Arbeitsmarkt: Kapitaler Kahlschlag

Warum Unternehmen trotz Gewinne Stellen abbauen

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Zuerst kam die gute Nachricht, dann die weniger gute: Am 3. Februar 2005 um zehn Uhr präsentierte Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, vor der versammelten Presse die Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr. Demnach hatte die nach der Bilanzsumme größte Bank Europas im Vorjahr ihren Gewinn nach Steuern um beachtliche 87 Prozent auf 2,5 Milliarden Euro gesteigert – das beste Ergebnis seit vier Jahren.

Dass Ackermann gleich im Anschluss erklärte, das Unternehmen müsse zur „weiteren Steigerung der Kapitalrendite“ nicht weniger als 6400 Mitarbeiter abbauen, löste in der Folge eine Welle der Empörung aus. Sogar der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder übte Kritik und forderte vom Bankmanagement „mehr soziale Verantwortung“ ein. Schröders SPD-Parteikollege und Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement legte nach: „Die Kostenreduktion der Unternehmen durch Personalabbau sollte langsam dem Ende zugehen.“ Zumal Clement erst tags zuvor vermelden musste, dass die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland erstmals seit der Nachkriegszeit die 5-Millionen-Marke überschritten hat.

Ackermanns Auftritt mag die nötige Sensibilität gefehlt haben. In der Sache selbst freilich steht der 56-jährige Banker bei Weitem nicht allein da: So haben etwa die 30 im Aktienindex DAX zusammengefassten wichtigsten deutschen Börseunternehmen im Vorjahr einen Rekordgewinn von insgesamt 60 Milliarden Euro erwirtschaftet. Parallel dazu wurden jedoch zehntausende Stellen abgebaut und weitere personelle Einschnitte in ähnlicher Größenordnung angekündigt.

Renditen-Jagd. In Österreich ist die Situation nicht viel anders: Auch hierzulande erfreuten zahlreiche börsenotierte Unternehmen ihre Aktionäre zuletzt mit deutlich gestiegenen Gewinnen und stellten ansehnliche Dividenden in Aussicht, um zeitgleich die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen im Personalbereich zu predigen.

Ob Deutsche Telekom oder Telekom Austria, ob Deutsche Bank oder Bank Austria Creditanstalt, ob der deutsche Energiekonzern RWE oder der österreichische Verbund – sie alle sorgten zuletzt mit wirtschaftlichen Erfolgen und Personalabbau für Schlagzeilen.

Arbeitnehmervertreter sehen darin jedenfalls eine höchst bedenkliche Entwicklung ohne ausreichende wirtschaftliche Rechtfertigung. „Geht es der Wirtschaft gut, geht es uns allen gut“, erinnert Arbeiterkammer-Direktor Werner Muhm an einen Werbespruch der Wirtschaftskammer. Ein Slogan, der mit der Realität nur wenig zu tun habe, wie Muhm anmerkt: „Die Unternehmensgewinne explodieren, die Börsekurse schießen nach oben, aber den Menschen geht es um nichts besser.“ Laut einer Erhebung der Arbeiterkammer seien die Nettoerträge in Österreichs Wirtschaft in den Jahren 1995 bis 2003 um 44 Prozent gestiegen, während die durchschnittlichen Löhne und Gehälter um nur 21 Prozent zugelegt hätten. Den Unternehmen würde zudem mit der jüngst erfolgten Senkung der Körperschaftssteuer sogar ein Anreiz geboten, weiter in diese Richtung zu arbeiten, anstatt in neue Arbeitsplätze zu investieren, kritisiert Muhm.

Andreas Höferl, ehemaliger Pressesprecher von Finanzminister Rudolf Edlinger und nun Generalsekretär der Gesellschaft für Politikberatung, ortet einen Paradigmenwechsel: „Früher war es gesellschaftlicher Konsens, dass zur unternehmerischen Tätigkeit auch die Schaffung von Arbeitsplätzen gehört. Diesen Konsens gibt es heute nicht mehr.“ In einer Studie hat Höferl die Praxis der 34 im Prime Market der Wiener Börse gelisteten Unternehmen genauer beleuchtet. Die Gewinne nach Steuern seien demnach allein zwischen 2001 und 2003 von 1,51 Milliarden Euro auf 2,83 Milliarden Euro angewachsen, das entspräche einem Zuwachs von 88 Prozent. Die an die Aktionäre ausgezahlten Dividenden hätten im selben Zeitraum um 47 Prozent zugelegt. Nicht einmal annähernd habe damit freilich die Entwicklung der Beschäftigtenzahl Schritt halten können. Insgesamt sei die Zahl der Mitarbeiter der 34 Unternehmen um bloße elf Prozent gestiegen, bei einem Viertel sogar rückläufig gewesen.

Druckmittel. Als logische Konsequenz seien die Erträge pro Mitarbeiter in diesen drei Jahren von durchschnittlich 7500 auf 12.700 Euro hochgeschnellt, so Höferl: „Das ist die Wirtschaftsordnung des Neoliberalismus.“ Muhm setzt sogar noch eins drauf: „Die Betriebe nutzen die hohe Arbeitslosigkeit, um den Druck auf die Arbeitnehmerorganisationen zu verschärfen und immer neue Zugeständnisse zu fordern, wie jetzt gerade bei den Überstunden.“

Kritik, die von Repräsentanten der Unternehmerseite entschieden zurückgewiesen wird. Man könne sich dem globalen Kostendruck nicht einfach entziehen, heißt es dort. „Der zunehmende Preisdruck zwingt die Unternehmen zu einer zurückhaltenden Personalpolitik“, verweist Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV), auf die Ergebnisse der jüngsten Konjunkturumfrage. Darin hätten 20 Prozent der befragten Unternehmen eine Reduktion des Beschäftigtenstandes angekündigt, während nur acht Prozent in Aussicht stellten, Personal aufzunehmen. Damit würde die Industrie einen Trend fortschreiben, der bereits Mitte der 90er-Jahre eingesetzt hat.

Einschnitte. Dieses Bild zeichnet jedenfalls eine Erhebung von Stefan Bruckbauer, Volkswirtschaftsexperte der Bank Austria Creditanstalt: Demnach sei die Wertschöpfung der österreichischen Industrie in den Jahren 1995 bis 2004 um 42 Prozent auf 43,3 Milliarden Euro gestiegen, die Zahl der Beschäftigten hingegen um 9,1 Prozent auf knapp 585.000 gesunken. Knapp 60.000 Vollzeitarbeitsplätze seien verloren gegangen.

Doch es ist nicht nur die Gier nach neuen Rekorden, die Manager antreibt, immer wieder aufs Neue auf die Kostenbremse zu treten. Sie sind vielmehr selbst Getriebene, wie Alois Guger vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) anmerkt: „Früher waren die meisten Investitionen kreditfinanziert. Da konnten Unternehmer mit ihren Banken langfristige Planungen ausarbeiten.“ Heute hätten bei Großunternehmen meist Finanzinvestoren und Wertpapieraktionäre und Analysten das Sagen. Guger: „Das Unternehmensverhalten ist auf die Börse ausgerichtet und damit sehr kurzfristig geworden. Es geht darum, die Analysten zu beeindrucken.“ Und natürlich die Aktionäre mit steigenden Kursen und Dividendenzusagen ruhig zu stellen. Und nichts treibt bekanntermaßen den Kurs mehr in die Höhe als die Meldung von einem bevorstehenden Personalabbau.

Wachstumszwang. Doch auch bei nicht börsenotierten Unternehmen wächst der Kostendruck: Nicht Europa und noch viel weniger Österreich kann seinen Markt gegen billigere Konkurrenz aus Asien oder den Ländern des ehemaligen Ostblocks abschotten. Einst geschützte Märkte wie Energiewirtschaft und Telekommunikation sind längst liberalisiert, und auch im Finanz- und Bankensektor ist der internationale Druck im Lichte immer neuer Fusionen und Übernahmen deutlich stärker geworden (siehe Kasten Seite 40).

Einzig der Handel vermeldete zuletzt steigende Beschäftigungszahlen. Doch der Schein trügt. Zum überwiegenden Teil sind es nämlich niedrig entlohnte Teilzeitkräfte, die dafür verantwortlich zeichnen. Die Zahl der Vollbeschäftigten ist auch hier deutlich rückläufig.

Die schwache Konjunkturentwicklung erschwert die Situation zusätzlich. In den Jahren 2001 bis 2003 ist Österreichs Wirtschaft nur um 0,7 bis 1,2 Prozent gewachsen, im Vorjahr waren es 1,9 Prozent. Das reicht noch nicht einmal, um den Beschäftigtenstand konstant zu halten, wie Wifo-Experte Markus Marterbauer vorrechnet: „Erst bei einem Wachstum von drei Prozent ist damit zu rechnen, dass die Unternehmen wieder mehr Leute aufnehmen und die Arbeitslosigkeit spürbar sinkt.“

Werner Muhm fehlt dafür nach eigenem Bekunden aber der Glaube: „Die Unternehmen haben uns noch nie das Angebot gemacht, positive Effekte mit uns zu teilen.“ Der Arbeiterkämmerer fürchtet vielmehr, dass sich an der aktuellen Kultur herzlich wenig ändern wird: „Die soziale Kälte ist anscheinend wieder in Mode gekommen.“