Amerika unser

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In Wiener Volksschulklassen wurde Ende der fünfziger Jahre gern ein Film gezeigt, der kurz zuvor gedreht worden war. Der beliebte Schauspieler Josef Meinrad bereiste in dieser rührenden Frühform einer Dokumentation die Vereinigten Staaten und kam aus dem Staunen nicht heraus: Die Wolkenkratzer und Geschirrspüler, das Fernsehen und die Straßenkreuzer, die Supermärkte, die riesigen Flugzeuge, die gewaltigen Autobahnen – das musste man gesehen haben!

Filme wie dieser wurden von der US-Regierung mitfinanziert. Auch talentierte junge Journalisten ließ das US-„Information Service“ aus Österreich und anderen europäischen Ländern einfliegen, um sie von den Vorzügen von Demokratie und Marktwirtschaft zu überzeugen. Hugo Portisch war damals einer der Auserwählten. Er ist bis heute ein Freund Amerikas.

Die Propagandaoffensive wäre damals nicht nötig gewesen: Gerade die Österreicher wussten um die Vorteile des „westlichen Systems“. Die Fahrzeit von Wien bis zum Eisernen Vorhang betrug auch damals nur eine knappe Stunde.

Bedenkliche Vorgänge in den USA, wie etwa die Hexenjagd des Senators Joseph McCarthy gegen tatsächliche und angebliche Kommunisten, beschäftigten hierzulande nur einige Intellektuelle. Friedrich Torberg, der strenge Zuchtmeister, trieb ihnen in seinem „Forum“ antiamerikanische Flausen schnell aus. Die Amerikaner, das waren die Freunde. Bloß einige wenige Kommunisten und etwas mehr alte Nazis wollten das nicht so sehen.

Mit Vietnam änderte sich das. So klar wie einst war es plötzlich nicht mehr, dass der Hort der Freiheit und der Gerechtigkeit ausschließlich an den Ufern des Potomac lag. Fast der gesamte südliche Halbkontinent Amerikas wurde damals, Anfang der siebziger Jahre, von brutalen Diktatoren beherrscht, die sich durchwegs des Wohlwollens Washingtons erfreuten. Ihre Schergen wurden von der CIA in Verhör- und Folterschulen in Panama ausgebildet.

Und dennoch war selbst für jene, die „Vietnam wird nie/Ami-Kolonie“ skandierten, Amerika nicht nur My Lai, sondern auch die Beach Boys, nicht bloß Richard Nixon und Billy Graham, sondern auch Arthur Miller, Woody Allen und Bob Dylan. Es war das Land der großen Zeitungen, die mutig der Macht die Stirn boten. Die Kollegen von der „Washington Post“, die den Watergate-Skandal aufdeckten, hatten bei jungen Journalisten den Status von Halbgöttern.

Das alles sei vorausgeschickt, um die Ambivalenz der Gefühle der kritischen Freunde der Vereinigten Staaten darzustellen.

Nun schreibt Kollege Christian Ortner in der „Presse“ sinngemäß, die Kritiker der Vorgänge im Irak mögen sich nicht so aufpudeln: „Selbst der gerechtfertigste aller Kriege bringt es geradezu zwingend mit sich, dass Kriegsverbrechen geschehen.“ Titel der Kolumne: „Die Freiheit und ihre Nebenkosten“. Auf Seite eins desselben Blattes meint Chefredakteur Andreas Unterberger, die Kritiker der Vorgänge in den irakischen Gefängnissen sollten sich ebenso laut zu Wort melden, wenn es um die Behandlung tschetschenischer Häftlinge in Russland oder kurdischer Gefangener in der Türkei geht.

Zu Ortners Zeilen ist wenig zu sagen: Dass es sich im Irak um den gerechtfertigsten aller Kriege handelt, bezweifeln inzwischen selbst hohe Kreise der US-Politik; warum Menschenwürde nur durch Verletzung derselben errungen werden kann, leuchtet ebenso wenig ein; und Kriegsverbrechen „geschehen“ nicht, sondern sie werden begangen und meist sogar strategisch eingeplant.

Anders ist es mit Unterberger. Abgesehen davon, dass ja niemand für Folter an Tschetschenen eintritt und dass andere schon für die Rechte der Kurden demonstrierten, als diese in der „Presse“ noch als eine Art Terrorbande dargestellt wurden: Unterbergers Methode des Gegenwägens zeigt, dass er die solidarische Kritik an den USA nicht verstanden hat.

Natürlich kommt niemand auf die Idee, die Vereinigten Staaten auf eine Stufe mit irgendwelchen orientalischen Despotenregimen zu stellen; natürlich erwartet man sich von der mächtigsten Demokratie der Welt einen sensibleren Umgang mit demokratischen Werten als vom eben jahrhundertelanger Barbarei entwachsenden Russland; natürlich legt man an sie strengeren Maßstab an als an irgendwelche Schwellenländer.

Darum stimmt es ja so nachdenklich, dass die heillos überforderte Bush-Administration all das über Bord wirft, was das aufgeklärte Europa trotz allem an die globale Mission der USA glauben ließ: „Embedded journalists“ erzählen nur noch einen Teil der Wahrheit, einst stolze Flaggschiffe der Medienfreiheit geben klein bei, kritische Regisseure wie Michael Moore werden von den Studiobossen geschurigelt. Der Präsident bestellt sich Gutachten, wonach die Genfer Konvention weder in Afghanistan noch im Irak oder in Guantanamo Geltung habe. Söldner foltern gemeinsam mit Soldaten Gefangene.

Das sind nicht mehr die USA, die uns Josef Meinrad zeigte. Diese USA brauchen nicht mehr Bewunderung, sie brauchen Kritik.