Israel / Palästina: Lizenz zum Töten

Analyse: Lizenz zum Töten

Darf Israel die Hamas- Führer gezielt töten?

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So einig wie vergangene Woche war die internationale Gemeinschaft selten. Zwar weint wohl kaum jemand im Westen dem Dr. Abdelaziz Rantisi nach, den eine israelische Rakete vorvergangenen Samstag gemeinsam mit seinen zwei Leibwächtern ins Jenseits befördert hat. Der Nachfolger des kaum einen Monat zuvor „liquidierten“ blinden Scheichs Ahmed Yassin gehörte zum besonders radikalen Flügel in jener islamistischen Organisation, die mit Selbstmordattentaten seit Jahren die israelische Gesellschaft terrorisiert. Dennoch könnte die weltweite Empörung über die „außergerichtliche Tötung“ des Fundi-Bosses kaum größer sein.

„Illegal, ungerechtfertigt und schädlich“, wird das israelische Vorgehen in einem Resolutionsentwurf des UN-Sicherheitsrates genannt, der die überwältigende Mehrheit dort erzielen hätte können und nur wegen des erwartbaren US-Vetos nicht eingebracht wurde. Doch sogar Washington zeigte sich über die jüngsten Aktionen der israelischen Freunde offiziell „besorgt“. Selbst Deutschland, ansonsten gegenüber Israel extrem vorsichtig, fand scharfe Worte. Und EU-Präsident Romano Prodi verurteilte das israelische Vorgehen „ohne jede Einschränkung“ als eine das Völkerrecht verletzende „verantwortungslose Tat“.

Die internationalen Medien, vor allem auch die in Europa, zeigen sich gleichermaßen auf strikt israelkritischem Kurs. Nur ganz wenige Stimmen melden sich, die der Argumentation der Regierung in Jerusalem etwas abgewinnen konnten, wonach die Welt heuchlerisch sei und – was den Judenstaat betrifft – „mit zweierlei Maß misst“, wie es der israelische UN-Botschafter Dan Gillerman formulierte.

„Was wäre denn, wenn Bin Laden ins Visier des Westens geriete?“, fragte nach der Ermordung von Scheich Yassin die Schweizer „Weltwoche“ und ätzte in Richtung des britischen Außenministers Jack Straw, der die israelische Tötungsstrategie besonders scharf attackiert: „Dürfen wir annehmen, Straw und Co würden ihre Flinten senken, weil extralegale Tötung verboten ist? Wohl kaum.“

Auch der Rechtsphilosoph Stefan Baufeld monierte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Mit moralisierender Emphase wird Israel zur Rechtstreue aufgerufen, während Ordnungsrufe an die amerikanische Adresse unterbleiben.“ Es war auch kein internationaler Aufschrei zu vernehmen, als die US-Besatzer im Irak die Saddam-Söhne vergangenes Jahr kaltblütig niedermachten und stolz präsentierten, ohne ernsthafte Anstalten gemacht zu haben, sie lebend gefangen zu nehmen. Und wäre der versuchte „Enthauptungsschlag“ gegen Saddam Hussein zu Beginn des Irak-Krieges erfolgreich gewesen, hätte die Welt angesichts des so verkürzten Waffenganges wohl eher aufgeatmet.

Selbstverteidigung? Da mag tatsächlich mit „zweierlei Maߓ gemessen werden, was in Israel vielfach als Ausdruck von allgemein grassierendem Antisemitismus interpretiert wird – die völkerrechtliche Argumentation der israelischen Regierung aber, so analysieren die internationalen Experten, hinke dennoch ganz gewaltig. Sie beantworten die Frage „Dürfen die denn das?“ einhellig mit Nein.

Das „Selbstverteidigungsrecht“, auf das sich Jerusalem immer wieder beruft, so der Frankfurter Völkerrechtler Michael Bolthe, gelte in der UN-Charta nur, „wenn ein Staat gegen einen anderen militärische Gewalt einsetzt“. Auf zwischenstaatlicher Ebene kennt das Völkerrecht zwar das Recht des Staates zur „präventiven Selbstverteidigung“: Das setzt freilich voraus, dass die „Bedrohung gegenwärtig und überwältigend ist“ und „keinen Augenblick der Überlegung zulässt“, wie es 1837 der damalige US-Außenminister Webster formulierte. Das gilt wohl für Israel nicht. „Wir sind im Krieg“, wird in Israel immer wieder beteuert. Also agiere man nach den Geboten des Kriegsrechts. Auch das ist völkerrechtlich nicht richtig. Es herrscht nicht einmal Bürgerkrieg, da keine „anhaltenden und koordinierten militärischen Kampfhandlungen“ von „Truppen oder nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen“ stattfinden. Aber selbst wenn Krieg wäre, verbietet die Genfer Konvention „Angriffe auf das Leben und die Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen“. Rantisi und Yassin haben Terror vielleicht organisiert und ideologisch befürwortet. Aber eine „unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten“ ist das nicht. Hinzu kommt das Argument der „tickenden Bombe“, die es zu entschärfen gelte. Nein, meinen die Völkerrechtler: Die Attacke auf Yassin und Rantisi, bei der mehrere andere Menschen ums Leben kamen, sei nicht das letzte Mittel gewesen. Die Israelis, die ja die besetzten Gebiete kontrollieren, hätten beide durch Spezialkommandos ergreifen können.

Schließlich passt mit dem Argument der unmittelbaren Bedrohung die Tatsache schlecht zusammen, dass ja die Methode der Mordattacken auf palästinensische Feinde nicht erst in der jetzigen – äußerst zugespitzten – Situation angewendet wird. Schon seit den fünziger Jahren machen fallweise Killerkommandos des israelischen Geheimdienstes ihre Arbeit. So wurde etwa die gesamte Crew jener Palästinenser des „Schwarzen September“, die das mörderische Attentat bei den Olympischen Spielen in München im Jahr 1972 durchführte, liquidiert. Bloß bekannte sich das offizielle Israel lange Zeit nicht zu diesen Operationen. Erst in den vergangenen Jahren – spektakulär dann unter Sharon – wurde das gezielte Töten zur offiziellen Regierungspolitik und zum Zentrum der Strategie gegen den palästinensischen Widerstand.

Recht und Rache. Die völkerrechtliche Argumentation Israels sei bloß vorgeschoben, analysiert Micha Brumlik, ein prominentes Mitglied der Frankfurter jüdischen Gemeinde und Holocaust-Forscher: „Die Rhetorik der ,targetted killings‘ versucht darüber hinwegzutäuschen, dass sich der israelische Staat mit der Tötung terroristischer Ideologen oder Praktiker längst jenseits des Menschen-, Völker- oder auch nur innerstaatlichen Rechts bewegt“, meint Brumlik: Zudem solle „mit dem Begriff der ‚gezielten Tötung‘ der Eindruck von Überlegtheit, Rationalität, Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit erweckt werden“.

Aber Brumlik weist auch darauf hin, dass die Strategie der „Liquidierung“ und „Enthauptung“ von Feindorganisationen nicht Ausdruck „alttestamentarischer Mentalität der Rache“ sei, wie viele Kommentatoren nun mit kaum verhohlenem antijudaistischem Unterton meinen. Der amerikanische „Krieg gegen den Terrorismus“, als dessen Teil Jerusalem seine Politik gegenüber den Palästinensern darstellt, folgt der gleichen Logik: „Ein nüchterner Blick auf die gegenwärtige Antiterrorpolitik der USA, Großbritanniens, Israels und anderer zeigt, dass sich im Herzen westlicher Demokratien Argumentationsmuster und Praktiken ausbreiten, die bisher nur aus totalitären Staaten bekannt waren.“ Die völlige Rechtlosigkeit, in der die angeblichen Taliban-Häftlinge von den US-Behörden auf Guantanamo gehalten werden, illustriert diese Tendenz.

Selbst der linksliberale amerikanische Philosoph Michael Walzer, der im Prinzip gezielte Militärschläge gegen Terroristen für gerechtfertigt hält, beklagt, dass der Tod von Zivilisten in Kauf genommen wird, und diagnostiziert die deutliche Erosion zivilisatorischer Standards auf israelischer Seite.

Völlige Willkür. Eine Kritik, die von der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem geteilt wird. Nicht nur kommen unschuldige Zivilisten bei derartigen Aktionen zu Schaden. Auch werden bei Militärschlägen häufig Fehler gemacht und die Falschen getroffen. In einem Report zitiert die Menschenrechtsorganisation einen hohen israelischen Offizier: „Wir töten Terroristen, die darangehen, Siedlungen zu attackieren, wir wählen die Köpfe terroristischer Zellen und regionale Führer der terroristischen Organisation aus.“ Bei dieser vagen Definition des Umzubringenden und ohne nachvollziehbare Beweisführung der „Schuld“ sei völliger Willkür Tür und Tor geöffnet.

Letztlich aber ist die Legitimität einer Politik in einer quasikriegerischen Auseinandersetzung auch eng mit der Frage nach ihrer Effizienz verknüpft. Und da spricht die bisherige Erfahrung eine unzweideutige Sprache: Die gezielte Tötung von wirklichen oder angeblichen Terroristen hat offensichtlich die Selbstmordanschläge nicht reduziert. Selbst vehemente Befürworter der Raketen gegen Yassin und Rantisi nehmen an, dass deren Tod die Situation eher eskaliert denn beruhigt. Und ein großer Gegenschlag der Hamas wird allgemein erwartet.

Auch international ist der „Krieg gegen den Terror“, in dessen Rahmen Sharon zu agieren vorgibt, nicht gerade vom Erfolg gekrönt. Nicht zuletzt wegen der vagen und willkürlichen Definition des „Terrorismus“ als Gesamtfeind als „das Böse schlechthin“.

Bei aller Ähnlichkeit von Methoden besteht doch ein wesentlicher Unterschied etwa zwischen al-Qa’ida und Hamas. Hier greift die Kreisky’sche Definition, wonach Terroristen jene sind, die im Falle ihrer Entwaffnung faktisch aufhören zu existieren. Etwas anderes aber sind Organisationen, die terroristische Methoden anwenden, aber auch nach dem Niederlegen der Waffen politisch bedeutsam bleiben können. Danach wäre der Unterschied zwischen den Mannen Bin Ladens und der Hamas vergleichbar mit der Differenz zwischen der deutschen Roten Armee Fraktion (RAF) und der irischen IRA. Die RAF ist heute Geschichte. Gerry Adams, der Repräsentant der IRA, hingegen ist ein wichtiger Spieler in der irischen Politik geblieben.

In seiner Kritik an der Politik von Ariel Sharon zitiert Brumlik die 1948 verfasste Urkunde der Gründung des Staats Israel, die festhält, dass dieser Staat „auf den Grundlagen der Freiheit, Gleichheit und des Friedens, im Lichte der Weissagungen des Propheten Israels gegründet sein wird“. Zweifelsohne seien die Propheten keine lupenreinen Demokraten gewesen. Aber immerhin habe Prophet Amos geschrieben: „Hasst das Böse und liebt das Gute und haltet aufrecht im Tor das Recht.“ Brumlik macht seine Textexegese: „Amos stellt fest, dass eine moralische Politik ohne Recht sich selbst verfehlt.“