"Eselhaft" in Aserbaidschan

Aserbaidschan: Wie zwei junge Blogger unter die Räder des Politapparats gerieten

Wie zwei junge Blogger unter die Räder des Politapparats gerieten

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Eine recht schnöde bürokratische Mitteilung brachte den Stein ins Rollen. Die Regierung von Aserbaidschan kauft zwei Esel aus Deutschland für rund 40.000 US-Dollar, teilten die Behörden mit. „In Aserbaidschan sind die Möglichkeiten für Esel enorm. Wenn man nur Esel genug ist, kann man einiges erreichen. Mit eselhaften Bewegungen, eselhaftem Verhalten“, so lobte der deutsche „Esel Heinz“ in einer satirischen Pressekonferenz eines Videoblogs im Internet die Qualitäten seines neuen Heimatlands – und gab als Zugabe Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ auf der Violine. Ein Esel, der fiedeln kann und obendrein noch Englisch, Deutsch und Aserbaidschanisch spricht, kann schon mal gut und gern 20.000 Dollar kosten.

Was als Komödie begann, endete für die beiden Videoblogger Adnan Hajizade, 26, und Emin Milli, 30, am 11. November in einer Tragödie. Adnan und Emin wurden zu zwei und zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Der offizielle Grund ist freilich nicht das Video: Sie sollen in einem Café zwei Männer zusammengeschlagen haben. Die Version der Blogger hört sich anders an: Die beiden Männer hätten sie angegriffen. Doch als sie mit blutigen Gesichtern bei der Polizei Anzeige erstatten wollten, wurden sie selbst festgenommen. „Der Fall ist ganz klar politisch motiviert. Offenbar haben die beiden Blogger mit dem Video die Grenze der erlaubten Kritik überschritten“, sagt Amanda Akcakoka vom European Policy Centre in Brüssel. Möglicherweise wurde ihnen zum Verhängnis, dass bei schlechter Tonqualität „Esel Heinz“ wie „Mr. President“ klingt. Den Präsidenten ungestraft als Esel hinzustellen ist in Aserbaidschan undenkbar.

Menschenrechtler und Diplomaten aus der ganzen Welt thematisierten den Vorfall, sogar die US-Außenministerin Hillary Clinton soll gegenüber dem Staatspräsidenten Ilham Alijev ihre Bedenken geäußert haben. Es ist nicht das erste Mal, dass Aserbaidschan heftig kritisiert wird. „Wir beobachten seit Jahren einen Rückschritt bei den Menschenrechten“, sagt Jacqueline Hale von der Open-Society-Stiftung. „Aserbaidschan steht mittlerweile kaum mehr besser da als die Diktatur in Weißrussland.“ Mehrere Journalisten sitzen im Gefängnis, bei den Wahlen 2005 kam der Verdacht der Wahlfälschung auf, die Opposition habe kaum Mitsprachemöglichkeiten, und immer wieder hätten Nichtregierungsorganisationen Schwierigkeiten, ihre Tätigkeiten auszuüben, so die Kritik.

Ein trauriges Fazit für einen Staat, der enormes Potenzial hätte: Aserbaidschan erwirtschaftete seit 2000 rund 18 Milliarden Dollar durch seine Öl- und Gasförderung. Doch der Reichtum trägt zum Problem sogar noch bei. „Azerbaijan is a self-sufficient country“, ist der Stehsatz, den die Bürokraten sämtlicher Ministerien in Baku stets parat haben. Sie meinen damit die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Landes. Dass dabei eine gewisse Selbstzufriedenheit mitschwingt, stört sie mitnichten. „Während die EU bei anderen Ländern die Zusage von finanziellen Hilfen an Fortschritte bei der Demokratie knüpfen kann, hat sie beim zunehmend arrogant werdenden Aserbaidschan damit kein Druckmittel“, so Hale.

Kritik. Das vorrangige Inter-esse Europas an dem Kaukasus-Staat ist ohnehin ein rein wirtschaftliches: Aserbaidschan gilt als Schlüsselland für das europäische Pipelineprojekt Nabucco. Unter Federführung der österreichischen OMV will die EU das aserbaidschanische Gas in den Westen transportieren – und das Land als Transitroute für iranisches oder turkmenisches Gas nutzen.

Seit 2003 wird das Land von Ilham Alijev regiert, dem Sohn des vorigen Präsidenten und einstigen aserbaidschanischen KGB-Chefs Heydar Alijev. „Die Bevölkerung steht mehrheitlich hinter ihm, die Petrodollars haben die Armut im Land deutlich gesenkt. Alijev könnte es sich eigentlich leisten, das Land gegenüber der Demokratie zu öffnen. Stattdessen tut er das Gegenteil“, so Hale.

Die Sensibilität des Apparats gegenüber der Zulässigkeit öffentlicher Kritik scheint indes sogar zuzunehmen. Adnan, der jüngere der beiden Blogger, war noch nie politisch aktiv. „Er denkt unabhängig, und allein das stellt in den Augen der Politiker eine Gefahr dar“, sagt sein Vater Hikmet Hajizade im profil-Interview (siehe Kasten). Es sind die kleinen Dinge, die Adnan auffallen und die er zur Sprache bringt. Warum wurden beispielsweise in ganz Baku hoch über den Köpfen der Menschen Blumen an Straßenlaternen angebracht – und wer gießt diese Blumen, die niemand sieht? „Das ist Geldwäsche“, ist Adnans Antwort. In seinen Videoblogs ruft er seine Landsleute auf, sich nicht als politische Puppen behandeln zu lassen. „Denkt selbst“, ist seine Botschaft. Adnan, der ein Highschool-Jahr und sein Studium in den USA absolviert hat, ist ein überzeugter Demokrat wie sein Vater.

Hikmet Hajizade war nach der Unabhängigkeit kurze Zeit Vize-Premierminister, als sich das Land dem Westen zu öffnen begann. Er schrieb Lehrbücher über die Demokratie und ist noch heute in der Oppositionspartei Musavat aktiv. Gut möglich, dass mit der Verhaftung des Sohns der Vater gleich mit gemeint war. Getroffen ist er jedenfalls. Jahrelang hat Hikmet für mehr Demokratie gekämpft und in Kauf genommen, dass er deswegen in den letzten Jahren häufig bedroht wurde. Das alles perlte an ihm ab. Doch dass er hilflos zusehen muss, wie sein Sohn eingesperrt wird, treibt ihm die Tränen in die Augen: „Sie lassen mich nicht zu ihm. Er sitzt in seiner Zelle, wir sind draußen.“

Seine Parteifreunde von Musavat können ihm nicht helfen. Von 125 Sitzen im Parlament wurden der Opposition nur fünf zugesprochen. Dass dieses Ergebnis nicht durch freie und faire Wahlen zustande gekommen ist, rügten die Beobachter der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). „Alles, was wir tun können, ist, das Thema zur Sprache zu bringen. Aber tatsächlich hat das Parlament wenig Macht, selbst wenn die Opposition mehr Sitze hätte“, sagt Musavat-Abgeordneter Panah Huseyn, der eineinhalb Jahre politischer Häftling war.

Der stellvertretende Innenminister Aserbaidschans kann die Aufregung über den Fall nicht verstehen. „Es geht hier nicht um Pressefreiheit, diese jungen Männer wurden wegen einer kriminellen Tat vor Gericht gestellt“, sagt Vilayat Eyvazov gegenüber profil. Und wenn von 60.000 Journalisten fünf bis sechs vor Gericht stünden, sei das kein Grund, Aserbaidschans Demokratie infrage zu stellen.

Adnan und Emin hatten das in ihrem Blog mehrfach getan. Auch ihr deutscher „Esel Heinz“ berichtet im Video von Schwierigkeiten, eine Eselrechts-Organisation aufzubauen. Dieser vorerst letzte Blog endete mit der Frage: „Wenn selbst Eselrechte in Aserbaidschan keine Chance haben, wie sieht es erst bei den Menschenrechten aus?“

Die Antwort spüren sie nun am eigenen Leib.