Amtsgeheimnis

ÖVP. Mit einem Notariatsakt wollte der neue EU-Abgeordnete Hubert Pirker seine Integrität beweisen

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Politiker sind normalerweise nicht medienscheu – vor allem dann nicht, wenn sie gerade im Begriff sind, ein neues Amt anzutreten. Dem Wähler muss schließlich alles Mögliche mitgeteilt und erklärt werden. Da kann es gar nicht genug Interviewtermine geben.

Hubert Pirker bildet in dieser Hinsicht die große Ausnahme. Anfang vergangener Woche stellte sich der designierte neue EU-Parlamentarier der ÖVP einfach tot. Anrufe wurden tagelang nicht entgegengenommen; es gab nicht einmal eine Mailbox, die einen Rückruf in Aussicht stellte. Am Mittwoch schließlich meldete sich Pirker zurück. Er verschickte eine Aussendung mit dem ­Titel: „Es gab niemals Lobbyingaktivitäten.“ Als Beweis für diese Behauptung war eine notarielle Bestätigung beigefügt, „dass keiner der Aufträge jemals Kontakte zu einzelnen politischen Mandatsinhabern noch zu (…) politischen Institutionen beinhaltet hat“.
Nach Pirkers Dafürhalten reicht das nun wirklich. Das Kapitel seiner unternehmerischen Tätigkeit sei abgeschlossen, ließ er ausrichten. Es gebe keine offenen Fragen mehr.

Oh doch, die gibt es. Pirkers seltsame ­Aktion wirft sogar mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Die wichtigste: Was hat der neue Europaparlamentarier zu verbergen, dass er es für nötig hält, sich hinter einem Notariatsakt zu verstecken?

„Rechtzeitige Einflussnahme“. Bekanntlich ist der Nachfolger des über eine Korruptionsaffäre gestolperten Ernst Strasser („Of course I’m a lobbyist“) geschäftlich ebenfalls nicht ganz unverdächtig. Von Oktober 2009 bis vor wenigen Tagen betrieb Hubert Pirker ein Unternehmen namens EU Triconsult, das auf seiner (mittlerweile gelöschten) Homepage allerlei Dienstleistungen anbot: Seine Agentur sei die einzige, „die Ihnen aufgrund meines spezifischen Erfahrungshintergrunds direkte Zugänge und persönliche Kontakte zu den Entscheidungsträgern und Gesetzgebern auf europäischer Ebene ermöglicht“. Außerdem versprach Pirker seinen Kunden frühzeitige Information über EU-Vorhaben und die „Möglichkeit der rechtzeitigen Einflussnahme“ – klassische Lobbyingarbeit also.

Der Bleiburger Notar Bernhard Wenger ließ sich nun die Geschäftsunterlagen Pirkers zeigen und stellte ein Unbedenklichkeitszeugnis aus. Welche Papiere er gesehen hat, will Wenger nicht verraten: „Das unterliegt der Verschwiegenheitspflicht. Aber ich gehe davon aus, dass die Unterlagen vollständig waren.“
ÖVP-Generalsekretär Fritz Kaltenegger hatte eigentlich gefordert, dass Pirker seine Kundenliste offenlege. Nun muss er mit einem dünnen Brieflein vom Notar zufrieden sein. Er halte dies „für einen klugen und richtigen Schritt“, erklärte Kaltenegger. Auch der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer, zuvor noch sehr erbost über die Zustände in seiner Partei, gibt sich wieder friedlich: „Ein Notariatsakt ist ein hochwertiges Dokument. Der Notar würde sich strafbar machen, wenn es nicht stimmt.“

Tatsächlich wurde hinter den Kulissen durchaus beherzt versucht, Hubert Pirker zum Mandatsverzicht zu überreden. Doch der 62-jährige Langzeitpolitiker ließ sich nicht weichklopfen. Drei Jahre im EU-Parlament sind ein zu schöner Karriereabschluss. „Der Wählerwille darf nicht gebrochen werden“, argumentierte er pathetisch und auch nicht ganz logisch. Denn der ­Wählerwille hatte 2009 eigentlich verfügt, dass er als Listen-Siebenter nicht ins EU-Parlament einzog. Nachdem Parteiobmann Josef Pröll schon im Fall Strasser ein Machtwort gesprochen hatte, scheute er dieses Mal davor zurück. Ein Chef, der zu viele Menschenopfer verlangt, gilt schnell als ­blutrünstig.

Es gibt Politiker, die an ihrer Profession verzweifeln. Es gibt aber auch Politiker wie Hubert Pirker, für die ein Leben außerhalb des Sitzungssaals die Höchststrafe darstellt. Der ehemalige Professor an der Pädagogischen Akademie in Klagenfurt bewies in den vergangenen 20 Jahren ein erstaunliches Talent als Sesselkleber. Schon 2004 verpasste Pirker nach acht Jahren im EU-Parlament den Wiedereinzug. Zwei Jahre später rückte er nach, weil Ursula Stenzel von Brüssel nach Wien wechselte. Seinen Posten als ­ÖAAB-Chef in Kärnten gab er 2009 erst nach einer schweren Niederlage bei der AK-Wahl auf Druck der Landespartei auf. Und jetzt folgt er eben Ernst Strasser.

Pirker gilt als Sicherheitsfanatiker und gab in Brüssel stets den Hardliner. „Linke Mehrheit im Europaparlament fördert illegale Einwanderung“, textete er etwa 2008. Von dieser Passion abgesehen sind den Kollegen nicht viele Aktivitäten in Erinnerung geblieben. „Es gibt Abgeordnete, von denen man mehr gehört hat“, formuliert es SP-Delegationsleiter Hannes Swoboda diplomatisch.

Wie ertragreich die eineinhalb politikfreien Jahre für Pirker waren, lässt sich nicht feststellen. Besonders ehrlich war er potenziellen Kunden gegenüber jedenfalls nicht. Seine angebliche Büroadresse in Brüssel ist in Wahrheit die Privatwohnung seines Parteifreundes Othmar Karas. Dieser beteuert, der Kollege habe nie bei ihm vorbeigeschaut. „Er hat seine Geschäftstätigkeit von Kärnten aus gemacht“, erklärte VP-Klubchef Karlheinz Kopf neulich. Als Lobbyist sei Pirker nicht tätig geworden, „weil er offenbar in dieser Richtung keine Aufträge hatte“.

Unternehmerische Erfolglosigkeit als Rechtfertigung für ein politisches Amt: Sonderlich beruhigend ist das nicht.

Rosemarie Schwaiger