Auf Wiedersehen!

Ein Pyrrhussieg für Riess-Passer

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Das Gespräch in Wien verlief nicht schlecht. Der "Alte" gab sich versöhnlich und zahm. Mit seiner Meinung blieb er zwar allein, doch die Atmosphäre, so ein Teilnehmer der geheimen Runde, "war besser als zuletzt". Am Donnerstag vergangener Woche hatten sich Jörg Haider, Susanne Riess-Passer, die blauen Minister und die beiden Generalsekretäre Karl Schweitzer und Peter Sichrovsky in der Hietzinger Villa von Justizminister Dieter Böhmdorfer getroffen. Dort wurde von neun Uhr abends bis vier Uhr früh konferiert, um den Krieg in der größeren Regierungspartei endlich beizulegen.

In den vergangenen zwei Wochen waren die internen Auseinandersetzungen zum Thema Steuerreform eskaliert. Das Regierungsteam hatte sie verschoben, Haider will sie aber unbedingt schon 2003 haben. In der FPÖ tobt nun ein Machtkampf bisher unbekannter Brutalität, der nicht nur die Partei an den Rand des Abgrundes, sondern möglicherweise auch die Koalition zum Kippen bringt.

Eskalation
Montag vergangener Woche schwappte die emotionsgeladene Stimmung zwischen Haider und Riess-Passer in offen zur Schau getragene Aggression über. Nach einem halbwegs gesitteten Telefongespräch zwischen den beiden goss Finanzminister Karl-Heinz Grasser Öl ins Feuer, indem er Haiders Positionen bei einer Pressekonferenz heftig attackierte. Der bereits auf Versöhnungskurs eingeschwenkte Kärntner FP-Obmann Martin Strutz und Haider präsentierten am Nachmittag daraufhin die Idee eines Pro-Steuerreform-Volksbegehrens gegen die eigene Regierungsmannschaft, was Riess-Passer am Abend mit der Ankündigung einer Volksbefragung zum Thema "Hochwasserhilfe oder Steuerreform" konterte. Haiders Retourkutsche: Riess' Vorschlag sei "zynistisch" (sic!). Wenn schon, solle man abstimmen, ob die Bürger "Abfangjäger oder eine Steuerreform" wollten.

Haider, dem mit der Volksbegehrens-Idee offenbar die Nerven durchgegangen waren, wurde erst Montag Nacht und Dienstag wieder besänftigt. Drei Personen waren dafür ausschlaggebend: sein alter Freund Justizminister Böhmdorfer, der Dienstag nach Kärnten fuhr und mit Wissen Riess-Passers mäßigend auf Haider einwirkte. Haiders langjähriger Gefährte Sozialminister Herbert Haupt, der - nachdem er in der Landesparteileitung mit Tränen in den Augen als einer von nur drei Mitgliedern des 80-köpfigen Gremiums gegen die Steuerreform-Resolution der Kärntner FPÖ gestimmt hatte - Montag bis zwei Uhr morgens und noch einmal am Dienstag auf Haider eingeredet hatte, diesen Affront doch bleiben zu lassen.

Und Haiders Frau Claudia: Sie machte ihrem Mann deutlich, dass sein geplanter Schritt wohl auch an der Parteibasis nicht gut ankommen würde und daher taktisch mehr als unklug sei. Bei einem Freund der Familie warb sie zuletzt um Verständnis für ihren erzürnten Gatten: "Der Jörg ist am Limit. Er hat jetzt einsehen müssen, wie allein er bundespolitisch derzeit ist."

Allein war sich Haider wohl auch beim Treffen in der Nacht von Donnerstag auf Freitag vergangener Woche vorgekommen. Während er im ORF tags darauf zu Protokoll gab, er glaube, dass "die Partei einlenken wird" und er "aus dem Finanzministerium Signale erhalten" habe, dass sich eine steuerliche Entlastung doch ausgehe, war das Gespräch in Wahrheit ganz anders verlaufen. Haider hatte sich im Gegensatz zu seinen Angaben nicht durchgesetzt, die Parteispitze war hart geblieben. Der Kärntner Landeschef hatte sich bloß nach außen hin wieder kurzfristig als Sieger eines Konfliktes dargestellt. Als Finanzminister Grasser seinen Ex-Mentor via Presseaussendung korrigierte, kündigte Haider Freitagabend einmal mehr seinen Rückzug aus der Bundespolitik an. Riess-Passer grämte sich - offiziell - über diesen Schritt: "Ich muss die Entscheidung akzeptieren, obwohl ich sie bedaure." Sie habe, so die Parteichefin, Haider sogar einen Sitz neben ihr in der Regierung angeboten, dieser habe aber abgelehnt.

Rückzug nach Kärnten
Bei der entscheidenden Sitzung Donnerstag Nacht hatte Haider seinen Ex-Getreuen inhaltlich zwar klar widersprochen, danach aber klein beigegeben und angekündigt, dass er seine politische Aufgabe in Kärnten weiter verfolgen, aber in Zukunft nicht mehr dazwischenfunken wolle. Die Parteiführung hätte dann aber auch allein für das Wahlergebnis bei den Nationalratswahlen geradezustehen. Haider im profil-Interview: "Ich ziehe mich zurück, die Parteispitzen können tun und lassen, was sie wollen. Damit soll jede Form von Gefährdung der Partei vermieden werden, sie tragen dafür aber auch die Verantwortung."

Allein: An einen schmollenden Abgang Haiders ohne Nebengeräusche glaubt in der FPÖ niemand. So war Euphorie über den Punktesieg der Parteichefin nach der Aussprache im blauen Regierungslager nicht zu spüren. Die Minister rechnen allesamt mit einer weiteren Eskalation des Streits in den kommenden Wochen und Monaten. Ein Teilnehmer am Gespräch vom Donnerstagabend: "Wir haben ein wenig Zeit gewonnen, mehr nicht."

So gehen die meisten FP-Regierungsmitglieder weiter davon aus, dass sie möglicherweise nicht mehr lange ihre Arbeit verrichten werden. Haider habe, so ein blaues Vorstandsmitglied, "einen viel zu großen Hass auf die Wiener Partie aufgestaut, um ohne Konsequenzen weitermachen zu können".

Dass es bereits an diesem Dienstag beim in Wien stattfindenden Parteivorstand zu einer Nacht der langen Messer kommen könnte, ist schon wegen der angekündigten Abwesenheit Haiders unwahrscheinlich. Doch die Nervosität im Vorfeld des Parteitreffens ist in beiden Lagern groß.

So recherchierten Riess-Vertraute, etwa Klubchef Westenthaler und Generalsekretär Schweitzer, vergangene Woche fieberhaft in der Partei, welche Kandidaten es für eine FPÖ neu unter Haider-Führung geben könnte und wer auf einem eventuellen Sonderparteitag die Einpeitscher des Kärntners spielen könnten. Auch Nationalratsabgeordnete wurden nochmals auf ihre Lagerzugehörigkeit durchleuchtet.

Aufrüsten
Haiders Kärntner Vertraute ihrerseits sind in den verschiedenen Landesorganisationen auf der Suche nach Unterstützern für den erhofften Putsch des "Alten". Während Oberösterreich, Nieder-österreich und Wien trotz einzelner Widerstandsnester auf Haiders Seite stehen, tobt ein Kampf um unentschlossene Landesgruppen. So ringt der steirische FP-Chef Leopold Schöggl derzeit heftig um seine Linie. Er gab aber zuletzt mehr und mehr dem Druck des Haider-Lagers in der eigenen Landespartei rund um Ex-Minister Michael Schmid und Harald Fischl nach. Vorarlberg, Tirol, das Burgenland und auch Salzburg tendieren eher zum Riess-Lager, doch sicher darf sich die Vizekanzlerin hier wohl auch nicht sein.

Am kommenden Dienstag im Vorstand will Riess-Passer nun zwar nicht mehr die mehrmals angekündigte Vertrauensfrage stellen, doch sie wird mit einigen Landesorganisationen ein ernstes Wort zu reden haben. Denn das Widerstandspotenzial in diesem Gremium ist durch die massive Einflussnahme Haider-treuer Länder stark gewachsen. Den feindlichen Widerstand zu besänftigen dürfte Riess trotz ihrer Etappensiege nicht einfach fallen.

Manche im Haider-Lager scheinen wild entschlossen, selbst bei einer Abreibung im FPÖ-Vorstand einen Sonderparteitag zu erzwingen. Bei diesem würde Riess-Passer, wie sie selbst angekündigt hatte, nicht mehr als Parteichefin kandidieren.

Der Weg zum Parteitag ist für die Haider-Anhänger nicht allzu schwer. Was derzeit fehlt, ist einzig und allein Haiders Auftrag, dieses Putsch-Szenario auch umzusetzen: Für die Abhaltung eines Sonderparteitags sind die Unterstützung von zumindest fünf Landesparteien oder die Unterschriften von einem Drittel der Parteitagsdelegierten notwendig, was etwa 250 Unterzeichnern entspricht.

profil vorliegenden Informationen zufolge werden in einzelnen Bundesländern auch schon Unterschriften gesammelt - so etwa in Teilen Niederösterreichs und der Steiermark. Der Chef der freiheitlichen Pensionisten, der Haider-Anhänger Paul Tremmel: "Bei mir wurde noch nicht gesammelt. Aber es kann sein, dass das manche machen. Die Frage ist nur, ob die Stimmen auch eingereicht werden." Einen Parteitag hält Vorstandsmitglied Tremmel nicht für ausgeschlossen. "Riess sollte da nicht mit Rücktritt drohen. Wenn es genügend Leute wollen, wird der Parteitag stattfinden und die Linie der Partei klären."

Putsch-Szenario
In der Kärntner FPÖ will man derzeit über einen Sonderparteitag nicht sprechen, da dies von der Parteichefin als Revolte und parteischädigendes Verhalten interpretiert werden würde. Auch Haider selbst versicherte den Regierungsmitgliedern Donnerstagnacht vergangener Woche, eine derartige Vorgangsweise nicht zu schätzten.

Er werde, so Haider, aber auch im bevorstehenden Nationalratswahlkampf der Partei nicht zur Verfügung stehen. Der Kärntner Abgeordnete Kurt Scheuch dazu: "Jörg Haider wird sich mit uns auf Kärnten konzentrieren. Die Bundespartei muss ihren eigenen Wahlkampf machen."

Auch den von seiner Schwester, der oberösterreichischen Landesrätin Ursula Haubner, vorgetragenen Wunsch, Haider sollte wieder in den Koalitionsausschuss einziehen, erteilte er eine deutliche Absage. Dieser Posten allein wäre ihm natürlich zu wenig. Wenn, dann braucht Haider auch den Parteivorsitz, um seine eigentlichen Ziele zu erreichen. Ein Präsidiumsmitglied: "Vizekanzler will er nicht werden, er will eine Europapartei gründen."

Dazu braucht der Kärntner aber auch das Geld der Bundespartei. Von Kärnten aus kann der ergraute Star der Partei seine Vision einer vereinigten Rechten Europas wohl nur schwer umsetzen. Deshalb forderte Haider zuletzt, Riess-Passer sollte ihm sein Lehen - gemeint ist die Partei - zurückgeben, denn sie hätte es nur auf Zeit erhalten.

Schlammschlacht
Die Frage des Geldes zeigte vergangene Woche auch, wie zerrüttet die Beziehungen zwischen den verfeindeten Lagern mittlerweile sind. Selbst für FPÖ-Verhältnisse hat die Härte der Auseinandersetzung ungewohnte Ausmaße erreicht. Beide Lager drohten vergangene Woche mit dem Griff in die unterste Schublade.

Aus dem Lager von Finanzminister Karl-Heinz Grasser etwa kam die Ankündigung, man werde Haiders Image als Beschützer des kleinen Mannes mit dessen Spesenrechnungen an die Partei in Millionenhöhe torpedieren. Über 600.000 Euro, so die unbestätigten Informationen, soll Haider jährlich der Bundespartei in Rechnung stellen - dazu kämen noch die Spesen, die seine Landespartei begleicht.

In Haider-Kreisen hingegen werden heftige Attacken gegen Teile der Wiener Partie geritten. Im Abfangjäger-Deal, so eine Kärntner Theorie, sei wohl klar, warum alle auf der Entscheidung für den teuren Eurofighter beharrten. Einer aus dem Kärntner Kreis: "Die können da nicht mehr runtersteigen, weil sie allesamt die Hand aufgehalten haben."

Der konkreteste Vorwurf aus Kärnten ist jener der Verhaberung der freiheitlichen Parteispitze mit der ÖVP. Haider hatte Riess vor Kärntner Freunden - angeblich auch in einem Gespräch mit dem Zweiten Nationalratspräsidenten Thomas Prinzhorn - zu große Nähe zum Koalitionspartner vorgeworfen. Sie sei, so Haider in einem Gespräch, bloß das fünfte Rad am Wagen der ÖVP und lasse sich von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel permanent über den Tisch ziehen.

Schüssels Rolle
Als vergangene Woche in Kärnten bekannt wurde, dass Riess-Passer gar vorhabe, Haider mithilfe der ÖVP ruhig zu stellen, indem Bundeskanzler Schüssel erklären sollte, er habe bloß eine Koalition mit Riess-Passer, war überhaupt der Ofen aus.

Im Haider-Lager werden seither sogar skurrile Varianten einer potenziellen Regierungsumbildung diskutiert. Wenn die schärfsten Haider-Kritiker Riess-Passer, Grasser und Klubobmann Westenthaler nach einem gelungenen Umsturz gehen, dann könnte der Zweite Nationalratspräsident Thomas Prinzhorn interimistisch bis zur Wahl Finanzminister und vielleicht sogar Vizekanzler werden. Prinzhorn hatte sich zuletzt kritisch gegenüber dem Ankauf von Abfangjägern geäußert, sich bei der Steuerreform aber hinter Riess-Passer gestellt. Intern allerdings hatte der Spitzenkandidat der Blauen bei der Nationalratswahl 1999 die Linie der Regierung in dieser Frage massiv kritisiert. Erst bei einem gemeinsamen Frühstück mit Finanzminister Grasser Mittwoch vergangener Woche überzeugte ihn dieser, seine Meinung für sich zu behalten.

Die Skepsis der Haider-Vertrauten gegenüber der Nähe Riess-Passers zur ÖVP wurde durch das Verhalten schwarzer Spitzenfunktionäre eben aufs Neue bestätigt. Die ÖVP lieferte ein nie da gewesenes Schauspiel nach dem Motto: "Susi, wir lieben dich." Es traten auf: Elisabeth Gehrer, Bildungsministerin und stellvertretende ÖVP-Chefin. Sie glaube, so Gehrer, Riess-Passer würde sich in ihrer Partei durchsetzen, und wünsche der Vizekanzlerin "jedenfalls alles Gute". Benita Ferrero-Waldner, Außenministerin - Riess-Passer sei eine "verlässliche und starke Frau". Sie würde die "Dinge in der FPÖ wieder dorthin führen, wo sie hingehörten". Wilhelm Molterer, Umweltminister, Bundesparteiobmann-Stellvertreter: "Wir vertrauen auf die Stärke von Susanne Riess-Passer."

Die Landeshauptmänner von Salzburg und Oberösterreich, Franz Schausberger und Josef Pühringer, konnten als Mitglieder des schwarzen Rettungskommandos für Riess-Passer sogar deren Vorschlag, eine Volksbefragung über die Steuerreform durchzuführen, Charme abgewinnen. Auch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel erklärte bei der Pressekonferenz nach dem Ministerrat am Dienstag vergangener Woche, Riess-Passers Idee in den ÖVP-Gremien diskutieren zu wollen.

Des Kanzlers Signal ans Volk: gelassenes business as usual
Ganz so zurückgelehnt und stressfrei verlief jener Dienstag dann doch nicht. Zur Mittagszeit hatte Schüssel seine Landesobleute zu einer Sitzung nach Wien gebeten. Am Abend erörterte die ÖVP Spitze die prekäre Situation des Koalitionspartners und Riess' Wunsch nach einer Volksbefragung.

Schnapsidee
Was für die Vizekanzlerin ein "Weg des Neuregierens sein kann, den Menschen zu sagen, ihr könnt mitentscheiden", gilt in der ÖVP-Spitze schlicht als Schnapsidee. Denn das Referendum wäre ein durchaus risikoreiches Unterfangen: Allzu leicht, so die ÖVP-internen Überlegungen, könnte die Opposition die Befragung zu einer Abstimmung über die Regierung umfunktionieren. Bei einer geringen Beteiligung an einer von der Regierung initiierten Volksbefragung wäre die Blamage groß. Ließe man das Volk über die Steuereform entscheiden, könnte man wohl kaum argumentieren, wieso nicht auch eine Volksbefragung über den Ankauf von Abfangjägern oder die EU-Erweiterung möglich ist. Und obendrein würde das Wahlvolk die sieben Millionen Euro-Kosten für Riess-Passers Befragung in Zeiten von Flut und Sparpaketen nicht wirklich goutieren.

Zu jenem Mann, der der ÖVP nach dreißig Jahren immerhin wieder zum Bundeskanzler verhalf, fällt den meisten ÖVP-Spitzenfunktionären nichts mehr ein. Und wenn doch, ist das Urteil über Jörg Haider wenig schmeichelhaft: "Was wir jetzt erleben, ist der Kampf eines alternden Playboys", sagt ein ÖVP-Vorstand. Dass Wolfgang Schüssel Haider nach einem Putsch gegen Riess-Passer als Vizekanzler akzeptieren würde, gilt bei den meisten ÖVP-Spitzen als unvorstellbar. Ein Abgeordneter: "Dann werfen wir die Druckereien für die Wahlplakate an." Selbst wenn Haider nach einer Demontage der Vizekanzlerin als neuer alter Obmann in Kärnten bliebe, wäre der Fortbestand der Koalition alles andere als gesichert. Georg Wurmitzer, als Landesobmann der ÖVP Kärnten einer der Haider-erprobten ÖVP-Politiker: "Wenn Riess-Passer verliert, ist die Koalition zu Ende."

Schwarze Freude
Haiders Ankündigung, sich ganz aus der Bundespolitik zurückzuziehen, wird in der ÖVP zwar mit Freude zur Kenntnis, aber kaum für bare Münze genommen. Haider bleibt unberechenbar und damit die Sorge um den Fortbestand der Koalition virulent. Offiziell gilt allerdings eine andere ÖVP-Linie: Es habe sich gezeigt, dass die Vizekanzlerin in schwierigen Situationen die Oberhand behalte, also könne man darauf vertrauen, dass sie auch weitere Krisen meistern werde.

Während sich die ÖVP in der vergangenen Woche noch abmühte, den Hals der Vizekanzlerin zu retten, versuchte mancher VP-Spitzenmann bereits, Nutzen aus der blauen Tragikomödie zu ziehen. Nun könne die ÖVP, gab Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll im "Kurier" zu Protokoll, "zeigen, dass sie der verlässliche, kalkulierbare Regierungsteil ist." Bei den nächsten Wahlen sollte die ÖVP Nummer eins werden und dann mit der FPÖ weiterregieren.

Ein frommer Wunsch - das wissen auch die ÖVP- Strategen. Denn laut allen Umfragen verfügt die schwarz-blaue Wendekoalition derzeit nicht über eine Mehrheit. Die freiheitlichen Eskapaden könnten Wolfgang Schüssels politisches Experiment beenden. In der ÖVP setzt man auf Zeit. Hält die Koalition bis in das nächste Jahr hinein, so die Hoffnung, hätten die Wähler den blauen Zank um die Folgen des Hochwassers schon vergessen.

Mit hämischen Bemerkungen über die blaue Selbstentleibung halten sich die ÖVP-Funktionäre zurück. Zu schmerzhaft ist die Erinnerung an die eigene, jüngere Parteigeschichte. Ein schwarzer Funktionär: "Die FPÖ führt sich derzeit genauso masochistisch auf wie die ÖVP in ihren schlechtesten Zeiten."

Langfristig könnte die Strategie des Riess-Passer-Lagers, Haider mit Hilfe der ÖVP in Schach zu halten, allerdings problematisch werden. Denn beliebt ist der Koalitionspartner an der blauen Basis beileibe nicht - und Haider in der Opferrolle einer gemeinsamen Intrige von schwarzen Übeltätern und blauen Verrätern wäre für den Altparteichef wohl eine gute Basis für den Weg zurück.

Wann Haider wiederkommt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Dass er kommt, darüber herrscht Einigkeit. Ein FP-Vorstandsmitglied: "Spätestens wenn die Susi bei der Wahl eingefahren ist und geht, übernimmt er wieder und macht bei der EU-Wahl 2004 den nächsten Anlauf."

Falls Haider schon vorher an die Parteispitze zurückkehren sollte, hat zumindest eine ihre Exit-Strategie parat: Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer. In den vergangenen turbulenten Wochen hat sie laut Vertrauten bereits vorgesorgt. Sie habe ein attraktives Jobangebot aus dem Sportbusiness in der Tasche.

Gernot Bauer, Thomas Hofer und Dagmar Schwelle
Mitarbeit: Otmar Lahodynsky>
"profil" Nr. 36/02 vom 02.09.2002