Arabische Welt: Wut auf den Westen

Helle Empörung ist praktisch allgegenwärtig

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Berichte über Misshandlungen in den US-verwalteten Gefängnissen im Irak kursierten in den arabischen Medien schon länger. Doch die Tatsache, dass große Teile der Bevölkerungen nicht lesen können, verleiht den nun veröffentlichten Folterfotos umso größere Wucht. „Für Araber und Moslems sind diese Bilder exemplarische Symbole für die gesamte Beziehung zwischen der islamischen und der westlichen Welt“, meint Bernard Haykel, Islamwissenschafter an der New York University. „Sie bringen die ganze Dynamik aus Unterwerfung, Erniedrigung und Entmannung auf den Punkt.“

Nackt an der Hundeleine herumgeführt zu werden oder Oralsex simulieren zu müssen ist in allen Kulturen eine tiefe Demütigung. Nacktheit, Scham und Ehre sind in der arabischen Kultur jedoch symbolisch und psychologisch besonders stark befrachtet: „Da geht es um die Mannesehre und -würde“, sagt Bassam Tibi, Islamwissenschafter an der Universität Göttingen, im Gespräch mit profil.

Für das Terrornetzwerk al-Qa’ida, das immer wieder mit dem Motiv der Entmannung der Araber durch den Westen spielt, sind die Fotos ein Geschenk. „Die Djihadisten triumphieren jetzt natürlich. Aber die Bilder sind auch Wasser auf die Mühlen der orientalischen Despoten aller Schattierungen, die jetzt sagen: Da habt ihr die westlichen Werte“, meint Tibi. „Der antiwestliche Furor der arabischen Medien ist erschreckend.“

Für zusätzliche Kollateralschäden sorgt die amerikanische Pornoindustrie: Bilder, die schon vor Monaten von der New Yorker Firma Megazoo Inc. gemacht wurden und auf – inzwischen geschlossenen – Websites wie „Iraq Babes“ und „Sex in War“ zu sehen waren, zeigen als US-Soldaten verkleidete Männer beim Geschlechtsverkehr mit Frauen in schwarzen Roben. Sie haben ihren Weg über proislamistische Internetseiten in den Irak gefunden und werden dort, vermischt mit den Bildern aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis, für authentische Fotos von Vergewaltigungen gehalten.

Auch die Entschuldigung von US-Präsident George Bush in Interviews für arabische TV-Stationen verpuffte wirkungslos: Wegen ihres herablassenden Stils und ihres lauwarmen Inhalts wurde sie von den arabischen Medien rundum als ungenügend empfunden. Das habe mit der irakischen Kultur zu tun, schrieb Abbas Kadhim, irakischer Amerikaner und Nahostforscher an der Universität Berkeley, in der „Los Angeles Times“: „In Ehrensachen – bei sexuellen Übergriffen zum Beispiel – wird eine Entschuldigung nur akzeptiert, wenn sie mit dem Kopf des Täters kommt.“
Ein ebenso prophetisches wie makabres Statement angesichts der Enthauptung von Nick Berg wenige Tage später: Die islamistischen Täter vollzogen sie ausdrücklich als Rache für die Folterfotos. Viele Araber reagierten darauf mit blankem Entsetzen. „Die Amerikaner werden jetzt glauben, die Iraker verdienen Folter“, meint etwa Mamduh, ein ägyptischer Pharmaziestudent, gegenüber dem Nachrichtensender Al-Jazeera. Doch andere sprechen von legitimer Rache. „Die Bilder aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis“, fürchtet Bassam Tibi, „werden noch sehr, sehr lange wirken und Schaden anrichten.“