„Fahnder hinken weit hinterher“

Nachlese. Andreas Schwab, Ex-Chef der Nationalen Anti-Doping Agentur Austria, über den teuren Kampf gegen Doping

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Interview: Tina Goebel

profil: Die Olympischen Spiele gingen ohne einen einzigen positiven Dopingtest zu Ende. John Fahey, der Vorsitzende der World Anti-Doping Agency (WADA), meinte, dass bei Wettkämpfen ohnehin „nur Idioten“ erwischt werden. Sind Dopingtests bei solchen Events sinnlos?
Schwab: Die Spiele in Vancouver haben anschaulich bewiesen, dass bei Wettkämpfen wirklich fast niemand mehr überführt wird, trotz der über 2000 Kontrollen. Gedopt wird vor allem während der Trainingszeit, dort macht es am meisten Sinn.

profil: Es wurden 30 Athleten vor den Spielen bei unangekündigten Tests während des Trainings erwischt. Wie intensiv wird in Österreich kontrolliert?
Schwab: Zwei Drittel der Tests sind mittlerweile unangekündigte Trainingskontrollen. Aber ich glaube, dass Dopingfahnder und Analyselabors den Dopern ohnehin weit hinterherhinken. Daher zielen wir vor allem auf Präventionsmaßnahmen und konzentrieren uns dabei auf die kommende Generation. Sportler, die bereits seit Jahren dopen, werden sich nicht mehr ändern.

profil: Bei den letzten Sommerspielen in Peking gab es die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) noch gar nicht. Was hat sich seither verändert?
Schwab: Sehr viel. Das Budget für Anti-Doping-Maßnahmen hat sich vervierfacht, wir haben ein völlig neues Anti-Doping-Gesetz, seit Jänner können erstmals auch Sportler wegen Betrugs strafrechtlich verfolgt werden, von den Mittelsmännern und Dealern ganz abgesehen. Von 2008 auf 2009 haben sich die Kontrollen fast verdoppelt, und außerdem gibt es seit vergangenem Jahr auch erstmals Bluttests. Außerdem wurde die SOKO Doping gegründet, bei der sich zehn Kriminalisten nur mit der Verfolgung von strafrechtlichen Handlungen in Sachen Doping beschäftigen. Wesentlich ist aber, dass es früher überhaupt keine Präventionsmaßnahmen gab, allein dafür wurde bislang eine halbe Million Euro ausgegeben.

profil: Über diese Präventionsmaßnahmen haben sich einige Spitzensportler lustig gemacht. Es gab beispielsweise ein Handbuch für Leistungssportler, in dem der Ablauf eines Urintests comicartig dargestellt wurde. Als erlaubtes Mittel zur Leistungssteigerung wurden Wechselbäder empfohlen. Viele wittern massive Geldverschwendung.
Schwab: Den Test hat das Österreichische Olympische Comité (ÖOC) durchgeführt. Wir haben es dabei nur beraten. Ein Fachverband muss nachweisen, dass Mannschaften, die an Wettkämpfen im Ausland teilnehmen, in Anti-Doping-Fragen geschult sind.

profil: Die Tests werden immer aufwändiger und teurer, die Erfolgsquote ist aber offensichtlich sehr gering. Es stellt sich die Frage, ob der Kampf gegen Doping in Zukunft überhaupt noch finanzierbar ist.
Schwab: Da bin ich ganz bei Ihnen. Es muss sehr genau überlegt werden, bei welchen Sportarten welche Substanzen womöglich im Einsatz sind. Würde man einen Athleten auf alles testen, was möglich ist, so würde das einiges über 1000 Euro kosten. Und die Menschen sollten sich in Zeiten einer Wirtschaftskrise wirklich fragen, ob sie so viel Geld für die Verfolgung von Lügnern und Betrügern ausgeben wollen. Ein umfassender Dopingtest kostet mehr, als ein Arbeitsloser im Monat an Sozialhilfe bekommt.

profil: Viele behaupten, eine nationale Anti-Doping-Agentur könne nicht funktionieren, da eben die Spitzensportler des eigenen Landes kontrolliert werden müssen. Kritiker meinen, es müsste die WADA mehr gestärkt werden.
Schwab: Es ist richtig, dass weltweit nicht gleich konsequent gegen Doping vorgegangen wird. Und wenn man so will, haben die Sportler in Deutschland und Österreich einen Nachteil, da sie strenger kontrolliert werden als andere. Das Ziel der WADA ist es, den Kampf gegen Doping weltweit zu harmonisieren. Vielleicht ist das überhaupt unmöglich.

profil: Es gibt ja auch zwei Fälle, bei denen NADA-Kontrolleure unter Verdacht geraten sind, Athleten bei Dopingtests vorzuwarnen oder sich bestechen zu lassen.
Schwab: Der Fall mit einer Kontrolleurin aus Klagenfurt hat sich kurz vor der Gründung der NADA ereignet. Wir haben aber darauf reagiert und sie nicht mehr eingesetzt. Die Gerüchte über den anderen Kontrolleur wurden mir zugetragen, konnten aber nicht bestätigt werden. Die ganze Sportszene ist voller Gerüchte und Lügen über Doping. Es ist unfassbar, was Sportlern alles angedichtet wird, wir bekommen regelmäßig anonyme Anzeigen. Es gibt in dieser Szene sehr viel Neid.

profil: Da Sie selbst sagen, dass der Kampf gegen Doping immer schwieriger und teurer wird, sollte Doping einfach freigegeben werden?
Schwab: Das wäre für mich unvorstellbar. Das würde den Sport ruinieren. Wir würden dann nur noch Gladiatoren züchten, und bald würde vielleicht ein Pharmakonzern eine Sportveranstaltung sponsern. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Eltern dann noch wollen, dass sich ihre Kinder für den Leistungssport begeistern.

profil: Es wird immer vor den gesundheitlichen Schäden des Dopings gewarnt. Aber Leistungssport ist per se bis zu einem gewissen Grad nicht mehr gesund. Wäre es nicht gesünder, Doping freizugeben, damit es wenigstens unter offizieller medizinischer Aufsicht passiert?
Schwab: Bestimmt hat jeder Olympionike schon mehrfach schwere Verletzungen hinter sich. Die negativen Folgen des Dopings werden erst spürbar, wenn die sportliche Karriere längst vorbei ist. Das können Depressionen, Krebs oder massive Herz-Kreislauf-Probleme sein, die Lebenserwartung wird drastisch verringert. Wäre Alkohol am Steuer nicht strafbar, könnte niemand mehr sicher mit dem Auto fahren. Aber wie viele fahren trotzdem oft betrunken und werden nicht erwischt. Es kann nicht an jeder Kreuzung in Österreich eine Verkehrskontrolle geben. Die Polizisten können wie die Dopingfahnder nur Stichproben durchführen.

profil: In Vancouver gab es böse Anschuldigungen gegen eine Olympiasiegerin, da sie eine Ausnahmeregelung für Asthmamedikamente hatte, die ihr einen Vorteil verschafft hätten. Viele erfolgreiche Spitzensportler leiden angeblich unter schwerem Asthma. Ist da der Wettbewerb noch fair?
Schwab: Im Grunde bin ich ein Gegner von Ausnahmeregelungen. Ein Arzt meinte einmal zu mir, wenn man alle Nichtasthmatiker unter den Radfahrern gegen die so genannten Asthmatiker antreten lassen würde, würden Letztere vermutlich gewinnen. Und wir haben mittlerweile schon Jugendliche, die um Ausnahmegenehmigungen ansuchen. Ich finde es unnatürlich, eine Krankheit medikamentös zu unterdrücken, die bei einer hohen Pulsfrequenz auftritt, auf die ich aber des Trainings wegen gehen muss. Da kann ich eben nicht Leistungssportler werden.

profil: Sie waren selbst erfolgreicher Gewichtheber und belegten bei den Olympischen Spielen 1976 den vierten Platz im Zweierbob. Ihr ehemaliger Bob-Kollege Werner Delle-Karth hat für Aufsehen gesorgt, als er meinte, dass in den Siebzigern noch keine Rede von Doping war und er „gewisse Pillen“ genommen habe, durch die er „stärker geworden“ sei. Haben Sie auch solche Pillen genommen?
Schwab: Nein, nie. Ich weiß auch nicht, welche Pillen das gewesen sein sollen und ob das überhaupt Dopingmittel waren. Es gab damals bereits das Gerücht, dass alle in der DDR dopen. Ich habe Zusatzernährungsmittel, Vitaminpräparate und Eiweißpräparate genommen, das war alles erlaubt. Und ich hatte eine geheime Dopingwaffe: Meine Mutter hat mir jeden Tag ein Viertelkilo Topfen mit Ei und Zucker zubereitet. Topfen enthält 30 Prozent Eiweiß.

Andreas Schwab, 57
Seit 2008 ist der gebürtige Schladminger Leiter der Nationalen Anti-Doping Agentur, die im selben Jahr gegründet wurde. 1970 war er Österreichischer Jugendmeister im Gewichtheben und konnte einige Male den Steirischen Meistertitel erringen. Danach wechselte er in den Bobsport und versäumte 1976 bei den Winterspielen in Innsbruck nur knapp die Bronzemedaille im Zweierbob. Zuvor war Schwab Geschäftsführer der Österreichischen Sporthilfe.

Das Interview erschien im profil Nr. 10/10 vom 8.3.2010