Asylpolitik: Die SPÖ entdeckt nach den Wahlschocks des Vorjahrs den Populismus

Wie die SPÖ Strache rechts überholt

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Der ältere Herr in Reihe sieben war außer sich. „Zu 99 Prozent Gesindel“ seien die: „Das sind Diebe, Einbrecher und so!“ Sein Sitznachbar sekundierte. Er habe selbst schon mit denen zu tun gehabt, daher sage er: „Es sind schon genug Ausländer da in Österreich.“ Die Kamera der „Zeit im Bild“ fing Montag vergangener Woche in der Oberwarter Messehalle nicht etwa aufgeheizte Besucher einer Heinz-Christian-Strache-Kundgebung ein. Gesprochen hatte der Landeshauptmann des Burgenlands, Hans Niessl.

Vier Monate vor der Landtagswahl sieht der Sozialdemokrat im Versuch der Innenministerin, ein Erstaufnahmelager für Asylanten im Südburgenland zu bauen, einen aufgelegten Elfer. Der 58-jährige Ex-Fußballer aus dem malerischen Seewinkel hat damit seinen Wahlkampfschlager gefunden: die Abwehr der Asylanten. Das Thema ist Gold wert, schließlich geht es für Niessl vor allem darum, den Zugriff der FPÖ auf sein Wählerpotenzial zu unterbinden.

Im Tauziehen um ein drittes Erstaufnahmelager für Flüchtlinge – jene in Traiskirchen/NÖ und Thalham/OÖ platzen aus allen Nähten – wird seit Monaten heftig taktiert. Beschlossen worden war der Bau in den Koalitionsverhandlungen im November 2008. In der entsprechenden Verhandlungsuntergruppe hatten sich Norbert Darabos (SPÖ) und Maria Fekter (ÖVP) sogar schon auf einen Standort geeinigt: Kärnten. Bei der Endredaktion des Pakts wurde „Kärnten“ durch „im Süden“ ersetzt – schließlich standen dort Landtagswahlen an, und weder Werner Faymann noch Josef Pröll hatten Interesse daran, dem BZÖ Wahlkampfmunition frei Haus zu liefern.

Zwei andere Landesparteien
, die ÖVP und die SPÖ von Niederösterreich – dort finden im März Gemeinderatswahlen statt –, machten hingegen Druck, das überfüllte Lager in Traiskirchen zu entlasten. Mitte Dezember brachten SPÖ-Sicherheitssprecher Otto Pendl und SPÖ-Verfassungssprecher Peter Wittmann sogar eine Petition mit 1309 Unterschriften für den raschen Bau eines neuen Erstaufnahmezentrums in den Nationalrat.

Nach dem überfallsartig kurz vor den Weihnachtsfeiertagen verkündeten Beschluss der Innenministerin, das Lager im südburgenländischen Eberau zu bauen, änderten die Sozialdemokraten ihren Kurs radikal. Ein drittes Erstaufnahmelager sei eigentlich gar nicht nötig, meint nun der seinerzeitige Koalitionsverhandler Darabos. Landeshauptmann Niessl kann dem nur zustimmen, will aber ebenso wenig wie Kanzler Faymann auf den spektakulären Probegalopp einer Volksbefragung in Eberau verzichten. Wie nutzbringend sich der Griff ins Arsenal der direkten Demokratie bei nachfolgenden Wahlen auswirken kann, hatte schon Jörg Haider selig mit diversen Volksbegehren gegen Ausländer vorgeführt.

Solche Vergleiche ärgern die Sozialdemokraten.
„Mir hängt es zum Hals heraus, an den rechten Rand gestellt zu werden. Fekter hat geglaubt, sie kann uns überrumpeln. Dagegen müssen wir uns wehren“, rechtfertigt Verteidigungsminister Norbert Darabos im profil-Gespräch den Widerstand seiner Partei. Die Innenministerin hatte tatsächlich bis hart an die Grenze des Amtsmissbrauchs getrickst, um das Lager nach Eberau zu bringen. Bis zuletzt glaubte selbst die örtliche ÖVP, auf dem Grundstück würden Einfamilienhäuser gebaut. Ahnungslos hatte die Landesregierung am 24. November einstimmig die Umwidmung des Geländes von Betriebsgebiet in Bauland/Mischland genehmigt. Laut Widmung sollten dort „soziale Einrichtungen zum Wohle der lokalen Bevölkerung“ entstehen. Als Käufer der 2,5 Hektar großen Grundstücke waren jene Architekten aufgetreten, die für Fekter das Asylzentrum planen. Später hätten sie den Grund an die Bundesimmobiliengesellschaft weiterverkaufen sollen.

Nur der ÖVP-Bürgermeister von Eberau, Walter Strobl, war eingeweiht. Er hatte sich vom Argument überzeugen lassen, durch das Asylzentrum würden 130 Arbeitsplätze entstehen. Strobl: „Wenn wir an die Öffentlichkeit gegangen wären, wäre das vom Land sofort abgewürgt worden.“ Das blieb Strobl allerdings auch durch Tarnen und Täuschen nicht erspart. Schon am 21. Dezember ließ Landeshauptmann Niessl den Baubescheid für das Asylzentrum durch die Bezirkshauptmannschaft Güssing aufheben. In einer Sondersitzung am 31. Dezember votierte dann auch der Gemeinderat von Eberau einstimmig gegen das Asylzentrum. Selbst Bürgermeister Strobl ist mittlerweile der Ansicht, „dass das zahlenmäßige Verhältnis von Asylwerbern zu Gemeindebürgern nicht ausgewogen“ sei.

Trickreich.
So berechtigt der Grant der SPÖ über den Trickreichtum Maria Fekters auch sein mag – die Innenministerin reagierte damit nur auf einen anderen Trick der Sozialdemokraten. Auf deren Antrag hin hatte der burgenländische Landtag schon am 29. Oktober eine Änderung des Raumordnungsgesetzes beschlossen, durch die der Bau eines Asylzentrums de facto verunmöglicht wurde. Schlau hatten die Sozialdemokraten die Gesetzesänderung in Form eines Initiativantrags eingebracht und damit die Begutachtung umgangen. So listig waren nicht einmal die Altmeister des Populismus in Kärnten. Dort hatten die Landesräte Uwe Scheuch (BZÖ) und Josef Martinz (ÖVP) im Sommer einen fast deckungsgleichen Entwurf in Begutachtung geschickt, den die Bundesregierung prompt abwies: Asylrecht sei Bundessache, ein Landtag könne es nicht mit einem Raumordnungstrick unterlaufen.

Das burgenländische Gesetz, zu dem Uwe Scheuch der SPÖ ausdrücklich gratulierte, trat am 1. Jänner in Kraft. „Wir waren schneller als die Verhinderer“, rühmte Innenministerin Maria Fekter ihre Taktik, als sie am 18. Dezember den Standort Eberau für das Asylzentrum verkündete.
Die burgenländische SPÖ setzt schon seit einigen Jahren auf Xenophobie. Als die Schengen-Grenze im Dezember 2007 einige hundert Kilometer weiter nach Osten verlegt wurde und an der ehemaligen Außengrenze im Burgenland ein Festakt der Europäischen Union stattfand, drohte Niessl mit Boykott, weil nun mangels entsprechender Kräfte die Sicherheit im Land nicht mehr gewährleistet sei.

Dabei ist kein anderes Bundesland so gut mit Polizei ausgestattet wie das Burgenland. Auf je 1000 Einwohner kommen sechs Polizisten, deutlich mehr als in Wien und doppelt so viele wie in Niederösterreich. Dennoch patrouillieren nach wie vor hunderte Bundesheersoldaten im Land – so, als seien immer noch Horden von Grenzüberschreitern zu fassen. Im Dezember verlängerte der Ministerrat den Heeres­einsatz abermals um ein Jahr. Kosten: zwölf Millionen Euro. Nicht einmal das genügte den Sozialdemokraten: Sie forderten, das Heer solle neben den Kontrollgängen im ehemaligen Grenzgebiet auch durch die Straßen Eisenstadts streifen.

Dabei ist das Burgenland alles andere als ein Hort des Verbrechens. Im gesamten Land gab es im Vorjahr 213 Haus- und 38 Wohnungseinbrüche – mehr als früher, aber immer noch vergleichsweise wenige. Sieben Kriminalfälle bearbeitet ein burgenländischer Polizist im Jahr, sein Wiener Kollege hat 37 Fälle zu bewältigen. Nur 1,6 Prozent aller in Österreich begangenen Straftaten entfallen auf das Burgenland. Folge der Panikmache: In einer der sichersten Regionen Europas glauben laut Umfrage 86 Prozent, nur durch die Präsenz des Militärs könne die Sicherheit der Bürger gewährleistet werden. Mit Angst lässt sich trefflich Politik machen.

Links-Kritik.
Dabei unterscheidet sich Niessls Politik nur in Nuancen von jener anderer Sozialdemokraten. Im Juli des Vorjahrs wollte etwa Gerhard Visotschnig, SPÖ-Bürgermeister der Kärntner Gemeinde Neuhaus, aus „humanitären Gründen“ über ein Asylzentrum in seinem Ort nachdenken – bis er von der eigenen Parteispitze gestoppt wurde. „Wir werden uns sicher nicht ein Erstaufnahmezentrum hineindrücken lassen“, wies Herwig Seiser, SPÖ-Klubchef im Landtag, damals seinen Parteifreund zurecht. In Salzburg ersann die SPÖ im November eine „Lex Inländer“: Per Gemeinderatsbeschluss der Stadt dürfen Gastarbeiter und sonstige EU-Ausländer seither nicht in Salzburgs Seniorenheime. SPÖ-Sozialstadtrat Martin Panosch argumentiert den Beschluss damit, dass „bestimmte Leistungen der öffentlichen Hand grundsätzlich Staatsbürgern vorbehalten bleiben“.

Das fordert H. C. Strache seit Jahren.
Obwohl in Opposition, hatte es die SPÖ 2005 für opportun gehalten, der schwarz-blauen Verschärfung der Asylgesetze zuzustimmen. Fünf rote Nationalratsabgeordnete protestierten damals dagegen – vier von ihnen wurden 2006 prompt nicht mehr aufgestellt. „Wir drücken uns seit Jahren um die Diskussion, welche Position wir zum Themenbereich Asyl/Zuwanderung/Migra­tion einnehmen sollen. Auch deshalb entwickelt sich die SPÖ in diesen Fragen nach rechts“, analysiert die oberösterreichische SPÖ-Abgeordnete Sonja Ablinger bitter. Insgeheim wurde manchmal der Versuch einer grundsätzlichen Positionierung unternommen. Alfred Gusenbauer ließ 2007 von Justizministerin Maria Berger ein Konzept zur Integration erstellen. Angedacht war etwa, das Arbeitsverbot für Asylwerber aufzuheben und ihnen gemeinnützige, mit Bundesmitteln geförderte Arbeit anzubieten. Auch Bildungsmöglichkeiten für Zuwanderer waren vorgesehen. Das Papier ruht bis heute in der Schublade.

„Die Parteistrategen waren der Meinung, die SPÖ könne bei einer Integrationsdiskussion nur verlieren“, erinnert sich Ex-Sozialminister Erwin Buchinger. Heute ist er einer der Exponenten der „SPÖ-Linken“ und kritisiert den Populismus seiner Partei scharf: „Die SPÖ ist kein Wahlverein. Sie darf nicht auf ihren Grundwert Humanität vergessen. Mit manchen Wortmeldungen zu Eberau wird die Ausländerfeindlichkeit geschürt. Das tut mir weh.“

Stimmen wie seine sind in der SPÖ derzeit rar.
Zaghaft fordert SPÖ-Menschenrechtssprecherin Marianne Hagenhofer, „die Menschenrechte in der Debatte nicht aus den Augen zu verlieren“. Allerdings kommt auch die bisher sinnvollste Idee von einem Sozialdemokraten. Der leidgeprüfte SPÖ-Bürgermeister von Traiskirchen, Fritz Knotzer, schlug vor, neun kleiner dimensionierte Aufnahmezentren zu schaffen – eines für jedes Bundesland. Länder, die ihren entsprechenden Verpflichtungen nicht nachkommen, sollten beim Finanzausgleich weniger Geld bekommen. Reaktionen der SPÖ auf Knotzers Plan stehen bisher aus.