Peter Michael Lingens

Armer Obama

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Der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten könnte für längere Zeit auch der letzte sein. Wenn ich einmal mehr dem Wiener Volkswirtschaftsprofessor Erich Streissler folge, wird die Rezession, die seine Amtszeit zwingend begleitet, sich entweder sehr bald dramatisch vertiefen, dafür aber auch rascher wieder enden, oder sie wird in einer flacheren Kurve etwa zehn Jahre dauern.

In jedem Fall wird die erste Amtsperiode Barack Obamas wirtschaftlich die unangenehmste sein, die die Amerikaner seit der großen Depression durchzustehen hatten. Und Hauptleidtragende werden jene einkommensschwachen Schichten und vor allem minder qualifizierten Schwarzen sein, die die größte Hoffnung in ihn gesetzt haben. Obwohl er völlig schuldlos sein wird, besteht eine beträchtliche Chance, dass er die nächsten Wahlen so klar verliert, wie er diese gewonnen hat.

Auch der Krieg in Afghanistan, auf den Obama sich konzentrieren will, wird nicht zu gewinnen sein. Guerillakriege in einem unwegsamen, weit entfernten, mental fremden Land, in dem die Guerilleros noch dazu die Möglichkeit haben, sich über die Grenze nach Pakistan zurückzuziehen, sind grundsätzlich nicht zu gewinnen. Die Engländer haben das lernen müssen, die weit weniger zimperlichen Russen haben es lernen müssen, und die Amerikaner, die den ­Bodenkampf wie die Pest scheuen, werden es in ­Afghanistan genauso lernen. Wer vor allem aus der Luft kämpft, kann nicht vermeiden, der ­Zivilbevölkerung schweren Schaden zuzufügen und sie langsam, aber sicher gegen sich aufzubringen. Schon gar eine Bevölkerung, die sowieso mit den amerikanischen Kriegszielen nichts am Hut hat: Weder träumen die Afghanen von der Demokratie, noch von der Gleichberechtigung der Frauen; die Stammesfürsten wollen keine starke Zentral­regierung, sondern sie wollen mit ihren Privatarmeen ein möglichst großes Gebiet beherrschen; und die Bauern wollen ihren Mohn anbauen, um am Drogengeschäft mitzuverdienen. Sicher haben sie genug von der Schreckensherrschaft der Taliban, aber die Männer, die jetzt unter dem ­Titel „Taliban“ kämpfen, sind ihnen so lieb oder so verhasst wie alle Männer, die in ihrem Land Gewehre benützen. Sie wollen das Ende der Kämpfe, und das wird erst eintreten, wenn die Amerikaner und mit ihnen die Europäer das Land verlassen. (Natürlich kann es auch sein, dass dann die einzelnen Warlords übereinander herfallen, aber das wird das Volk in der Kalkulation vorerst nicht berücksichtigen.)

Da bin ich, bezüglich des Kriegs im Irak, noch optimistischer. Denn dort gibt es immerhin eine Bevölkerung, die „westliche“ Ziele bejaht: Sie hat unter Lebensgefahr bewiesen, dass sie wählen will; sie will eine moderne Gesellschaft; und es gibt einen gebildeten Mittelstand, der in der Lage ist, eine moderne Volkswirtschaft zu betreiben. Die Zahl der Attentate hat in letzter Zeit tatsächlich ab-, die Zahl der relativ befriedeten Zonen zugenommen. Hier könnte ein neuer US-Präsident Erfolg haben, indem es ihm gelingt, ein besseres Verhältnis zum Iran und zu Syrien herzustellen, sodass von dort weniger Attentäter einreisen, und ihm wird man auch eher als Bush abnehmen, dass die ­US-Truppen das Land auch wirklich verlassen, sobald die Regierung selbst für Frieden sorgen kann.

Aber das alles wird die Amerikaner nur am Rand interessieren. Die Entscheidung über Weiterleben oder Untergang des Präsidenten findet ausschließlich zu Hause auf dem Schlachtfeld der Wirtschaft statt.
Die derzeitige Finanzkrise ist ja nur der Anfang: Das noch so spektakuläre Zusammenbrechen von Bankhäusern oder der Verfall der Aktienkurse ist nichts gegen die Schließung von Betrieben beziehungsweise den Abbau von ­Arbeitskräften.

Die der Finanzkrise zwingend folgende Wirtschaftskrise ist es, die die Menschen weit stärker spüren werden. Es ist so einfach – auch wenn es die Wirtschaftspresse und viele Ökonomen durch Jahre nicht sehen wollten: Die Amerikaner haben Jahre hindurch extrem über ihre Verhältnisse gelebt und müssen die so entstandenen hohen Schulden daher jetzt abtragen, das heißt Jahre hindurch sparen – und Sparen bedeutet Rezession. Die Amerikaner werden sie am deutlichsten spüren; ­danach die Japaner, die ihnen die meisten Waren verkauft haben; danach die Europäer; und selbst in China, auf dem alle Hoffnungen ruhen, hat sich das Wachstum bereits ­abgeflacht.

Das Rüstzeug der USA zur Überwindung der Rezession ist auch sonst keineswegs begeisternd: Ihre traditionelle Industrie ist veraltet; ihr künstlich aufgeplusterter Dienstleistungssektor produziert wenig exportfähige Güter; ihr Umgang mit der knapper gewordenen Energie ist unter ­jeder Kritik. Wirklich erfolgversprechend ist nur ihr grundsätzlicher Optimismus: Wenn sie einen Fehler erkennen, sind sie wie kein anderes Volk in der Lage, die Ärmel aufzukrempeln.

Für diese Art von Aufbruch ist Obama zweifellos die ­ideale Galionsfigur. Soweit wirtschaftliche Entwicklungen auch eine Frage der psychologischen Befindlichkeit einer Nation sind – und das sind sie zweifellos –, kann Obama den Gesundungsprozess doch vermutlich beschleunigen. Aber nur wenn das noch vor Ende der Legislaturperiode Früchte zeigt, wird dieser Präsident auch der nächste Präsident der USA sein.