Anlage: Aus zweiter Hand
Rund die Hälfte aller Lebensversicherungen in Deutschland wird vor Vertragsende storniert, in Österreich ist die Größenordnung Branchenkennern zufolge ähnlich. Die Gründe dafür sind meist finanzielle Engpässe der Versicherungsnehmer. Zwar sind die meisten Versicherungen durchaus bereit, die Polizzen zurückzukaufen – ein gutes Geschäft ist dies für den Kunden jedoch nicht: Denn es werden Provisionen und Gebühren abgezogen, sodass der Versicherte bei einem Storno innerhalb der ersten fünf bis sieben Jahre vielfach deutlich weniger zurückerhält, als er angespart hat.
Viele Versicherte wissen jedoch nicht, dass es auch eine finanziell attraktivere Lösung gibt, aus einem derartigen Vertrag auszusteigen. In England, Irland, den USA und mittlerweile auch in Deutschland hat sich ein so genannter Sekundärmarkt für Lebensversicherungen etabliert, auf dem gebrauchte Polizzen gehandelt werden – angeboten werden diese Produkte auch in Österreich. Das Prinzip dahinter: Eine Maklergesellschaft übernimmt die Polizzen zu einem besseren Preis als dem bloßen Rückkaufswert der Assekuranzen, aber immer noch um einiges günstiger, als es dem „inneren Wert“ – der zu erwartenden Leistung am Ende der Laufzeit der Polizze – entspricht, und verkauft die Polizzen weiter.
Der ursprüngliche Polizzeninhaber tritt dabei seine Ansprüche zu einem abgezinsten Betrag an den neuen Begünstigten, den Investor, ab. Dieser bezahlt in der Folge die Raten und kassiert die volle Versicherungssumme inklusive Schlussgewinnanteilen, sobald das Ende der Laufzeit erreicht ist. Allerdings: Für den Investor stellt die gebrauchte Polizze keine Versicherungsform dar, sondern eine Kapitalanlage – es handelt sich um ein Investment, nicht um ein Absicherungsinstrument.
Britisches Modell. Seit dem EU-Beitritt Österreichs sind vor allem britische Secondhand-Polizzen auch hierzulande erhältlich. Zumeist ist ein Investment sowohl in einzelne Polizzen als auch in ein Portfolio möglich. Letzteres bietet eine größere Risikostreuung. Diese Produkte galten lange Zeit als tendenziell renditeträchtiger als heimische Kapital bildende Polizzen. Das Hauptargument der anbietenden Finanzdienstleister wie Creative British Investments (CBI), Nova Portfolio, AAA Insurance Brokers, Dialog & Konzept oder Allgemeiner Versicherungsdienst (AVD): Angelsächsische Assekuranzen dürfen zu einem viel höheren Prozentsatz in Aktien anlegen als die meisten ihrer kontinentaleuropäischen Pendants, was die Rendite erhöht – aber auch die Risiken. Von den Anbietern wird auch die lange Tradition der britischen Versicherungshäuser ins Treffen geführt. Sie hätten dadurch Gelegenheit gehabt, hohe Gewinnüberschüsse zu akkumulieren, die sie an die Kunden in Form von Bonuszahlungen weitergeben oder nutzen könnten, um die Resultate schlechterer Jahre zu glätten („smoothing“).
Auch hinsichtlich der Verzinsungsmodalitäten bestehen traditionell einige Unterschiede: So gibt es keinen garantierten Rechnungszins wie bei österreichischen Versicherungen. Britische Versicherer kalkulieren stattdessen ihre Vertragsgarantien auf Basis ihrer Solvenz, sie sind berechtigt, das Garantieniveau individuell zu wählen. Die Jahresbonifikationen sind daher variabel und werden jährlich festgesetzt. Sind sie einmal gutgeschrieben, gehen sie dem Anleger nicht mehr verloren. Der Schlussbonus am Ende der Laufzeit ist quasi die Butter aufs Brot.
Mit den britischen Secondhand-Polizzen wird gerne ein Rentenmodell konstruiert: Es werden mehrere Polizzen erworben, die gestaffelt nacheinander abreifen. Mit regelmäßigen Auszahlungen kann theoretisch sofort begonnen werden, üblich sind jedoch fünf Jahre nach Kauf. Von einem Teil der Ablaufleistung der ersten Polizze wird wiederum eine ähnliche Polizze mit späterer Fälligkeit gekauft – eine Praxis, die sich mehrfach fortsetzen lässt.
Die höhere Aktienquote, mit der die angelsächsischen Institute veranlagen – zu Börsen-Glanzzeiten in Einzelfällen bis zu 80 Prozent –, ließ sie stärker an den fetten Jahren teilhaben als österreichische. Spätestens seit der dreijährigen Börsentalfahrt haben aber auch diese Polizzen an Charme eingebüßt. Die Abschwächung des britischen Pfund zum Euro tat ein Übriges, um manche Polizzen empfindlich zu treffen. Mitunter lukrierten deren Inhaber weniger als ein Prozent pro Jahr – was stark von den ursprünglichen Renditeprognosen in der Höhe von zehn bis zwölf Prozent abwich. „Für kurze Restlaufzeiten waren die zuletzt erfolgten Kürzungen der Jahres- und Schlussboni besonders unangenehm“, räumt Johann Kirchmair ein, Geschäftsführer des Allgemeinen Versicherungsdienstes (AVD) in Wörgl.
US-Konkurrenz. Seit einigen Monaten bekommen die Briten allerdings vermehrt Konkurrenz aus den USA und Deutschland, und bei diesen Produkten soll genau dieser Schwachpunkt – die Koppelung an die Börsen – keine Rolle spielen. Amerikanische Zweitmarkt-Polizzen basieren denn auch auf einem anderen Prinzip: Dabei handelt es sich um reine Risikolebensversicherungen, die auf Lebenszeit gelten („Whole-Life-Settlements“). Die Leistung, also die Auszahlungssumme, steht von vornherein fest. Die von den Finanz-instituten angebotenen Laufzeiten betragen zwei bis sechs Jahre und richten sich nach der erwarteten Restlebenszeit des ursprünglichen Polizzeninhabers, welche wiederum von unabhängigen Ärzten geschätzt wird. Die Jahresrendite für den Investor ist also umso besser, je früher mit dem Todesfall des ehemaligen Leistungsempfängers zu rechnen ist.
Experten wie Michael Katscher von der Wiener Dialog & Konzept Finanzberatung GmbH halten dieses Prinzip für
nicht so makaber, wie es zunächst klingt. „Die Polizze wurde ja ursprünglich zur Absicherung von Hinterbliebenen oder Geschäftspartnern abgeschlossen“, so Katscher. „Entfällt dieser Zweck oder entsteht Kapitalbedarf, hat der Versicherte ohnehin nichts von der Polizze, denn es handelt sich für ihn nicht um eine Sparform.“ Der derart wertlos gewordene Risikoschutz wird erst anschließend auf dem Sekundärmarkt in einen realen Vermögenswert umgewandelt.
Gängige Methode. „In den USA sind diese Transaktionen schon lange gang und gäbe“, sagt Gabriela Abado, Gesellschafterin der Wiener Portfolio Brokerage GmbH. „In erster Linie dient diese Art der Ablöse dazu, im Alter und vor allem bei Krankheit den Lebensstandard zu halten oder zu verbessern.“ In den US-Spitälern sei es durchaus üblich, so Abado, dass diesbezügliche Broschüren zur Entnahme aufliegen.
Für den Fall, dass der Polizzen-Erstinhaber länger als errechnet lebt, bietet Universal Settlements International Inc. (USI), mit der zum Beispiel Katscher kooperiert, eine Art Rückversicherung: Der Anleger kann bei Ende der Laufzeit mehr oder weniger pari aussteigen (100 Prozent des Kapitals minus Agio), oder er hat bereits bei Vertragsabschluss eine Variante gewählt, die ihm die Auszahlung spätestens 24 Monate nach geschätzter Lebenserwartung respektive Laufzeit zusichert – freilich zulasten der Rendite (siehe Tabelle unten). Auch der vorzeitige Ausstieg ist bei USI unter Renditeabstrichen möglich. Allerdings verraten Anbieter mit derartigen Rückversicherungen meist ungern, wer für diese Zusicherung garantiert. Auch ergaben Testkäufe, dass in manchen Fällen jedenfalls kein kooperierendes Rückversicherungsunternehmen vorhanden ist.
Bei der Mutual Benefits Corp. (MBC) hingegen, dem internationalen Partnerunternehmen von Portfolio Brokerage, ist eine verfrühte Entnahme erst gar nicht vorgesehen. Allerdings, meinen Experten, seien derartige Klauseln zumeist ohnehin nicht erforderlich. So verweist Jörg Finsinger, Professor am Lehrstuhl für Finanzdienstleistungen der Universität Wien, auf statistische Untersuchungen, wonach bei seriösen Anbietern in 97 Prozent der Fälle der Auszahlungstermin sogar früher als erwartet eintritt. Abado: „Ein Vergleich von 600 MBC-Polizzen ergab, dass die Abweichung im Schnitt zehn Monate betrug.“
Währungsrisiko. Wogegen man freilich nicht geschützt ist, ist das Währungsrisiko. „Wie unangenehm sich der Dollar entwickeln kann, hat uns das letzte halbe Jahr deutlich vor Augen geführt“, konstatiert Andreas Tschikof von der Salzburger Niederlassung des deutschen Finanzdienstleisters Neue Vermögen AG. In Bezug darauf ließe sich jedoch gegensteuern, so Katscher: „Man kann beispielsweise ein Dollar-Konto eröffnen, über das abgerechnet wird.“
Steuerlich betrachtet handelt es sich bei der Übernahme einer amerikanischen gebrauchten Lebensversicherung um eine Zession (Forderungsabtretung), die nicht zu einem neuen Versicherungsvertrag führt. Wie die Produkte im Detail besteuert werden, ist aufgrund der erst kurzen Verfügbarkeit noch nicht eindeutig klar: Sicher ist, dass keine Gewinnsteuer anfällt, möglicherweise wird Kapitalertragsteuer (KESt) zu bezahlen sein.
Bei den britischen Zweithand-Polizzen fallen vier Prozent Versicherungssteuer für die laufenden Prämien an, der Einkommensbesteuerung unterliegen die Produkte nicht. Sowohl bei den britischen als auch bei den US-Polizzen zeichnen sich seriöse Angebote durch die Abwicklung über eine Treuhandgesellschaft aus, die für ordnungsgemäße Umschreibung der Polizze und die weitere Abwicklung der Prämienzahlungen sorgt.
Genussscheine. Neuerdings gibt es auch Genussschein-Modelle, bei denen ein Finanzdienstleister mehrere Polizzen über eine eigens dafür gegründete Gesellschaft gebündelt kauft und der Anleger Genussscheine an dieser Gesellschaft erwirbt. Im Unterschied zu Aktien ähneln Genussscheine konventionellen Schuldverschreibungen, bei denen oft eine Fest- oder Mindestverzinsung garantiert ist. „Unser Genussschein ist währungssicher und mit 25 Prozent KESt endbesteuert“, erläutert Herbert Wagner von der Neue Vermögen AG in Graz. Die Laufzeit beträgt sechs Jahre, ab dem zweiten Jahr soll es Ausschüttungen geben, die erwartete Nettorendite soll etwa sechs Prozent betragen. Investiert wird in rund 200 Polizzen von USI, die Zeichnungsfrist läuft noch bis 20. April, die Mindestsumme beträgt 2500 Euro.
Bei der M&A Privatbank kann ein vergleichbares Produkt noch bis 13. Februar gezeichnet werden. Das Portfolio dieses Genussscheins mit der Bezeichnung „M&A Life Settlement Holding“ besteht aus etwa 50 Polizzen von MBC. Allerdings muss der Anleger hier mindestens 40.000 Euro in die Hand nehmen, und es fallen 1,5 Prozent jährliche Managementgebühr sowie ein Erfolgshonorar von 20 Prozent des Gewinns an. „Dies gilt aber erst, wenn eine Renditemarke von sieben Prozent überschritten wurde“, betont M&A-Vorstand Gerald Hörhan. Zudem werde der Genussschein an der Börse notieren. Die Laufzeit beträgt mindestens zehn Jahre, regelmäßig ausgeschüttet werde etwa ab dem zweiten Jahr.
Spezielles Konstrukt. Schon seit längerem angekündigt, jedoch noch nicht fix ist eine andere Konstruktion aus Deutschland (Leben Plus), die MPC Capital Austria am österreichischen Markt anbieten will: Hier beteiligt sich der Investor, ähnlich wie bei einem Fonds, an einem Topf aus vielen einzelnen deutschen gebrauchten Versicherungen. „Im konkreten Fall wird der Investor Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft“, erklärt Peter Maierhofer, Geschäftsführer von MPC Austria. Die Restlaufzeiten dieser Polizzen liegen zwischen zwei und 15 Jahren.
Durch das Doppelbesteuerungsabkommen ist das Produkt in Deutschland endbesteuert und in Österreich unter dem so genannten Progressionsvorbehalt steuerfrei zu stellen. Maierhofer: „Die Grundbesteuerung für ausländische Investoren macht daher 25 Prozent plus Solidaritätsbeitrag von 1,75 Prozent auf das steuerliche Ergebnis des Fonds aus. Wenn dieses ausgeglichen oder gering ausfällt, hat dies für den Investor cashmäßig kaum Auswirkungen.“ Die erwartete Netto-Rendite liege bei acht bis zehn Prozent pro Jahr. Der Mindestanlagebetrag liegt bei 10.000 Euro zuzüglich fünf Prozent Ausgabeaufschlag.
Die britischen Polizzen hätten aber keinesfalls ausgedient, meint AVD-Geschäftsführer Kirchmair: „Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Die amerikanischen Produkte sind für Kurzfristinvestoren gedacht, die britischen eignen sich aufgrund der Laufzeiten von bis zu 18 Jahren für die langfristige Pensionsabsicherung.“ Gerade jetzt sei der Einstieg günstig, denn die Ablaufleistung wird auf Basis der zuletzt bezahlten Schlussboni geschätzt – und die waren vergleichsweise niedrig. Die Renditeerwartungen hingegen seien mit bis zehn Prozent pro Jahr gleich geblieben, betont Kirchmair, der zu Investments ab mindestens sieben Jahren Restlaufzeit rät.
Der zweite große Unterschied – dass die US-Polizzen reine Ablebenssache sind, bei den britischen aber das Erleben im Vordergrund steht – veranlasst ihn zum Hinweis: „Die Medizin macht kontinuierlich Fortschritte.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass die Inhaber von US-Polizzen länger leben, als derzeit noch errechnet wird, steigt damit tendenziell.
Die Innsbrucker Vermögensberatungsgesellschaft Nova Portfolio Management KG arbeitet derweil an einem eigenen Modell: Aktuell wird an einem auf irischen Secondhand-Polizzen basierenden Anlageprodukt getüftelt. Auch ist daran gedacht, britische Gebrauchtpapiere in Form von Sparplänen Kleinanlegern zugänglich zu machen.