Dem Himmel so nah

Astronomie und Alltag: Dem Himmel so nah

Astronomie. Was Bier und Müsli mit dem Kosmos zu tun haben

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Astronomen sind Freunde der Finsternis. Denn für astronomische Beobachtungen muss es ausreichend dunkel und vor allem lange genug dunkel sein, damit die Teleskope ihr Werk vollbringen können. Die Sommernächte aber sind kurz – und je nachdem, in welchem Landstrich man sich aufhält, sinkt die Sonne oft nicht hinlänglich tief unter den Horizont (siehe auch Kasten „Nachtschwärmer“). Das bedeutet aber keineswegs, dass es im Sommer keine Möglichkeit gäbe, sich an den Sternen zu erbauen. Auch wenn die Sonne hoch am Himmel steht, stößt man allerorten auf die Astronomie. Und dazu bedarf es nicht einmal eines Teleskops.

Astronomie verbindet man zwar gemeinhin mit fernen Galaxien, fremden Welten, schwarzen Löchern und weit entfernten Objekten, die mit unserem Alltag nichts zu tun haben. Doch das Weltall ist nicht nur irgendwo dort draußen – es beginnt, salopp formuliert, direkt über unseren Köpfen. Wir stecken demnach mittendrin im Universum, und alles, was dort passiert, betrifft auf die eine oder andere Weise auch uns hier auf der Erde. Man muss die Welt nur auf die richtige Art und Weise betrachten, dann findet man die Astronomie praktisch auf Schritt und Tritt. Zum Beispiel im Verlauf eines typischen Sommertages.

Kosmische Kalorien: die galaktische Müslifabrik
Der Tag beginnt sinnvollerweise mit einem ausgedehnten Frühstück auf dem sonnigen Balkon oder der Terrasse eines Cafés. Mit Kaffee, Tee oder Orangensaft, ein paar frischen Semmeln und Marmelade, Wurst und Käse; dazu vielleicht noch ein Ei oder eine Schüssel Müsli. Wir brauchen Energie, und diese steckt in der Nahrung. Ein durchschnittlicher Erwachsener verbraucht pro Tag ungefähr 2000 bis 3000 Kilokalorien, und diese Energiemenge müssen wir durch die Nahrung wieder aufnehmen. Wie aber kommen Orangensaft, Wurstsemmel oder Frühstücksei zu ihren Kalorien? Wo liegt die Quelle der Energie, welche die Menschen am Leben erhält?
Wir finden sie 150 Millionen Kilometer entfernt, tief im Inneren der Sonne.
Die gesamte Energie, die wir über die Nahrung aufnehmen, stammt aus Sonnenlicht. Pflanzen haben im Laufe der Evolution gelernt, das Licht der Sonne zu nutzen, um Nährstoffe aus dem Boden und der Luft in Kohlenhydrate umzuwandeln. Die Energie, die im Sonnenlicht steckt, wird im Rahmen dieser Photosynthese zu chemischer Energie, die Pflanzen und Tiere verwerten. Wir Menschen essen die Pflanzen und die Tiere (die vorher wiederum Pflanzen verzehrt haben) und machen uns so die Photosynthese indirekt zunutze.

Wenn die Kalorien am Ende des Frühstücks in unserem Körper gelandet sind, hat die Energie einen langen Weg hinter sich. Alles beginnt im Kern der Sonne: Nur dort, 700.000 Kilometer unter ihrer Oberfläche, ist es heiß genug, damit Atomkerne miteinander fusionieren können. Bei der Kernfusion wird Energie in Form von Gammastrahlung freigesetzt. Dieses hochenergetische Licht dringt vom Kern der Sonne nach außen, stößt dabei aber auf Widerstand. Die Materie im Inneren der Sonne ist enorm stark komprimiert, und die Lichtteilchen finden in diesem dichten Plasma keinen freien Weg nach außen. Sie stoßen ständig mit den Teilchen der Sonnenmaterie zusammen und werden immer wieder abgelenkt. Zum Glück, denn die Kollisionen erzeugen einen nach außen wirkenden Druck, der die Sonne stabil hält. Ohne diesen Strahlungsdruck wäre die Sonne längst unter ihrem eigenen Gewicht kollabiert und würde nicht mehr leuchten.

Noch aber dringt die Strahlung nach außen, und nach durchschnittlich 100.000 Jahren hat sie sich trotz aller Kollisionen ihren Weg vom Kern zur Oberfläche gebahnt. Durch die große Zahl an Zusammenstößen haben die Lichtteilchen viel Energie eingebüßt, und aus der Gammastrahlung ist normales Licht geworden, das sich nun auf den Weg ins Weltall macht – und dabei auch auf die Erde trifft.

Die Energie, die in einem gemütlichen Sommerfrühstück steckt, stammt also nicht nur aus dem 150 Millionen Kilometer entfernten Zentrum der Sonne, sondern ist auch noch 100.000 Jahre alt (sogar ein wenig mehr, wenn man auch die Reise zur Erde berücksichtigt). Zum Glück hat Sonnenenergie kein Ablaufdatum.

Stellare Chemie: der Pool des ­Universums
Allzu viel Energie aber ist bekanntlich ungesund, und deshalb empfiehlt es sich, den Sommertag mit einem Besuch im Schwimmbad fortzusetzen, um ein paar der eben aufgenommenen Kalorien wieder abzutrainieren. Der typische Geruch eines Freibades im Sommer ist jener nach Chlor, das verwendet wird, um das Wasser reinzuhalten. Chlor gehört zu den meistproduzierten Chemikalien der Welt: Jedes Jahr werden einige Dutzend Millionen T­onnen davon erzeugt. Man gewinnt es durch elektrochemische Verfahren aus Natriumchlorid, also aus konventionellem Kochsalz. Davon herrscht auf der Erde kein Mangel – aber das war nicht immer so. Es gab Zeiten, in denen im gesamten Universum kein einziges Chloratom existierte. Denn direkt beim Urknall wurden nur die zwei einfachsten chemischen Elemente erzeugt: Wasserstoff und Helium. Alle anderen Elemente, inklusive dem Chlor im Schwimmbad, mussten erst danach produziert werden.

Den Ursprung der schweren Elemente finden wir neuerlich tief im Inneren der Sterne.

Im jungen Universum gab es nichts als riesige Wolken aus Wasserstoff und Helium. Diese Wolken verdichteten sich zu den allerersten Sternen. In ihren Kernen war es heiß genug, damit die Kernfusion einsetzen konnte und leichte Wasserstoffatome zu schwereren Heliumatomen verschmelzen konnten. Der dabei entstehende Strahlungsdruck hielt den Stern zunächst stabil. Irgendwann jedoch war der Wasserstoff im Kern aufgebraucht. Es blieben dort nur noch Heliumatome, die aber nicht miteinander fusionieren konnten. Nun drang keine Strahlung mehr nach außen – mit der Folge, dass der Stern unter seinem eigenen Gewicht zu kollabieren begann. Dieser Kollaps wiederum verdichtete das Gas im Zentrum des Sterns immer weiter, wodurch die Temperatur stieg. Je heißer es wurde, desto schneller bewegten sich auch die Atome, und ab einem bestimmten Zeitpunkt waren auch die schweren Heliumatome schnell genug, um verschmelzen zu können.

Dies war der Moment, in dem die ersten neuen Elemente im Universum entstanden. Helium verschmolz und bildete Sauerstoff und Kohlenstoff. Dabei wurde – neuerlich dasselbe Spiel – wieder Energie frei, die den Kollaps des Sterns stoppte. Nach ein paar Millionen Jahren war das Helium im Kern verbraucht, und alles begann von vorne: Der Strahlungsdruck fiel weg, der Stern kollabierte, die Temperatur im Zentrum stieg, und irgendwann bewegten sich auch die Sauerstoff- und Kohlenstoffatome schnell genug, um fusionieren zu können. Es bildeten sich noch schwerere Elemente, etwa Magnesium, Schwefel und Natrium – und die frei werdende Strahlung stoppte den Kollaps wieder.

In der nächsten Runde entstanden aus diesen Atomen noch schwerere Elemente, darunter auch Chlor. Wie lange ein Stern dieses Wechselspiel aus Kollaps und der Produktion immer schwererer Elemente fortsetzen kann, hängt von seiner Masse ab. Je schwerer ein Stern ist, desto größer ist der Druck, den er auf seinen Kern ausüben kann – und desto schwerere Elemente können geformt werden.
Irgendwann aber ist definitiv Schluss: Am Ende übersteigt der Kollaps gleichsam die Grenzen des Erträglichen. Die Konsequenz: Der Stern explodiert und wird zur Supernova.
Erst jetzt flitzen all die neu geschaffenen Elemente aus dem Kern des Sterns hinaus ins Weltall. Und erst ab diesem Moment können sich Planeten wie die Erde bilden, die hauptsächlich aus schweren Elementen wie Sauerstoff, Eisen und Silizium gefertigt ist. Unsere Erde besteht aus der Asche alter Sterne, und auch wir Menschen tragen exakt jene Atome in uns, die vor Milliarden Jahren im Inneren fremder Sterne gebrannt haben.
Es ist folglich nicht nur das Chlor im Schwimmbad, das wir den ersten Sternen verdanken, sondern auch der Sauerstoff in der Luft, das Eisen in unserem Blut, das Kalzium in den Knochen. Wir müssen also tatsächlich nicht zum Himmel schauen, um Astronomie zu sehen – wir tragen sie immer mit uns herum.

Alt-Bier: die planetarische Brauerei
Einen Sommerabend beendet man am besten in einem schattigen Gastgarten mit einem kühlen Bier. Der Nobelpreisträger und Physiker Richard Feynman sagte einst: „Das ganze Universum steckt in einem Glas Wein.“ Das Gleiche gilt auch für ein Glas Bier. Die Kohlenstoff- und Sauerstoffatome der Alkoholmoleküle stammen, wie auch das Chlor im Schwimmbad, aus dem Inneren alter Sterne. Und die Kalorien im Bier verdanken wir, genauso wie jene in unserem Frühstück, der jahrtausendealten Sonnenenergie. Aber wir finden im Hellen noch deutlich mehr Astronomie. Bier besteht hauptsächlich aus Wasser – und auch dieses ist astronomischen Ursprungs.

Als die Erde vor 4,5 Milliarden Jahren entstand, gab es auf ihrer Oberfläche noch kein flüssiges Wasser. Dafür war unser junger Planet viel zu heiß, denn er wuchs im Laufe von Jahrmillionen durch eine Vielzahl von Kollisionen größerer und kleinerer Asteroiden zu seiner heutigen Größe heran. Wasser befand sich, im Gestein gebunden, nur im Inneren der Erde und gelangte durch Vulkane als Wasserdampf in die Atmosphäre. Erst als die Erde bis zu einem gewissen Grad abgekühlt war, konnte der Dampf kondensieren – und Wasser fiel als Regen auf ihre Oberfläche. Es gibt heute allerdings deutlich mehr Wasser auf der Erde, als damals aus ihrem Inneren nach oben gelangen konnte. Die Ursache: Ungefähr zwei Drittel des irdischen Wassers wurden erst nachträglich auf die Erde gebracht, also quasi importiert, und als Lieferanten dienten Asteroiden und Kometen.
Im jungen Sonnensystem schwirrten noch wesentlich mehr Kleinkörper umher als heute. Die zahlreichen Asteroiden und Kometen waren der „Bauschutt“, der bei der Entstehung der Planeten anfiel. Viele von ihnen rammten die Planeten, und viele fielen auch auf die Erde. Kometen und Asteroiden sind aber nicht nur reine Felsbrocken, sondern enthalten auch Eis. Jedes Mal, wenn einer dieser Kleinkörper mit der Erde kollidierte, brachte er ein bisschen Wasser aus dem Weltall mit auf die Erde, und im Laufe der Zeit wurde unser Planet immer feuchter. In unserem kühlen Glas Bier können wir deshalb heute noch die Überreste der vor Jahrmilliarden auf der Erde geschmolzenen Kometen und Asteroiden finden (worauf sich allerdings kein Wirt ausreden kann, sollte sein Gebräu irgendwie schal schmecken).

Mittlerweile gibt es vergleichsweise wenig Kleinkörper im Sonnensystem, und bedenkliche Kollisionen mit der Erde sind zum Glück ziemlich seltene Ereignisse. Sie finden zwar immer noch täglich statt, aber es sind zumeist nur winzige interplanetare Staubkörner, die auf die Erde treffen und in der Atmosphäre verglühen. Sie richten keinen Schaden an, und wenn wir uns in einer klaren Nacht auf eine Wiese legen und den Himmel betrachten, sind sie als Sternschnuppen erkennbar (siehe Kasten „Schnuppen-Stunde“). Und für diese Art der astronomischen Beobachtung ist eine warme Sommernacht dann doch am besten geeignet.

Infobox I
Schnuppen-Stunde
In diesen Wochen lassen sich ­Meteorströme ­besonders ­vorzüglich ­beobachten.
Sternschnuppen kann man im Prinzip in jeder klaren Nacht sehen. Zu bestimmten Zeiten im Jahr trifft die Erde allerdings auf mehr kosmischen Staub als üblich – und dann lassen sich sogenannte „Meteorströme“ oder „Sternschnuppenschauer“ beobachten. In diesen Nächten kann man mit etwas Glück dutzende oder gar hunderte Sternschnuppen pro Stunde am Himmel sehen. Zu den bekanntesten Meteorströmen gehören die Perseiden, die man zwischen 17. Juli und 24. August bewundern kann, sowie die Leoniden, die zwischen 6. November und 30. November betrachtet werden können.

Infobox II
Nachtschwärmer
Definitionen der Dunkelheit: Wann es für Astronomen wirklich finster wird.
Die Dämmerung beginnt, wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwindet. Die Astronomen unterscheiden jedoch drei verschiedene Arten der Dämmerung. Direkt auf den Sonnenuntergang folgt die bürgerliche Dämmerung, die zu Ende ist, wenn die Sonne sechs Grad unter dem Horizont steht. An sie schließt die nautische Dämmerung an, die erst endet, wenn die Sonne zwölf Grad unter den Horizont gesunken ist. Es ist jetzt dunkel genug, um zahlreiche Sterne sehen zu können, aber noch nicht völlig finster. Daher hat die nautische Dämmerung auch ihren Namen: Um früher auf See die Position bestimmen zu können, musste es einerseits dunkel genug sein, um die Sterne sehen zu können – zugleich aber nicht so finster, dass man den Horizont nicht mehr erkennen konnte. Danach beginnt die astronomische Dämmerung, die zu Ende ist, wenn die Sonne 18 Grad unter den Horizont gewandert ist. Erst jetzt ist es finster genug für die sensiblen astronomischen Messungen.

Im Sommer wird es freilich nicht überall komplett dunkel. Befindet man sich nördlich einer geografischen Breite von 48,56 Grad (etwa im Waldviertel oder im oberen Mühlviertel), sinkt die Sonne an manchen Tagen nicht die kompletten 18 Grad unter den Horizont. Die astronomische Abenddämmerung geht in solchen Regionen direkt in die astronomische Morgendämmerung über. Noch weiter im Norden gibt es auch keine nautische oder bürgerliche Dämmerung, und nördlich des Polarkreises bei 66,56 Grad verschwindet die Sonne im Sommer an bestimmten Tagen überhaupt nicht hinter dem Horizont.

Wo überall Astronomie im Alltag steckt, erklärt profil-Autor Florian Freistetter in seinem jüngsten Buch: „Der Komet im Cocktailglas“, ­Hanser-Verlag, EUR 16,90 Euro.