AMS-Skandal: Affäre erfasst Prominente

AMS-Skandal: Wie Prominente und Banken ins Pyramidenspiel involviert wurden

Exklusiv: Das Geständnis des Buchhalters

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Von Josef Barth und Michael Nikbakhsh

Es mag zunächst nur ein Freundschaftsdienst gewesen sein. Ein Spitzenbeamter soll einem finanziell maroden Amigo aus der Patsche geholfen haben. Er muss dafür zwar Regeln beugen, aber nur ein bisserl – und weil der Bittsteller versprochen hat, das Geld raschest zu refundieren, wird’s schon keinem auffallen.

Was einst angeblich mit einer kleinen Gefälligkeit begann, wächst sich nun zu einem handfesten Skandal um verschwundene Steuermillionen aus, dessen Dimension nicht annähernd zu ermessen ist. Tatsache ist, dass da in den kommenden Wochen noch einiges auf die Regierung zukommen wird. Denn wie groß der Schaden tatsächlich ist und welchen Behörden und Ministerien die dunklen Machenschaften wann hätten auffallen müssen, ist noch lange nicht geklärt.

Wie profil vergangene Woche enthüllte (Nr. 6/09), soll Wolfgang W., leitender Beamter der dem Finanzministerium unterstellten Bundesbuchhaltungsagentur (Buhag), Millionen von Arbeitsmarktgeldern verschoben haben. Begünstigter: Kurt Datzer, Gründer des mittlerweile insolventen Wiener Schulungsinstituts „Venetia“, das im Auftrag des Arbeitsmarktservice (AMS) Arbeitslose unterrichtete. Die mutmaßlichen Täter wurden vergangene Woche, unmittelbar nach Erscheinen der profil-Story, verhaftet. Die Verdachtsmomente der Justiz wiegen schwer: Amtsmissbrauch, Untreue, schwerer gewerbsmäßiger Betrug, Geldwäsche. Für alle Beteiligten gilt bis zu allfälliger rechtskräftiger Verurteilung die Unschuldsvermutung.

Wiewohl die neue Korruptionsstaatsanwaltschaft und das Büro für interne Angelegenheiten (BIA) mit ihren Ermittlungen erst am Anfang stehen, legen profil-Recherchen eine Vermutung nahe: Kurt Datzer und Wolfgang W. haben über einen Zeitraum von zumindest eineinhalb Jahren ein gewaltiges Pyramidenspiel mit Steuergeldern aufgezogen – und dabei dutzende Geldgeber, unter ihnen möglicherweise Großbanken und sehr prominente Österreicher, zu unfreiwilligen Komplizen gemacht. Der Grüne Karl Öllinger vermutet, dass einzelne Transaktionen bereits im Jahr 2005 ihren Ausgang genommen haben. Mitte dieses Jahres erstattet er sogar Anzeige gegen Datzer bei der Staatsanwaltschaft – doch immer noch kümmerte es sonst niemanden.

Luxushotels und Goldminen. Kurt Datzer, Gründer und Chef der Wiener Aus- und Weiterbildungseinrichtung Privatinstitut Venetia Erwachsenenbildung GmbH, soll jedenfalls ab 2007 begonnen haben, Investoren unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Geld abzuknöpfen. Dem Vernehmen nach soll er potenzielle Financiers wahlweise in der Lobby von Wiener Luxushotels oder in der Café-Konditorei Aida in der Wiedner Hauptstraße empfangen haben. Um an Kapital zu kommen, soll er laut Anlegern von Millionen schwadroniert haben, die ihm das Arbeitsmarktservice für seine Leistungen schulde, und fantasierte von ­gewinnbringenden Projekten, in die er so gern investieren würde, aber nicht könne, weil er „gerade nicht tagesliquid“ sei: vom tollen Hotel, das er in Salzburg oder Tirol kaufen wolle; von der Goldmine, die mal in Ecuador, mal in Tschechien bis zu 30 Millionen auszuschütten versprach.

In Summe dürfte Datzer zwischen 2007 und 2009 mit zumindest zwei Dutzend Investoren aus Österreich, Dänemark, der Schweiz und der Slowakei in Kontakt gewesen sein, und nicht wenige legten tatsächlich Summen zwischen 50.000 und 500.000 Euro bei ihm an. Vermittelt wurden einige dieser Kreditgeschäfte nach Aussagen von Kleinanlegern vom ehemaligen Tennisprofi Thomas P., der mit seiner mondänen Dachterrassenwohnung in einem Wiener Nobelbezirk als exquisites Aushängeschild für lukrative Geschäfte herhielt. Gegenüber profil ist von P.s Eloquenz am Telefon weniger zu spüren: „Ich habe niemanden vermittelt. Danke schön, wiederhören!“ Datzers Angebote waren jedenfalls verlockend: Er borgte sich beispielsweise 50.000 Euro aus und versprach deren Tilgung mit einem Aufschlag von gleich 12.500 Euro oder 25 Prozent. Und das in nur drei Monaten. Eine aberwitzige Verzinsung. Um diese zu erreichen, soll Datzer zunächst auf altbewährte Mittel zurückgegriffen haben: Er zahlte bestehende Anleger aus, indem er sich an den Geldern neuer Investoren vergriff.

Brief und Siegel. Ein klassisches Pyramidenspiel also. Mit einem willfährigen Helfer: Wolfgang W., Bereichsleiter der Bundesbuchhaltungsagentur. W. soll jedenfalls ab Mitte 2007 begonnen haben, falsche „Schuldscheine“ zu fabrizieren, mit denen Datzer bei Anlegern hausieren ging. Darin wurden „offene, unstrittige“ (aber tatsächlich inexistente) Forderungen vom Privatinstitut Venetia gegenüber dem Arbeitsmarktservice bestätigt – mit Brief und Siegel des Bundes. Nicht nur Kleinanleger ließen sich mit dem Trick blenden. Auch bei Wirtschaftsgrößen soll er damit vorstellig geworden sein – und das bis wenige Tage vor seiner Verhaftung vergangene Woche. Mehreren Anlegerkonsortien soll Datzer die von W. unterfertigten Phantom-Schuldscheine in der Höhe von bis zu 52 Millionen Euro parallel angeboten haben.

In den Akten der Ermittler finden sich Hinweise auf involvierte Banken sowie Namen Prominenter aus Politik und Wirtschaft. So überlegte der Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich, Ludwig Scharinger, noch zehn Tage vor Datzers Verhaftung, für einen Kunden ein Engagement bei Venetia zu finanzieren – vorbehaltlich eingehender Plausibilitätsprüfung. Der Deal kam nicht zustande. Auch bei Erste Bank und Hypo Alpe-Adria sollen krumme Schuldpapiere aufgetaucht sein. Beide Häuser legen aber Wert auf die Feststellung, mit all dem nichts zu tun zu haben. Und ein weiterer großer Name ist bereits aktenkundig: Hannes Androsch. Dem Indus­triellen und Finanzminister a. D. soll eine Investition zumindest angeboten worden sein. Es ist allerdings nicht belegt, dass er tatsächlich Geld veranlagt hat. Aus Androschs Büro heißt es dazu: „Von einem derartigen Geschäftsfall wissen wir nichts.“

Unabhängig davon führt auch eine Spur nach Liechtenstein. Der Name eines österreichischen Datzer-Anlegers findet sich just auf der ominösen Steuer-CD, die 2007 deutschen Behörden zugespielt wurde und Steuersünder aus Liechtenstein nennt. Gegen besagten Kitzbüheler Geschäftsmann ermittelt die österreichische Justiz bereits wegen mutmaßlicher Steuerhinterziehung. Und es dürfte nicht die einzige Spur nach Liechtenstein sein. Wie das Wechselspiel zwischen Datzer und Wolfgang W. gelaufen sein soll, offenbart jetzt ein profil vorliegender Erhebungsbericht der Bundesbuchhaltungsagentur. Dieser wurde im Zuge einer ersten Einvernahme des mittlerweile suspendierten Bereichsleiters erstellt – und könnte als Drehbuch für einen Krimi allererster Güte dienen.

Anwalt und Treuhänder. Am 6. Juli 2007 habe Wolfgang W. „namens der Buchhaltungsagentur des Bundes“ erstmals Unterschrift und Rundstempel unter ein schmuckloses Schreiben gesetzt. Darin bestätigt er die Existenz einer „offenen und unstrittigen Forderung“ des ­Privatinstituts Venetia gegenüber dem Ar­beitsmarktservice in der Höhe von exakt 1.792.826,76 Euro. Adressat: eine „M&P Mühlethaler und Partner Unternehmensberatung AG“ mit Sitz in Aeschi im Schweizer Kanton Solothurn. Die Gesellschaft, angeblich spezialisiert auf „Unternehmensberatung sowie Erwerb, Veräußerung und Verwaltung von Beteiligungen“, hat bis dahin international keinerlei Spuren hinterlassen, steht aber offensichtlich Venetia-Gründer Datzer nahe. Wolfgang W. soll sich schriftlich verpflichtet haben, die genannten 1,79 Millionen Euro bis spätestens 30. November 2007 auf das Konto eines österreichischen M&P-Treuhänders zu zahlen: an einen Wiener Rechtsanwalt.

Wie sich jetzt herausstellt, hat Venetia-Gründer Datzer seine angeblichen Ansprüche gegen das Arbeitsmarktservice zu diesem Zeitpunkt bereits zu Geld gemacht. M&P hat laut Ermittlungsakten bereits am 28. Juni 2007 einen annähernd gleich hohen Betrag an Venetia überwiesen. Aufgrund der illegalen „Forderungszession“ durch Wolfgang W. steht jetzt aber nicht Venetia bei M&P in der Kreide, sondern das AMS.

Gegenüber den Revisoren der Bundesbuchhaltungsagentur gestand W. am 27. Jänner dieses Jahres, er habe erst hinterher bemerkt, dass Datzer zwar tatsächlich Forderungen gegenüber dem AMS hatte, aber bei Weitem nicht in dieser Höhe. In dem Einvernahmeprotokoll heißt es wörtlich: „Hr. Datzer ist an mich herangetreten und hat gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen, er habe einen Freund und Geschäftspartner, der alle offenen Forderungen … begleichen wird, die Abwicklung werde aber noch dauern …“ Tatsächlich geschieht bis 30. November 2007 aber nichts, die zugesagten Zahlungen von Datzers „Freund und Geschäftspartner“ bleiben aus. W. weiter: „Eskaliert ist die Situation knapp vor Weihnachten 2007, als ich ständig Drohanrufe bekommen habe, und zwar von Käufern, die die Forderungen des Hrn. D. am freien Markt über die Firma Mühlethaler und Partner in der Schweiz erworben hatten.“ Mittlerweile scheint klar, dass M&P die von W. bestätigten Scheinforderungen von Venetia an Kunden in der Schweiz und Österreich weiterverkauft hat. „Vor Silvester 2007 waren diese Drohanrufe bereits unerträglich, fast alle 10 Minuten, es wurde mir gedroht, dass die Sache auffliegt“, so Wolfgang W. in seinem Geständnis. „Situationsbedingt habe ich dann versucht, die Sache zu bereinigen, z. B. durch Ausstellen weiterer Bestätigungen und „Schieben“ der Zahlungsfrist …“

Spätestens ab jetzt steht der Oberbuchhalter des Bundes auf dünnem Eis. Die Gelder aus der Schweiz sind offenbar verschwunden, die Investoren fordern ihr Geld zurück: „In der Folge habe ich einen fatalen Fehler gemacht und dabei auch das Vertrauen meiner Mitarbeiter missbraucht: Ich habe … gegenüber meiner Kollegin Fr. K. behauptet, es gäbe einen Subventionsakt mit Subventionsempfänger Fa. Venetia. Ich habe Fr. K. … gesagt, dass dann ein Akt kommen werde mit Tilgungsplan, Zinsberechnungen und dergleichen.“

Dänemark und Slowakei. Mit anderen Worten: Um die eigenen Spuren zu verwischen und im Glauben, das Geld werde irgendwie wieder her­einkommen, setzt Wolfgang W. laut eigenem Geständnis mithilfe seiner völlig ahnungslosen Assistentin K. ein schwindelerregendes Geldkarussell in Gang. Über das bundeseigene Konto der Arbeitslosenversicherung, auf das er von Amts wegen Zugriff hat, soll W. zwischen 4. Jänner und 1. September 2008 insgesamt 19 illegale Zahlungsanweisungen in der Höhe von 16,5 Millionen Euro getätigt haben. „Nachdem das Geld wieder nicht kam, hatte ich vor aufzuhören, durch die Aussicht, dass doch noch Geld kommen könnte, habe ich jedoch weitergemacht und weitere unrichtige Bestätigungen ausgestellt. Ich habe Hrn. D. aber immer gesagt, dass dies noch 2008 geschehen müsse, um den Saldo des AMS-Wien-Kontos auf null zu stellen.“

Das Geld fehlt bis heute, dafür klafft auf dem Konto der Arbeitslosenversicherung jetzt ein gewaltiges Loch. Auffallend: Von den bisher bekannten 16,5 Millionen Euro gingen insgesamt 3,6 Millionen Euro direkt an Kurt Datzers Privatinstitut Venetia. 4,4 Millionen Euro wanderten zu acht profil namentlich bekannten „Investoren“ mit Wohnsitzen in Österreich, Dänemark und der Slowakei. Der weitaus größte Teil an Steuergeldern aber, exakt 8,5 Millionen Euro, floss auf ein Konto der Wiener Privatbank AG, Tochter der Raiffeisenlandesbank (RLB) Oberösterreich. Zeichnungsberechtigt: der besagte Wiener Anwalt, Treuhänder von Mühlethaler und Partner. Über den Verbleib dieser Summe ist vorläufig nichts bekannt. Der Anwalt wurde Donnerstag vergangener Woche wegen mutmaßlichen Betrugs und Geldwäsche verhaftet. Es gilt die Unschuldsvermutung. Die RLB Oberösterreich wollte die Vorgänge ihrerseits mit Hinweis auf das Bankgeheimnis nicht kommentieren. „Ich kann versichern, dass wir die Geldwäschebestimmungen zu 100 Prozent eingehalten haben“, so Sprecher Harald Wetzelsberger.

Schaden und Staatshaftung. Völlig unklar bleibt, welche Summe Datzer auf Grundlage gefälschter Schuldscheine tatsächlich bei Anlegern eingesammelt hat – und welche Ansprüche aus diesem Titel noch auf die Republik zurollen könnten. Nach Erkenntnissen des Büros für interne Angelegenheiten geht die Schadenssume weit über die von Wolfgang W. unrechtmäßig überwiesenen 16,5 Millionen Euro hinaus. Es wird vermutet, dass er bisher nicht getilgte Schuldscheine im Volumen von weiteren 50 Millionen Euro in Umlauf gebracht haben könnte. Damit läge der Schaden bei bis zu 70 Millionen Euro, möglicherweise auch mehr.

Buchhalter W. war hier eher keine Hilfe: „Unterlagen zu den diversen Bestätigungen und Transaktionen habe ich mir entweder nie aufgehoben oder zu dem Zeitpunkt, als ich aus der ganzen Sache aussteigen wollte, vernichtet“, sagte er bei seiner ersten Einvernahme. Ob Datzers Investoren, allen voran der eidgenössische Finanzvermittler Mühlethaler und Partner, von den Machinationen im Hintergrund Kenntnis hatten, werden die weiteren Ermittlungen zeigen. Das M&P-Büro in ­Aeschi war Freitag vergangener Woche verwaist, eine Stellungnahme nicht zu bekommen.

„Auch wenn mir das wahrscheinlich niemand glaubt, ich persönlich habe keinen einzigen Cent für meine Tätigkeiten erhalten“, resümiert W. Das glaubten ihm nicht einmal die Buhag-Revisoren – in dem Dossier heißt es dazu: „Inwieweit diese teilweise realitätsfremd anmutenden Rechtfertigungen den Tatsachen entsprechen, wird durch weitere Erhebungen zu klären sein.“ Kurt Datzer scheint sich bis zuletzt sicher gefühlt zu haben. Samstag vorvergangener Woche soll er in seiner Stammkonditorei Aida noch seelenruhig eine Melange genossen haben – während die Radio-Nachrichten bereits die profil-Enthüllung über Datzers mutmaßlichen Millionenbetrug zitierten.

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Das Netzwerk
Als Kurt Datzer in den frühen neunziger Jahren die ersten Aufträge des AMS für sein Kursinstitut Venetia bekam, ahnte niemand, wohin das alles führen könnte. Jahrelang schickte das Arbeitsmarktservice Arbeitslose zu ihm zur Schulung und bezahlte aus den dafür vorgesehenen Fördertöpfen. Als Venetia in Zahlungsschwierigkeiten kam, dürfte das Spiel mit Schuldscheinen der Republik für nicht mehr existente Leistungen begonnen haben. Die entsprechenden Spuren führen mittlerweile weit über Österreich hinaus. Abgesehen vom Fall der Transaktionen mit der Schweizer Firma Mühle­thaler und Partner, in dem die Korruptionsjäger auch gegen einen vierten Beteiligten, Peter L., ermitteln, dürfte es Verstrickungen nach Deutschland, Tschechien und vor allem Liechtenstein geben. Auch ein Konnex zur legendären CD mit Steuersündern, die den deutschen Behörden zugespielt wurde, ist nicht auszuschließen. Die Firma Venetia ist nach einem langen Verfahren seit vergangener ­Woche übrigens in Konkurs.

Die Ermittler
In den Nächten der vergangenen Woche kam Friedrich Alexander König kaum zum Schlafen. Bei mehreren Hausdurchsuchungen war der Staatsanwalt selbst dabei, hat Akten studiert, versucht, Geldflüsse nachzuvollziehen. Der Ermittler in der AMS-Causa führte schon die Anklage in der Visa-Affäre sowie die Verfahren gegen die ehemaligen Polizeigranden Ernst Geiger und Roland Horngacher. Der AMS-Skandal ist der erste wirkliche Fall der Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft. Die neu geschaffene Behörde hat erst vor wenigen Wochen, mit 1. Jänner, ihren Dienst aufgenommen. In den strahlend weißen noch nicht fertig eingerichteten Wiener Amtsräumen sollen künftig 15 bis 20 Saubermänner gegen Filz, Bestechung und Mauscheleien ermitteln, derzeit sind sie noch zu dritt. Sie kooperieren mit den Korruptionsjägern des Büros für interne Angelegenheiten (BIA).