Vor zehn Jahren starb Marcus Omofuma

Angstschübe: Vor zehn Jahren starb der Nigerianer Marcus Omofuma

An der Abschiebepraxis hat sich nichts geändert

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Von Martina Lettner

Er habe erheblichen Widerstand gegen seine Abschiebung geleistet, sagt der Wiener Polizeipräsident Peter Stiedl.

Er wäre nicht laut gewesen, meint das Bodenpersonal.

Die Boardcrew habe verlangt, den tobenden Häftling ruhigzustellen, erklärt der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Michael Sika.

Er sei schon geknebelt ins Flugzeug gebracht worden, erzählt ein anderer Fluggast. Innenminister Karl Schlögl schwört, von ­Klebebändern nichts gewusst zu haben.

Am 1. Mai 1999 um 21.18 Uhr stellte der Flughafenarzt in Sofia den Tod von Marcus Omofuma fest. Der 25-jährige Nigerianer hatte die Abschiebung von Wien-Schwechat in sein Heimatland nicht überlebt. Er war unter einem Klebeband, das ihm die begleitenden Beamten um Kopf und Mund gewickelt hatten, gestorben. Heute, zehn Jahre danach, beteuert man im Innenministerium unter Maria Fekter, ÖVP, knapp, dass Todesfälle nun nicht mehr vorkommen könnten. Die Beamten würden besser geschult, die Abschiebepraxis habe sich geändert. NGOs nicken und schütteln den Kopf zugleich: Zwar sei niemand mehr gestorben, Furcht und Folter gebe es aber nach wie vor.

Im Vorjahr wurden 2045 Abschiebungen durchgeführt. 1998 waren es noch 10.422 gewesen – allerdings unter anderen rechtlichen Rahmenbedingungen. Heute gilt nicht mehr alles als Abschiebung, was vor einigen Jahren noch eine war – wie etwa Schübe innerhalb der EU: Im Zuge des Dublin-Abkommens, dem zufolge Flüchtlinge in dem EU-Land, in dem sie die Union betreten haben, ihren Asylantrag stellen müssen, wurden im Vorjahr 1375 Personen außer Landes gebracht. 2525 Menschen verließen Österreich – ermuntert durch EU-Unterstützungsprogramme – freiwillig; weiters stellten die Behörden 1518 Ausreiseanträge aus. 1652 Personen wurden 2008 erst gar nicht ins Land gelassen.

Auch die Praxis der Abschiebungen habe sich seit dem Tod von Marcus Omofuma geändert, versichert man im Innenministerium. Der 1999 eilig installierte Menschenrechtsbeirat im Innenministerium widmete sich in seinem ersten Bericht „Problemabschiebungen“. Unter Punkt vier, „Maßnahmen zur Verbesserung“, wunderte er sich erst darüber, dass „die Beamten bei der Erfüllung dieser sehr schwierigen Aufgabe seitens der vorgesetzten Stellen nicht durch Schulungsmaßnahmen“ unterstützt wurden, und präsentierte anschließend eine ganze Latte von Empfehlungen: eine spezielle Aus- und regelmäßige Weiterbildung der Beamten, bessere Kommunikation zwischen den Behörden, Vorbereitung der abzuschiebenden Person, Starthilfe im Zielland, psychologische Betreuung, bessere Flugrouten, Charterflüge, Kontrolle bei Problemabschiebungen und eine Statistik.

Doch Papier ist geduldig. Besonders wenn die darauf geschriebenen Vorschläge für das Innenministerium nicht bindend sind „und oft einfach ignoriert werden“, kritisiert Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International (AI). Heute werde zwar nicht mehr „bis zur letzten Konsequenz“ abgeschoben, von der Umsetzung der Empfehlungen sei man aber noch weit entfernt, wie auch der Beirat in seinem jüngsten Jahresbericht festhält. Lediglich bei der Beförderung gibt es deutliche Fortschritte: Heute wird nur noch selten in Linienfliegern abgeschoben; meist chartern mehrere Staaten gemeinsam eine Maschine – Problemabschiebungen darin werden vom Beirat überwacht, im Vorjahr waren es 21.

Den Polizisten aber mangelt es weiterhin an entsprechender Ausbildung – „Zwei Wochen dauert der Kurs, dann werden wir losgeschickt“, erzählt ein Beamter der Sondereinheit Wega. Mit teils drastischen Auswirkungen:
2006 schlugen drei Wega-Leute den Gambier Bakary J., traten ihn, fuhren ihn mit einem Polizeiwagen an, weil dieser seinen Schub verhindert hatte. „Ein klarer Fall von Folter“, urteilte Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk.

Im gleichen Jahr wurde eine Nigerianerin, die aus Angst vor einer Genitalverstümmelung durch ihre Familie nach Österreich geflohen war, überhaupt zurückgebracht. Die Behörden riefen noch am selben Tag bei der Familie an und fragten, ob ihre Tochter gut bei ihnen angekommen sei, erzählt Angela Magenheimer von Ehe ohne Grenzen. Heute lebt die Frau in Österreich – ihre Abschiebung war zu Unrecht erfolgt. 2005 verstarb Yankuba Ceesay noch vor seiner Abschiebung. Er hatte seinen Hungerstreik in der Schubhaft nicht überlebt. Noch zwei Stunden vor seinem Tod war er ärztlich untersucht worden: Alles in Ordnung, hieß es.

Letzter Schritt. Die Einsicht des Beirates aus dem Jahr 1999, die Abschiebung sei „nur ein letzter Schritt in einem länger dauernden Prozess, der unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte als Einheit anzusehen ist“, scheint bis heute in der Exekutive nicht angekommen zu sein. Die größten Probleme gebe es mittlerweile vor der Außerlandesbringung, sagt Michael Genner von „Asyl in Not“. Erst vor zwei Monaten hatte ein 14-jähriges Mädchen versucht, sich bei der Abschiebung ihrer Familie nach Polen umzubringen. Als die Beamten in der Dunkelheit das Flüchtlingsquartier in Peggau bei Graz betraten, geriet das Mädchen in Panik, schrie um Hilfe, bat, nicht geschlagen zu werden. Als die Beamten ihren Vater abführten, wollte sie Selbstmord begehen. In ihrer Verzweiflung rammte sie ihren Kopf gegen eine Glastüre, dann gegen einen Türstock.
In ihrer Heimat hatte Cheda mit ansehen müssen, wie ihre Tante und ihr Onkel von Personen in Uniform umgebracht worden waren.

„Man kann sich nicht vorstellen, wie traumatisierte Personen solche Abschiebungsversuche à la Gestapo erleben. Das ist psychische Folter“, sagt Genner. Weder Inte­gration der Familie noch Suizidgefährung der Minderjährigen waren für die Asylrichterin Grund, die Abschiebung abzublasen. Ein neuerlicher Versuch solle aber – aus Rücksicht auf das Kind – bei Tageslicht stattfinden: „Eine Verhöhnung“, findet Genner. Bei den nächtlichen Einsätzen gehe es darum, die Menschen erst möglichst kurz vor ihrer tatsächlichen Abschiebung abzuholen, erklärt Patzelt von AI, bereits am Morgen seien die Personen fort: „So verhindert man öffentliche Mobilisierung. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass der psychische Schock, den die Menschen dadurch erleiden, diese Vereinfachung rechtfertigt.“

Die Zahl der Schubhäftlinge sinkt jedenfalls seit Jahren – von 3963 im Jahr 2005 auf 1839 im Vorjahr. Immer wieder landen jedoch auch heute noch Menschen in Anhaltezentren, die dort sicher nicht sein sollten: Kurz vor Ostern etwa wurde ein vierjähriges Kind inhaftiert. Die Mutter war wegen psychischer Probleme stationär in Behandlung, „darum ist Ihre gemeinsame Anhaltung mit den Kindern unbedingt notwendig“, beschied ein Beamter dem 34-jährigen Vater.

„Das ist an Herzlosigkeit fast nicht zu überbieten“, ärgert sich UNHCR-Sprecher Roland Schönbauer. Auch die geplante Abschiebung der afghanischen Familie wegen der Dublin-Regelung nach Griechenland macht ihm Sorgen – er bezweifelt, dass dort faire Verfahren möglich seien. Laut der deutschen Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl wären im vergangenen halben Jahr 8000 Asylanträge in Griechenland gestellt, aber nur ein einziger bearbeitet worden – abgelehnt. Andere EU-Staaten schieben nicht mehr nach Griechenland ab: Die Gefahr, dass die Flüchtlinge weitergeschoben und so in Lebensgefahr gebracht würden, sei zu groß.

Auch bei anderen EU-Staaten, etwa Polen, haben NGOs wie Asyl in Not Bedenken: „Bis zum 30. April 2004 galten einige Länder als unsichere Drittstaaten. Am 1. Mai traten sie der EU bei, seither wird dorthin abgeschoben – als ob über Nacht dort andere Zustände und Menschen herrschten.“ Die Behörden brauchen Erfolge, gesteht ein Beamter. Und diese würden in Zahlen gemessen: aufgegriffene Illegale, Verhaftungen, erfolgreiche Abschiebungen.

Beinahe wäre auch ein Österreicher außer Landes gebracht worden. Der gebürtige Sudanese war Anfang April von Polizisten aufgegriffen worden. Da Mohammed A. geistig leicht behindert ist, konnte er sich nicht gut ausdrücken, bat die Polizisten, Mama oder Papa anzurufen. Er landete in Schubhaft. Die Eltern erstatteten Vermisstenanzeige. Es dauerte jedoch Tage, bis der Irrtum aufgeklärt und der 21-Jährige wieder frei war. AI-General Patzelt: „Wäre gerade ein Flieger Richtung Sudan bereitgestanden, wäre er jetzt weg.“