Arbeitsmarkt: Arbeitslos flexibel

Auch EU-Komission for-dert Gegenmaßnahmen

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In der Wiener Hofburg diskutierten vergangene Woche auf Einladung von Sozialministerin Ursula Haubner internationale Demografieexperten über Probleme durch sinkende Geburtenraten und zunehmende Überalterung in Europa. Allgemeine Erkenntnis: Nur Familienförderung und leistbare Kinderbetreuung könnten Geburtenraten wieder in die Höhe treiben. EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla warnte vor negativen Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung der Union: Bis zum Jahr 2030 würden in der EU etwa 30 Millionen Arbeitskräfte fehlen.

Doch derzeit leidet die EU weiterhin an einem Mangel an Jobs: Rund 30 Millionen Personen suchen derzeit in der EU Arbeitsplätze. Mit einer neuen „Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung“ will die EU nun die Arbeitslosigkeit bekämpfen: mehr Geld für Forschung und Entwicklung, mehr Mittel für Ausbildung und Umschulung. Vor allem die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer soll gefördert werden, um das tatsächliche Pensionsantrittsalter an die gestiegene und weiter steigende Lebenserwartung anzupassen.

Genau auf diesem Gebiet musste Österreichs Regierung von der EU-Kommission Ende Jänner eine Rüge einstecken. Zur Beschäftigungsrate älterer Arbeitskräfte, die mit 29 Prozent „zu den niedrigsten in der EU zählt“, werden von Österreich „weitere Maßnahmen“ erwartet, hieß es in der Ende Jänner vorgelegten Analyse des von Österreich eingereichten „Nationalen Reformprogramms“. Vor allem der jobträchtige Dienstleistungsbereich leide immer noch an „ernsten Hürden durch zu viel Regulierungen“. Auch fehlende Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder wurden im Bericht der EU-Kommission kritisiert.

Nach dem Rüffel aus Brüssel kam für die Regierung der nächste Dämpfer: Donnerstag vergangener Woche wurden die neuen Arbeitsmarktdaten bekannt gegeben. Von einer durch optimistischere Konjunkturprognosen herbeigesehnten Trendwende kann noch keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Zahl der Arbeitslosen in Österreich kletterte auf einen neuen Nachkriegsrekord von 9,3 Prozent. Offiziell waren im Jänner beim Arbeitsmarktservice (AMS) 326.747 Personen arbeitslos gemeldet, das sind um 3,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Zählt man die in Schulungen befindlichen Arbeitssuchenden dazu, haben 380.000 Personen derzeit keinen Job.

Heftige Kritik an der Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung übten sofort Arbeiterkammer, ÖGB und die Opposition. AK-Präsident Herbert Tumpel sprach von einer „desaströsen Arbeitsmarktentwicklung“ und forderte Zugangsbeschränkungen für ausländische Saisonarbeitskräfte. ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch warnte, ohne Wachstum und Stärkung der Kaufkraft würden die negativen Rekorde fortgesetzt. „Am Ende haben wir nur besser ausgebildete Arbeitslose“, bezweifelte er die Auswirkung der verstärkten Umschulungsmaßnahmen.

SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer warf der Regierung vor allem bei der Jugendarbeitslosigkeit Untätigkeit vor. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gab sich wie immer gelassen und verwies auf Rekordzuwachsraten bei der Anzahl der Arbeitsplätze. Angaben der Opposition, wonach unter Einrechnung der „Pensionsbevorschussten“ (früher: Frühpensionisten wegen geminderter Erwerbstätigkeit) und der Notstandshilfebezieher sowie anderer Gruppen die Zahl der Arbeitslosen schon über 400.000 Personen betrage, wies Schüssel als „Horrorgeschichten“ zurück.

Ein Großteil des negativen Rekords sei auf den strengen Winter mit direkten Folgen für die Bauwirtschaft zurückzuführen. In drei Bundesländern, Salzburg, Tirol und Vorarlberg, sei die Arbeitslosigkeit sogar gesunken. Auch bei der Jugendarbeitslosigkeit seien erste Anzeichen einer Trendwende erkennbar.

Nordisches Modell. Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein verwies auf den Umstand, dass etwa ein Drittel der Arbeitslosen schon für einen Job vorgemerkt sei. Immer mehr Branchen würden bei schlechter Auftragslage Arbeitskräfte vorübergehend in die Betreuung des Arbeitsmarktservice schicken und nach der Durststrecke wieder einstellen. „Das akzeptiere ich nicht“, kündigte Bartenstein eine schärfere Gangart gegen Missbrauch von Sozialleistungen an (siehe Interview Seite 18).

Für den Arbeitsmarkt will Bartenstein das nordische Modell der so genannten Flexicurity kopieren. Dabei soll Flexibilität am Arbeitsmarkt mit hoher sozialer Absicherung verbunden werden (siehe Kasten Seite 17). Österreichs Beitrag dafür sei die Abfertigung neu, bei der ein Arbeitnehmer seine Abfertigungsansprüche, die nun allerdings geringer als früher sind, zu einem neuen Dienstgeber mitnehmen kann.

Wifo-Experte Helmut Mahringer betont freilich einen großen Unterschied zu nordischen Ländern: Das Flexicurity-Musterland Dänemark, das kürzlich auch Finanzminister Karl-Heinz Grasser als Vorbild lobte, gibt für aktive und passive Arbeitsmarktpolitik mehr als doppelt so viel Geld aus wie Österreich.

Christoph Matznetter, Finanz- und Budgetsprecher der SPÖ, holte zum sechsten Geburtstag der schwarz-blau/orangen Koalition vergangene Woche zu einem Rundumschlag aus. Österreich liege im EU-Vergleich in vielen Bereichen im unteren Drittel. „In keinem anderen EU-Land sind die öffentlichen Investitionen so gering wie in Österreich“, kritisierte Matznetter. Auch bei den Unternehmensinvestitionen liege Österreich seit 1999 um 40 Prozent unter dem Durchschnitt der 15 „alten“ EU-Länder. Höhere öffentliche wie private Investitionen würden sofort neue Jobs schaffen, so Matznetter.

Beim Wachstum der Reallöhne liege Österreich unter den EU-15 bloß an elfter Stelle. „Trotz der von der Regierung gepriesenen Steuerreform gehen die Reallöhne wie schon im Jahr 2000 wieder zurück.“ In skandinavischen Ländern würden dagegen die Lohnabschlüsse oberhalb der Inflationsraten getätigt, was den privaten Konsum angekurbelt habe.

Auch beim Wirtschaftswachstum liegen vergleichbare Länder wie Schweden und Finnland deutlich vor Österreich.

Zwar weist Österreich nach EU-Berechnungen noch immer die fünftniedrigste Arbeitslosenquote auf, aber vor allem bei der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer liegt Österreich im EU-Vergleich weit hinten. „Das ist die größte Herausforderung für jede Regierung“, meint Gudrun Biffl, Arbeitsmarktexpertin des Wirtschaftsforschungsinstituts.

In skandinavischen Staaten und den Niederlanden seien Arbeitnehmer bei höherem sozialem Schutzniveau leichter vermittelbar als in Österreich. Arbeitslosenunterstützung würde dort über andere Steuern finanziert und treibe daher – anders als in Österreich – nicht die Lohnnebenkosten in die Höhe.

Ältere Arbeitnehmer würden in Österreich auch durch hohe Abfertigungsansprüche am Jobwechsel gehindert, weil neue Arbeitgeber kaum je bereit sind, diese Anrechte auf eine hohe, nach dem alten System erworbene Abfertigung zu übernehmen. „Wenn man nach 21 Dienstjahren Anspruch auf ein Jahresgehalt an Abfertigung hat, wird so jemand kaum freiwillig auf einen geringer bezahlten Teilzeitjob wechseln und dadurch seinen Abfertigungsanspruch aufgeben“, konstatiert Biffl. Auch die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten habe die Anstellung von älteren Arbeitern verteuert.

Zu wenig Lehrstellen. Bei der Jugendarbeitslosigkeit würden die von der Regierung beschlossenen Förderungen für neue Lehrstellen nun langsam greifen, meint Biffl. Viele Lehrlinge hätten sich zudem für die Ableistung der Berufsreifeprüfung entschieden, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu steigern.

AK-Experte Gernot Mitter sieht vor allem bei den Lehrstellen in Technologiebranchen erhebliche Probleme. „Eine Kellnerlehrstelle wird man leicht finden, weil ein Betrieb nicht viel dafür investieren muss. Aber Lehrstellen für Informationstechniker gibt es in Wien kaum.“

Auch Karl Öllinger, Sozialsprecher der Grünen, sieht keinen Anlass zur Entwarnung: Die Arbeitslosigkeit habe sich bei den unter 25-Jährigen seit 1999 von fünf auf zehn Prozent verdoppelt. Viele Jugendliche würden zudem gar nicht in der Arbeitsmarktstatistik aufscheinen, weil sie noch keine Anstellung hatten.

Öllinger macht für die Misere auch den Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst verantwortlich. Der grüne Politiker schlägt vor, dass Gemeinden Jobs im gemeinnützigen Sektor, etwa in Pflegeberufen, schaffen sollten: „Aber derzeit werden die Gemeinden über den Finanzausgleich finanziell ausgehungert.“

Auch Öllinger empfiehlt skandinavische Berufsbildungsmodelle zur Nachahmung. Dort wären vor allem für Frauen hochqualifizierte Jobs geschaffen worden, „während man in Österreich viel Geld in den Niedriglohnsektor gepumpt hat“. Problem dabei: Für minderqualifizierte Jobs droht aus den neuen Mitgliedsländern der EU Konkurrenz, die spätestens nach Auslaufen der Übergangsfrist auf den heimischen Arbeitsmarkt durchschlagen werde.

Die Regierung setzt nun bei jüngeren und älteren Arbeitssuchenden, die länger arbeitslos gemeldet sind, auf den so genannten Kombilohn, der am 1. Februar gesetzlich in Kraft getreten ist und die Besetzung von 5000 freien, aber schlecht bezahlten Stellen ermöglichen soll. Dabei wird zum Monatslohn, der unter 1200 Euro liegen muss, ein Aufschlag (in der Regel bis zu 300 Euro) gewährt. Damit verdienen frühere Bezieher von Notstandshilfe netto deutlich mehr. Aber auch der Staat erspart sich durch Einsparungen bei den Sozialleistungen etwas.

Kritiker des Kombilohns warnen, dass den Unternehmen auf diese Weise Billigjobs staatlich subventioniert würden. „Damit werden Jobs, von denen man eigentlich nicht leben kann, salonfähig gemacht“, kritisiert SPÖ-Finanzsprecher Matznetter. „Ich hoffe nicht, dass dieses Modell in der EU Nachahmung finden wird.“

Chance mit Forschung. Im März sollen beim Frühjahrsgipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs neue Anstrengungen für mehr Beschäftigung präsentiert werden. EU-Ratsvorsitzender Wolfgang Schüssel wird dabei vor allem für höhere Ausgaben bei Forschung und Entwicklung werben. Gemeinsames Ziel: Die Mittel für den Forschungssektor sollen auf drei Prozent des Bruttonationalprodukts erhöht werden. Die Europäische Investitionsbank soll zudem mit Krediten zur Ankurbelung der Wirtschaft beitragen.

Doch Forschung allein schafft noch kein Jobwunder. EU-Industriekommissar Günther Verheugen will vor allem die anwendungsorientierte Forschung gefördert wissen und Unternehmen besser einbinden. Denn bisher wurden die Chancen für neue Produkte in Europa oft gar nicht genützt. Verheugen: „Die MP3-Technologie wurde in Europa erfunden, aber erst das US-amerikanische Unternehmen Apple hat den iPod weltweit vermarktet.“

Von Otmar Lahodynsky
Mitarbeit: Alexander Dunst, Martina Lettner und Ulla Schmid