Anna Netrebko vs. Angela Gheorghiu

Anna Netrebko vs. Angela Gheorghiu: Kampf um Regentschaft in der Opernwelt

Kampf um Regentschaft in der Opernwelt

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Anna Netrebko (Von Peter Schneeberger)

Schwer haben es mit Anna Netrebko die Puristen. Wenn es eine so umwerfend gut aussehende Opernsängerin in die quotenstarke „Jay Leno Show“ (2005) und auf die Wettbank von Thomas Gottschalk (2004) schaffe, so müsse die Frage gestattet sein, ob diese doch recht unübliche Begeisterung für eine derart elitäre Gattung nicht viel eher mit gewieftem Marketing als mit hoher Sangeskunst zu tun habe.

Bitte sehr, auch wenn es jetzt kurz ein bisschen langweilig wird: Netrebko ist stimmtechnisch nicht perfekt. Wenn sie ihr wuchtiges Organ Richtung Spitzentöne manövriert, hat die Gute-Laune-Diva ihren Atem nicht immer restlos unter Kontrolle, und die Töne klingen plötzlich schärfer als gewollt; wenn sie sich an wirklich anspruchsvolle Koloraturen heranwagt – etwa an Lucia di Lammermoors halsbrecherische Wahnsinnsarie –, fehlt es ihrem kraftstrotzenden ­Sopran für derartige Stimmakrobatik an Wendigkeit.
Doch waren Spitzfindigkeiten in der Oper noch nie so recht am Platz: Entweder der Funke springt aufs Publikum über – oder nicht. Sänger surfen mit großen Stimmen auf großen Gefühlen, schicken gewaltige Soundmengen in den Saal, die einen immer etwas benommen zurücklassen, falls die Show gelungen war. Wenn Wagners Isolde den Liebestod stirbt oder Verdis schwindsüchtige Traviata schmerzveredelt gen Himmel steigt, hat der Verstand verspielt.

Doch für einen erstklassigen Trip bringen nur wenige Sänger die nötigen stimmlichen und schauspielerischen Voraussetzungen mit. Angela Gheorghius vokale Artistik ist zwar bewunderungswürdig: 1994 sang sie Verdis „Traviata“ am Londoner Opernhaus Covent Garden derart perfekt, dass dem knorrigen Dirigenten Georg Solti die Tränen in die Augen stiegen. Doch für wuchtigere Partien fehlt ihr nicht bloß die nötige Power, sondern auch das gebotene Schmalz: Puccinis Schmachtnummer „O mio babbino caro“ singt sie mit einer Stimme, die sie gerne hätte, nicht mit jener, die sie hat.

Anna Netrebko schöpft dagegen aus dem Vollen: Wenn sie Arien des Italieners Verdi, des Franzosen Gounod oder ihres Landsmanns Tschaikowsky anstimmt, versetzt ihre Leidenschaft ganze Opernhäuser in einen kollektiven, frenetischen Rauschzustand. Sie hat den Sitz ihrer Stimme aus den vorderen Resonanzräumen nach hinten in den gutturalen Bereich verlagert und ihrem Organ dadurch eine betörende Fülle verliehen: Mit eiserner Intonationssicherheit hebt sie ab zu dunkel glühenden Höhenflügen.

Zwar weisen die Biografien der beiden Diven erstaunliche Parallelen auf. Beide Sopranistinnen stammen aus ärmlichen Verhältnissen, beide schafften den Durchbruch mit Verdis „Traviata“: Gheorghiu 1994 in London, Netrebko 2005 bei den Salzburger Festspielen; beide bewiesen ein sicheres Gespür für Marketing: Gheorghiu heiratete 1996 während einer Aufführung von „La Bohème“ auf der Bühne der Metropolitan Opera. Netrebko posierte mit ihrem neugeborenen Sohn Tiago Aruã 2008 werbewirksam für die Medien.

Doch wurde aus Gheorghiu eine kapriziöse Diva alter Couleur, die Intendanten mit kurzfristigen Absagen auf Trab hält, für Radiointerviews Make-up-Assistenten verlangt und sich in Limousinen durch die Gegend kutschieren lässt. Mit derselben Attitüde durchmisst die Rumänin auch Massenets und Puccinis Partituren: Gheorghius Interpretationen sind unterkühlt, kalkuliert und vermitteln Emotionen, die seltsam altmodisch wirken.

Netrebko benimmt sich nicht divenhaft („Ich bin normal. Normal, normal normal!“), und sie singt auch nicht so: Scheinbar mühelos lässt sie die Opernwelt den Ballast einer 400-jährigen Tradition vergessen. Ihrem Auftritt in Donizettis „Liebestrank“ (Wiener Staatsoper, 2005) fehlte der unfreiwillige Humor, der an den Komödien des Repertoires wie Sirup zu kleben scheint; wenn sie sich als wahnsinnige Lucia di Lammermoor (Metropolitan Opera, 2009) das Messer an den Hals setzt, bleibt dem Auditorium vor Schreck fast das Herz stehen – verpasste vokale Verzierungen hin oder her.

Netrebko hat der Kunstform Oper alle falsche Künstlichkeit ausgetrieben. Sie ist keine vokale Pyrotechnikerin wie Edita Gruberova und keine unfehlbare Heroine wie Joan Sutherland. Was sie anzubieten hat, ist ein Gesang, der zutiefst menschlich ist und einen immer berührt. Mehr kann eine Sängerin im Grunde nicht erreichen. Man spürt in jeder Note, dass diese Interpretin im 21. Jahrhundert lebt und singt.

Angela Gheorghiu (Von Manuel Brug)

Lassen wir mal all die schönen Diven-Storys beiseite: jene über die Perücke, die Angela Gheorghiu nicht gefiel, weshalb sie ihren Auftritt an der Metropolitan Opera platzen ließ; die ­Schlagzeilen über abgesagte Proben, nicht gelernte Rollen, ­ungesungene Arien und über die zahlreichen Rausschmisse wegen Disziplin­losigkeit. Derartige Allüren sind auch in der Opernkantine das Salz in der Suppe. Über keine andere Sängerin der Gegenwart – auch nicht über Anna ­Netrebko – gibt es so viele wahre und erfundene Storys wie über die 1966 ­geborene Gheorghiu.

Dies hat einen guten Grund. Nicht nur unterhalten uns die Histörchen über die Bühnenkämpfe und Probenkriege der strahlend schönen Rumänin aufs Beste. Ob sie nun unter dem Spitznamen „La Draculette“ firmiert oder mit ihrem ebenfalls Skandale liebenden Ehemann, dem italo-französischen Tenor Roberto Alagna, 46, als „Bonnie und Clyde“ der Oper gehandelt wird: Die Schlagzeilen sorgen dafür, dass Gheorghiu weit über den engeren Zirkel der Musikwelt hinaus Furore macht.

Genervte Manager und resignierte Intendanten mögen haarsträubende Geschichten erzählen, doch keiner wird es bestreiten: Die lyrische Sopranistin mit dem Hollywood-Look ist nicht nur die glamouröseste, sondern auch eine der besten Sängerinnen der Welt. Angesichts jener Grandezza, die Gheorghiu sowohl stimmlich als auch darstellerisch besitzt, wirkt Anna Netrebko wie ein ­naives Mädchen in zu hohen Schuhen. Auch im Doppel hat sie die Nase vorn: Gemeinsam mit ihrem Mann bildet sie das internationale Königspaar der Oper – vor ­allem seit Netrebkos Traumpartner Rolando Villazón stimmlich arg schwächelt. Gheorghiu und Alagna sind höchstbezahlt, ebenso geliebt wie gehasst, und die Werbetexter der Plattenfirmen geraten über die „Love birds“ und „Opera’s ­golden couple“ immer noch ins Schwärmen.

Gheorghiu, hoch begabt von Kindheit an, wusste sich kraft ihres Talents und ihrer Disziplin unter härtesten Auslesebedingungen in einem kollabierenden kommunistischen Staat zu behaupten. Ihr Karrieredurchbruch kam, als der begeisterte Georg Solti sie 1994, nur vier Jahre nach ihrem Gesangsexamen in Bukarest, durch seine allererste „Traviata“ im Royal Opera House Covent Garden auf Bühne, CD und Video, somit auf dem Silbertablett der Klassik servierte. Schon damals überzeugte sie nicht nur mit einer attraktiven Mischung aus Talent und Größenwahn, Raffinesse und Kindlichkeit. Ihr kontrollierter strahlfähiger Sopran besitzt große Reserven, eine lockende dunkle Tiefe, ausbaufähige Koloraturgeläufigkeit und genügend Ruhe für lange Legatobögen.

Machtvoll entwickelte sich ihre Stimme in das leichtere Spintofach einer eleganten Tosca oder einer klangsatten Leonore („Trovatore“). Sogar das romantische Koloraturrepertoire etwa der Marguerite in Gounods „Faust“ ist für Angela Gheorghiu möglich, wenn sie sich auch nicht wirklich darin zu Hause fühlt. Oftmals beginnt sie eine Vorstellung als Eisprinzessin, sehr verhalten, steigert sich aber über eine allzu gemachte Gefühligkeit hinaus in echte Ausbrüche und ­anrührende Empfindung.

Maria Callas wurde von ihrer Plattenfirma EMI mit dem Tenor Giuseppi di Stefano im Doppel vermarktet; das Kalkül geht auch bei Gheorghiu auf: In einer Musikszene, die inzwischen von soliden bis langweiligen Charakteren geprägt ist, verströmt das Skandalpaar Gheorghiu/Alagna den Glanz vergangenen Opernzaubers. „Ich bin Sängerin. Ich kann kein normaler Mensch sein“, kommentiert Gheorghiu ihre Eklats und Kapricen ebenso charmant wie rigoros – und stellt sich in ihrer neuen Aufnahme der „Butterfly“ souverän dem Vergleich mit den großen Puccini-Vorbildern Renata Tebaldi und Renata Scotto. Doch nicht nur das: An einem guten Abend ist Gheorghius Stimme weicher und kräftiger als Karita Mattilas quellklarer und kühler Sopran, ist ihr Gesang wortdeutlicher und mit mehr Farbnuancen ausgestattet als jener der Amerikanerin René Fleming; und in den hohen Lagen, wo Anna Netrebkos nebelverhangener Sopran dünner wird, lässt es Gheorghiu strahlen, funkeln und blühen. Sie serviert eine Fülle des Wohllauts, dem man ebenso wohlgefällig verfällt.