten zu können? Wir riefen an jenem Montag beim Wiener Bürgermeister an, um zu beklagen, dass er nichts von den SPÖ-Plänen vorab hatte durchblicken lassen. Die Reaktion aus dem Rathaus ließ schon zu diesem Zeitpunkt keinen Zweifel daran, dass Michael Häupl nichts gewusst hatte. Ein Coup, was Gusenbauer und Faymann da inszeniert haben, zwar nicht gegen den Staat gerichtet, aber gegen die SPÖ-Statuten und vor allem gegen die geübten Regeln der ­Kaderpartei.

Hat man als Leitartikler eine klare Meinung darüber zu äußern, was vergangene Woche geschehen ist und welche Konsequenzen es haben wird? Oder war das nicht nur eine so genannte „innerparteiliche Angelegenheit“, ein Ausdruck, mit dem die Öffentlichkeit stets dann beworfen wird, wenn Politiker unangenehme Antworten zur Verfasstheit ihrer Organisation schuldig bleiben? Joachim Riedl wählt in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ die Überschrift „Hauptsache, Kanzler“. Dem kann profil gut zustimmen, waren diese Worte doch die Coverzeile der Ausgabe vom 8. Jänner 2007. Das sollte damals heißen, Gusenbauer habe in den Koalitionsverhandlungen alle Inhalte geopfert, um Regierungschef zu werden. Jetzt heißt es, er habe den Parteivorsitz abgegeben, um Kanzler zu bleiben.

Aber was heißt’s fürs Land? Das kann gutgehen. Herr Faymann, ein sehr verbindlicher Mann, könnte die SPÖ wieder vereinen, sodass die Partei und in der Folge die Regierung wieder regieren kann. Wenn es nicht funktioniert, fällt es auf die Sozialdemokraten zurück, nicht auf die Republik. Michael Fleischhacker sieht in den Ereignissen den Beweis, dass Österreich ein Mehrheitswahlrecht brauche. Der „Presse“-Chefredakteur fordert seit Jahr und Tag eine entsprechende Verfassungsänderung. Die Diskussion darüber gehört zu den interessanteren Auseinandersetzungen im Land, wenn auch eine Verbindung zum Wechsel an der SPÖ-Spitze nicht zwingend zu erkennen ist.

Christian Ortner wiederum, ebenso in der „Presse“, bezeichnet Gusenbauer als „Genosse Strachemacher“. Er meint, von den „sozialdemokratischen Personalien“ werde die FPÖ „sicher profitieren“, die laut Ortner und laut „nicht veröffentlichten Umfragen mittlerweile bei 25 bis 30 Prozent“ liege. Auch hier ist bestenfalls ein indirekter Zusammenhang zu sehen: zwischen dem konsequenten Nähren der Politikverdrossenheit und dem Erstarken des rechten Lagers. (Bemerkenswert allerdings: Ortner war ab dem Jahr 2000 ein besonders lauter Vertreter der Meinung gewesen, der Tabubruch einer freiheitlichen Regierungsbeteiligung würde die FPÖ ein für alle Mal entzaubern.)

Fazit: Der Wechsel an der SPÖ-Spitze ist weitgehend bedeutungslos für Österreich. Und für die Roten ist er nicht „das Ende der Sozialdemokratie, die schlimmste Situation in der Geschichte der Bewegung“, wie ein Kollege meint, der einst in der „Arbeiterzeitung“ gedient hat: Er vergisst die dunklen Stunden nach der Nationalratswahl 1999, als ein depressiver Viktor Klima einfach verschwand und der unbekannte Alfred Gusenbauer an die Spitze gedrängt wurde und drängte. Seither verlor die SPÖ viele Wahlen, gewann aber nicht nur den Kanzler, sondern vor allem Salzburg und die Steiermark – ausgerechnet jene Länder also, die diesem Kanzler nun besonders augenfällig die Loyalität verweigerten.

Was bleibt von Gusenbauer? Es bleibt die Erinnerung an einen Menschen, der wie kaum ein anderer Politiker zuhören konnte, dem in der Kombination aus Wissen und Intelligenz niemand das Wasser reichte, der aber all das nicht zu zeigen wusste, sobald sich Kamera und Mikrofon näherten. Von seiner Politik bleibt vor allem die Wiederbelebung der Diskussion um die Schulen, die über Jahrzehnte niedergehalten worden war, aber es bleibt auch die Erinnerung an das ständige politische Stolpern des Kanzlers und an seine Arroganz gegenüber der eigenen politischen Klasse. Das bleibt von Alfred Gusenbauer. Aber vielleicht bleibt er ja selbst.