Weltweit gibt es 300 Mio. Asthmatiker

Atemnöte

Die Wissenschaft sucht die entscheidenden Gene

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Es begann mit einer Birkenpollen-Allergie. Der heute 53-jährige Wiener Unternehmer Otto Spranger war 27, als er buchstäblich aus heiterem Himmel unter heftigen Niesattacken zu leiden begann. Die Anfälle kamen oft mitten im Gespräch und waren daher höchst störend und unangenehm. Er ging zum Arzt, nahm Antihistaminika, litt unter Kopfschmerzen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie beständiger Müdigkeit. Mittlerweile blickt Spranger auf eine mehr als 25-jährige Leidensgeschichte als Asthmatiker zurück. Aber dank neuer, besserer und nahezu nebenwirkungsfreier Medikamente hat er seine Krankheit heute im Griff.
Um einer neuerlichen Asthma-Attacke rechtzeitig vor dem ersten Pollenflug vorzubeugen, schluckt er schon seit Februar täglich eine Tablette des entzündungshemmenden Medikaments Singulär und dazu ein- bis zweimal täglich das Antihistaminikum Xyzal. Als Sekretär der Selbsthilfeorganisation Österreichische Lungenunion (www.lungenunion.at) hält er inzwischen auch Vorträge und propagiert eines der obersten Gebote des Asthmatikers: nur nicht nachlässig werden bei der Einnahme der Medikamente! Denn es handelt sich um eine chronische Erkrankung, jeder Behandlungsfehler erhöht das Risiko eines neuen Anfalls.
Entdeckungen. Bis heute kann die Medizin – mit zunehmendem Erfolg – nur Symptome lindern, heilen kann sie die Krankheit nicht. Mangelnde Kenntnis der genauen, dem Asthma zugrunde liegenden Ursachen erwies sich bisher als Hindernis bei der Suche nach einer Kur für das luft-abschnürende Leiden. Doch in jüngster Zeit hat die Wissenschaft einige neue Entdeckungen über die Wurzeln der Erkrankung gemacht. Neuere Studien bestätigen, was Forscher seit Jahren vermuten: Asthma ist eine genetisch mitbestimmte Reaktion des Immunsystems auf Staub, Luftschadstoffe und andere Umwelt-Allergene, welche dazu führt, dass sich die Atemwege bis in die feinsten Bronchien krampfartig verengen. Zu dieser meist schon im Kindesalter auftretenden Form des allergischen Asthmas kommt laut Lutz-Henning Block, Leiter der klinischen Abteilung für Pulmologie an der Wiener Medizinuniversität, eine vorwiegend durch chronische Entzündungen hervorgerufene zweite Form, die in der Regel erst im Erwachsenenalter auftritt. Eine dritte Form ist eine Mischung von beiden.
Die allergische, schon ab dem Kindesalter auftretende Form steht häufig in Zusammenhang mit einer Asthma-Neigung schon in der Eltern- oder Großelterngeneration. „Es gibt regelrechte Asthma-Clans“, berichtet Manfred Götz, Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde mit Schwerpunkt Lungen- und Infektionskrankheiten am Wiener Wilhelminenspital. Daher ist die Wissenschaft bemüht, den genetischen Hintergrund dieser Krankheitsbilder zu erforschen. Aber die Vorstellung, dass es nur ein einziges fehlgesteuertes Gen sei, das für den Erwerb der Krankheit empfänglich mache, ist überholt. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um eine ganze Gruppe von verschiedenen Genen, wobei es nicht die Gene allein sind: Es bedarf offenbar noch eines speziellen Auslösers, der in früher Kindheit oder möglicherweise schon im Mutterleib dazu führt, dass die betreffende Person zum lebenslangen Asthmatiker wird.
Die Forscher glauben, dass der fetale oder kindliche Organismus zu irgendeinem Zeitpunkt einer kritischen Dosis von Schadstoffen ausgesetzt ist, welche eine initiale Überreaktion des Immunsystems und eine Verengung der Atemwege hervorruft, wodurch diese dauerhaft empfindlicher auf Irritationen reagieren. Trifft diese Hypothese zu, dann müsste es auch möglich sein, Kinder etwa durch eine Impfung schon frühzeitig gegen eine Überreaktion zu immunisieren und damit einer Asthma-Erkrankung dauerhaft vorzubeugen.

Wachsendes Problem. Neue Strategien zur Behandlung der Krankheit sind auch dringend gefragt. Denn Asthma ist ein weltweit wachsendes Problem, vor allem für Menschen in städtischen Ballungsräumen. Laut einem im Vorjahr erstellten Bericht der „Global Initiative for Asthma“ gibt es weltweit 300 Millionen Betroffene. Und nachdem der Anteil der in städtischen Ballungsräumen lebenden Weltbevölkerung in den kommenden 20 Jahren von 45 auf geschätzte 59 Prozent zunehmen wird, gehen die Experten davon aus, dass es im Jahr 2025 weitere 100 Millionen Asthmatiker geben dürfte. Besonders alarmierend ist der Anstieg der Erkrankungsfälle bei Kindern unter zehn Jahren, den auch österreichische Mediziner registrieren.
Während der Anteil der erwachsenen Asthmatiker in Österreich auf vier bis fünf Prozent geschätzt wird, sind es im Kindesalter etwa doppelt so viele. Angela Zacharasiewicz hat als Assistenzärztin an der auf Lungen- und Infektionskrankheiten spezialisierten Kinderabteilung des Wiener Wilhelminenspitals ständig mit asthmakranken Kindern zu tun. „Manchmal sehen wir schon bei Kindern unter einem Jahr chronische Entzündungsepisoden“, berichtet die Medizinerin. Erste Anzeichen auf eine Allergieneigung zeigen sich oft schon bei Babys in Form von Hautrötungen oder Neurodermitis.
Dazu gesellt sich später häufig eine Kombination aus Schnupfen und Augenbindehautentzündung, die auf die Lunge schlagen kann. Dauern die Symptome länger an und gehen mit Atemnot einher, erblicken die Mediziner darin ein sicheres Zeichen für eine Asthma-Erkrankung. Die Ärzte bemühen sich, die Krankheit mit Tabletten und Kortisonsprays in Schach zu halten, damit es zu keinen schweren Attacken kommt. Aber in seltenen Fällen – etwa im Winter, wenn virale Infekte häufiger auftreten, oder im Frühjahr, wenn massiv Pollenflug einsetzt – kommt es auch bei Kindern zu schweren Asthma-Schüben. „Da gibt es richtige Erstickungsanfälle“, erzählt Zacharasiewicz.
Asthma ist die verbreitetste chronische Erkrankung im Kindesalter, allerdings mit einer regional höchst unterschiedlichen Verbreitung. Seit Anfang der neunziger Jahre erhebt die so genannte ISAAC-Studie (International Study of Asthma and Allergies in Childhood) weltweit in mehreren Phasen epidemiologische Daten über die Verbreitung von Asthma und Allergien. In Phase I wurden zwischen 1992 und 1996 weltweit in 155 Studienzentren 463.801 Kinder im Alter von 13 bis 14 sowie 304.796 Kinder im Alter von sechs bis sieben Jahren anhand von standardisierten Fragebögen erfasst. Die Phasen II und III, welche Daten über Risikofaktoren und Veränderungen in der Verbreitung der Krankheit liefern sollen, stehen kurz vor dem Abschluss. Die Ergebnisse sollen im Lauf dieses Jahres veröffentlicht werden.
Nach bisher vorliegenden Daten befinden sich die Zentren mit der höchsten Asthma-Häufigkeit in Schottland (36,7 Prozent) und Neuseeland (32,4 Prozent), diejenigen mit der niedrigsten Asthma-Häufigkeit im albanischen Tirana (2,6 Prozent) und im indischen Akola (1,6 Prozent). Speziell für Österreich liegen dazu keine Daten vor, Deutschland liegt mit 13,8 Prozent im Mittelfeld. Auffallend ist die starke Verbreitung der Krankheit in Großbritannien, Neuseeland, Australien, Kanada und den USA. Unter den Spitzenreitern findet sich allerdings auch Brasilien (22,7 Prozent), ein Dritte-Welt-Land mit großen städtischen Ballungsräumen.

Hygiene-Hypothese. Die beobachteten regionalen Verteilungsmuster, wie beispielsweise große Unterschiede zwischen Ost- und Westeuropa, deuten laut Studienautoren darauf hin, dass unterschiedliche Lebensstile und Lebensbedingungen bei der Entstehung von Asthma und Allergien eine Rolle spielen könnten. So wird beispielsweise derzeit untersucht, ob die hygienischen Bedingungen, unter denen Kinder insbesondere in den ersten Lebensmonaten aufwachsen, einen Einfluss auf die Entstehung dieser Krankheitsbilder haben. Einiges spricht dafür. So leiden Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen, seltener an diesen Erkrankungen.
„Es ist eine typische Zivilisationskrankheit“, sagt Norbert Vetter, Leiter der Lungenabteilung auf der Wiener Baumgartner Höhe. „Je besser die medizinische Versorgung, desto mehr Allergiker, weil andere Schädigungen in der Kindheit hintangehalten werden.“ Diese höchst populäre „Hygiene-Hypothese“ kennt Bestätigungen ebenso wie Widersprüche. So waren in Neuguinea Allergien und Asthma unbekannt, bis die Zivilisation auch diese Krankheiten heimisch werden ließ. Umgekehrt ist Asthma selbst in den ärmsten Gegenden Brasiliens weit verbreitet. Die Erklärung der Mediziner dafür lautet, dass diese Menschen einer derart hohen Viren- und Pilzbelastung in Luft und verschmutztem Wasser ausgesetzt sind, dass ihr Immunsystem leicht verrückt spielt.

Abgas-Cocktail. Dass Umweltfaktoren und Ernährung mit ihren zahlreichen Allergenen einen wesentlichen Faktor bei der Entstehung der Krankheit ausmachen, ist mittlerweile erwiesen. Der vor allem in Ballungsräumen verbreitete Cocktail aus Abgasen, Feinstaub und Pollen reizt die Schleimhäute, vor allem dann, wenn sie durch genetische Vorbelastung besonders empfindlich sind. Die in den vergangenen Wochen in vielen Städten aufgetretene Feinstaubbelastung weit über den zulässigen Grenzwerten trägt dazu bei. Feinstaub wird vor allem durch Verkehr, Industrie und Hausbrand verursacht. Die vom Wind aufgewirbelten Partikel sind mit weniger als zehn Mikrometer so klein, dass sie bis in die feinsten Lungenbronchiolen vordringen und dort allergische Reaktionen auslösen können. Entscheidend für die Überreaktion des Immunsystems ist aber nach einer Studie des deutschen Fraunhofer-Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin in Hannover nicht die Menge der eingeatmeten Partikel, sondern deren Belastung mit Metallen.
Forscher der TU München konnten zudem nachweisen, dass die Mischung aus Stickstoffdioxid und Ozon die Eiweißmoleküle in der Luft verändert. Diese so genannte Nitrierung könnte etwa das allergieauslösende Potenzial von Pollen verstärken oder möglicherweise sogar harmlose Proteine in Allergene verwandeln. Frühere Studien zeigen, dass sich nitrierte Proteine stärker an Antikörper anlagern, welche die allergische Reaktion auslösen.
Bleibt immer noch die Frage, warum es bei dem einen Menschen zu einer allergischen Reaktion kommt und beim anderen nicht. Eine vorläufige Antwort darauf fanden Wissenschafter der Universität Southhampton sowie von Oscient Pharmaceuticals und Schering-Plough, wie kürzlich das US-Nachrichtenmagazin „Newsweek“ berichtete. Die Forscher suchten nach den Gründen, warum sich die Atemwege von Asthmatikern auch zwischen den Attacken in einem Zustand chronischer Entzündung befinden. Dabei identifizierten sie ein Gen namens ADAM33, das bei der Umwandlung der Luftwege in diesen chronisch entzündlichen Zustand offenbar eine wichtige Rolle spielt. Jetzt arbeiten sie daran, ein Medikament zu entwickeln, das die Aktivität dieses Gens unterbinden kann. n