Leitartikel: Christian Rainer

Arigona. Letzter Akt.

Arigona. Letzter Akt.

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Die Schonfrist ist vorbei. Das Schuljahr geht dem Ende zu. Arigona Zogaj muss in diesem Sommer das Land verlassen. So hat das die Republik vor einem halben Jahr entschieden. Ich schrieb damals einen Kommentar unter dem Titel „Wenn Arigona ein Nigerianer wäre …“. Vorspann: „… dann könnte sie von Glück reden, lebend abgeschoben zu werden.“ Tenor: „Die Angelegenheit Arigona ist vor allem kitschig. Wer Leid lindern will, soll sich auf die schweren Fälle werfen, sei es in Österreich, sei es im Ausland, und nicht auf dieses so mediengerechte Drama.“ Die Reaktionen auf den Text waren nicht eben zurückhaltend, gerieten durchwegs emotional und vielfältig. Die Urheber ließen sich nicht einem bekannten politischen oder gesellschaft­lichen Raster zuordnen. Es waren also nicht die Freiheit­lichen, das BZÖ oder die „Kronen Zeitung“, die mich in weltanschauliche Geiselhaft nahmen, und umgekehrt waren die schärfsten Kritiker auch nicht die notorischen Weltverbesserer des Landes. Vielmehr zeigten sich gerade karitative Organisationen eher zurückhaltend mit Kritik und stimmten vereinzelt zu. Begründung: ein großes Drama, das von den wirklichen Problemen ablenkt; die vermeintlich schützende Hand eines Priesters abseits kluger strategischer Vorgangsweise. Und ich erlaubte mir damals schon hinzuzufügen: Die enorme öffentliche Aufmerksamkeit würde Arigona und ihre Familie extrem belasten, was der zweifache Suizidversuch der Mutter leider belegt hat. Eine stillschweigende „österreichische“ Lösung war zwischen den medialen Fronten im Übrigen auch nicht mehr möglich. Eine andere Meinung vertrat zum Beispiel die ehemalige freiheitliche und liberale Politikerin Heide Schmidt in einem Gastkommentar für profil: „Trostlose Vergleiche. … Was will er uns sagen, wenn er verhungernde Nigerianer gegen die Zogajs ausspielt? Rainer muss wissen, dass der Platz für die einen den anderen keinen wegnimmt.“
Wenn das bloß so wäre.

Der Einzelfall ist für das Land tatsächlich unerheblich. Freilich wäre eine derartige Ausnahme im Einzelfall ungerecht gegenüber allen Asyl­werbern, die unter ähnlichen Voraussetzungen kein dauerhaftes Bleiberecht bekommen und in Zukunft nicht bekommen werden – bloß weil die Öffentlichkeit sich eines gut inszenierten Mädchens und ihres Priesters erbarmt, andere Fälle aus dem Kosovo oder von sonst wo aber mangels geeigneter Bilder links liegen lässt. Somit brauchte es ein humanitäres Bleiberecht oder eine Generalamnestie für alle vergleichbaren Fälle. Vergleichbar? Da gilt es dann abzuwägen: Bekommt jemand für die perfekte sprachliche Integration mehr Punkte als jemand, der zwar die neue deutsche Rechtschreibung nicht präzise beherrscht, aber aus einem dubioseren Land als dem Kosovo kommt? Wird die fünfzigjährige Witwe wegen absehbarer Kosten für den Sozialstaat eher rausgeschmissen als der heftig nachgefragte Facharbeiter? Sollen wir uns der kranken und siechen Asylwerber schneller entledigen als einer Arigona, die „hier ihre Steuern zahlen und ihren Beitrag zum Sozialprodukt leisten würde“ (Zitat Heide Schmidt)? Und würde die Integration einiger Ausländer wirklich „keinen anderen“ die Chance auf einen Arbeitsplatz, auf Transferleistungen und auf das Wohlwollen der eingesessenen Österreicher nehmen?
Oder soll eine Generalamnestie einfach alle Fälle umfassen, ob mit Arigona vergleichbar oder nicht? Und würde auch das budgetneutral und ohne Auswirkung auf den Arbeitsmarkt bleiben?

Es gibt einen guten Grund, sich gegen ein Abwägen des Leides unterschiedlicher Gruppen von Ausländern zu stellen: Wer die Sache politisch im Sinne der Betroffenen angeht, tut gut daran, eine bessere Verhandlungstaktik zu wählen, nämlich eine Verbesserung für alle Fälle zu verlangen, statt schlimm von noch schlimmer zu unterscheiden. Das ändert nichts daran, dass eine Lösung in der Sache dennoch notwendig ist – angesichts eines beschränkten Angebots von Infrastruktur und Geld sowie eines eingeschränkten Willens der Österreicher, Ausländer aufzunehmen. Dazu braucht es Kriterien, nach denen selektiert wird. Geläufig sind Parameter wie der Grad der Integration, die politische Situation im Herkunftsland oder auch die Nachfrage am Arbeitsmarkt. Die ökonomische und soziale Aussichtslosigkeit in der Heimat der Asylwerber, der Flüchtlinge, der Illegalen ist bisher kein Kriterium. Sollte es aber sein. Nigeria statt Kosovo. Ich bleibe dabei.