Alt ist nur ein Wort

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„Alt ist ein Siebzehnjähriger, der sich nicht mehr von der Couch erhebt“ Erek Lingam, medicus

Diese Kolumne hat zum Ziel, den Begriff „alt“ als Phänomen der Zwischenmenschlichkeit, der Politik, der Ökonomie, der Technologie und Kunst abzuklopfen.

Es gibt wunderbare, auch literarisch hochwertige Abhandlungen über das Alter, wie jene von Simone de Beauvoir, der geduldigen Gefährtin von Jean-Paul Sartre. Diese sind aber alt, überholt und helfen heute nicht weiter. Sie erlauben keine bequemen Verallgemeinerungen.

Es fängt schon damit an, dass sich derzeit niemand zutrauen würde, eine Grenze zu ziehen: Ab wann, gewissermaßen offiziell, ist ein Mann oder eine Frau alt?
In der Neandertalerzeit war einer mit 29 ein Greis. Wer hingegen Ernst Jünger in der Zielgeraden seines Lebens sah, hätte den Beginn des Alters mit 104 festgehalten, da Jünger mit 103 Jahren noch geistig frisch und schön geblieben war. Auf jeden Herrn Jünger kommen zehn Frauen, für die das Gleiche gilt, da Frauen länger halten als Männer. Astrid Lindgren trieb noch als resche 94-Jährige ihre Regierung zum Wahnsinn, weil man ihr als geistiger Mutter von Pippi Langstrumpf einen Steuersatz von 102 Prozent vorschrieb.

Europäer zählen ungern zu den Alten. Grund: Man lässt diesen wenig Würde. Etwas anders sieht es in asiatischen Ländern wie Japan, Korea und China aus. Zwar müpft auch dort die Jugend auf. Doch was die Parlamente und die Räte der Weisen betrifft, ist jeder unter 70 ein aufstrebendes Talent und jeder unter 60 ein Skandal.
Die Südamerikaner sind wiederum anders. Sie definieren Jugend und Alter weniger vom Kopf her. Nobelpreisträger Gabriel García Márquez, 77, schreibt in seinem neuen Roman „Erinnerung an meine traurigen Huren“ von einem 90-Jährigen, der sich im Bordell der Rosa Cabarcas eine Jungfrau kauft und sich dabei – erstmals und keineswegs verfrüht – verliebt.

Ein Grenzalter zwischen Jugend und Alter ist nicht darstellbar. Dies ist auch psychologisch korrekt. Jeder halbwegs gesunde, kämpferische Erwachsene sieht sich immer in der Hälfte des Lebens, unabhängig von seinem kalendarischen Ablaufdatum. Das ist eine der schönsten Einrichtungen unserer menschlichen Ausstattung.

Das Politische ist schnell dargestellt: Es geht nicht an, dass sich die produktiven Generationen, die aus 50 guten Jahren vieles geerbt haben, an den Alten vergreifen, die endlich auf eine Haltbarkeit von Frieden und Verträgen hoffen durften. Die Politiker dürfen freilich die Zukunftsverträge neu formulieren. Sie haben in Gestalt der momentanen Regierung meinen Respekt, da sie diese Aufgabe gegen Versäumnisse der Vorgänger versuchen und gegen tausend Teufel in tausend Details den Kampf aufnahmen.

Das Ökonomische: Weder die Alten noch die Jungen sind alleine das Gelbe vom Ei. Es gingen alte und junge Unternehmer im Wechselbad von Risiko und Chance zugrunde. Andere Alte und Junge wurden reich und berühmt.

Dennoch fiel man von einem Extrem ins andere, von einer Alten-Diktatur in einen Jugendwahn. Bis Ende der sechziger Jahre waren die alten, militärisch organisierten Wirtschaftsautoritäten alles. In den siebziger Jahren gab es ausnahmsweise ein Unentschieden, da die Jungen und die Alten alle Hände voll zu tun hatten, die Inflation infolge der zwei Erdölpreis-Krisen zu bekämpfen. Die achtziger Jahre wurden zu den Yuppie-Jahren. Es kam zu einem Jugendkult und der interessanten, ex logo hirnweichen Idee, ein jeder könne von Wertpapieren besser leben als von harter Arbeit – wie ein Stamm, der lauter Häuptlinge, aber keine Indianer kennt. Spätestens ab Ende der neunziger Jahre wurden die smarten Jung-Stars verflucht. Sie hatten die erste Welle der New Economy verpfuscht, weil sie zu schnell auf Hi-Tech und Telekom und Internet setzten.

Heute ist man in Fragen des richtigen Unternehmeralters lauwarm, also klüger. Man unterschätzt weder die Energie der Jungen noch die Erfahrung der Alten. Die Jungen kriegen weiterhin Gründungskredit, müssen nun aber nachweisen, dass sie Umsatz von Gewinn unterscheiden können. Die Alten, vordem ein Auslaufmodell, werden zu hunderttausenden zurückgeholt oder als Konsulenten rekrutiert, weil sie wissen, was Marketing, Break-even-Point und doppelte Buchhaltung heißt.

Zum Thema Kunst entnehmen wir dem Buch „Meine Sicht der Welt“ von Rupert Riedl, 79, einen wärmenden Absatz: „Man wird vor Augen haben, welchen Weg unsere Künste, vom Gelalle erster Beschwörungen zu Goethes ‚Faust‘, vom Gejohle zu Mozarts Sonaten, von den Körperbemalungen zu den Fresken in der Sixtina, genommen haben. Für mich ist dieser Weg einer der schönsten, den wir Menschen zurückgelegt haben.“

Dumm nur, dass die Alten auf diesem Weg zuverlässig das Neue entsetzlich fanden. Speziell heute, da wir am Ende aller leicht lernbaren Ismen (Surrealismus, Expressionismus, Kubismus etc.) in einer All-Media-Crossover-Zeit landeten, sind zirka 100 Prozent aller alten Kunstkonsumenten überfordert. Wohin das Pendel ausschlagen wird, liegt auf der Hand. Die nächste neue Kunst wird die älteste der Welt sein, ein krasser Naturalismus.

Ein prominenter Wiener Maler, den wir herzlich mögen, der sich aber stilistisch seit Jahrtausenden nicht vom Fleck gerührt hat, wird den neuen Malern zurufen:
„He, ihr Hasen! Ich heiße Fuchs und bin ein Igel und bin längst schon da.“