Ein Pfarrer gegen den Vatikan

Helmut Schüller: Ein Pfarrer gegen den Vatikan

Kirche. Sprecher der Pfarrer-Initiative will „Aufruf zum Ungehorsam“ nicht zurücknehmen

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Reue ist der erste Schritt zur Vergebung. Ein braver Katholik darf sich ruhig einmal danebenbenehmen. Wenn er hinterher seinen Fehler einsieht, Besserung verspricht und Buße tut, werden die Maluspunkte im Himmel wieder gestrichen.

Zu ebener Erde funktioniert dieses System allerdings oft nicht so klaglos. Manch ein Malheur lässt sich im Diesseits nicht mehr ausmerzen. Kardinal Christoph Schönborn etwa bereut sicher nach Kräften, was er vor nunmehr 13 Jahren angestellt hat. Seine Entschuldigung ist aktenkundig, ebenso sein Versprechen, dergleichen in Zukunft nicht mehr zu machen. Gebüßt hat er auch zur Genüge: Schönborns Aktion führte in der Erzdiözese Wien zu einer massiven Austrittswelle; in fast allen Medien wurde der Kardinal heftig gerüffelt.

Nach den Maßstäben der Kirche hätte das eigentlich reichen müssen, um die Verfehlung zu sühnen, zumal es sich nicht um eine Todsünde handelte. Schönborn war lediglich in der Nacht vom 21. auf den 22. Februar 1999 durch die Gänge des erzbischöflichen Palais geschlichen und hatte vor der Wohnungstür seines damaligen Generalvikars einen Brief deponiert. Auf wenigen Zeilen teilte er seinem engsten Mitarbeiter darin mit, dass er mit sofortiger Wirkung gefeuert war.

Der Generalvikar hieß Helmut Schüller. Und nicht nur die Kündigung als solche, sondern vor allem die seltsam verdruckste Art ihrer Zustellung zerstörte das Verhältnis zwischen den beiden Männern. Schüller zog sich in seine Pfarre nach Probstdorf in Niederösterreich zurück und hatte viel Zeit, über das System Kirche nachzudenken. Dass er mittlerweile zu einer Art Gottseibeiuns der katholischen Nomenklatura geworden ist, hat auch mit jener Februarnacht zu tun. Nicht weil Schüller auf einem Rachefeldzug wäre. Sondern weil Menschen besonders überzeugend sind, wenn sie das, wogegen sie kämpfen, am eigenen Leib erlebt haben.

„Die Bischöfe führen sich auf wie Gutsherren in der Feudalzeit“, sagt Schüller im profil-Gespräch. Er sehe keinen Grund, seine Forderungen zu ändern oder auch nur den Ton, in dem sie vorgebracht wurden. „Wir sind nicht kindisch oder dauerpubertierend.“ Erst wenn sich in der Kirche etwas bewege, werde man überlegen, wie darauf zu reagieren sei.

Helmut Schüller sitzt in seinem kleinen Büro an der Wiener Wirtschaftsuni. Neben seinem Job als Landpfarrer ist er auch noch Universitätsseelsorger. Auf dem Schreibtisch stapeln sich Zettel, Briefe und Aussendungen. An der Wand gegenüber lehnt ein abstraktes Gemälde; niemand hatte bisher Zeit oder Lust, es aufzuhängen. Es ist das lieblos vollgeräumte Büro eines Mannes, der sich damit abgefunden hat, dass er außer seinen Worten keine Repräsentationsmöglichkeiten mehr hat. Zu Weihnachten wird Schüller 60, und vielleicht spielt das Alter eine gewisse Rolle bei seinem aktuellen Kreuzzug. Mit 60 ist man noch fit, aber es ist auch klar, dass man sich mit der Erfüllung dringender Anliegen nicht mehr ewig Zeit lassen kann.
Schüller ist Sprecher und, wenn man es so nennen will, Star der „Pfarrer-Initiative“. Die Vereinigung wurde 2006 gegründet, und richtig Ärger macht sie aus Sicht der Kirchenleitung seit Juni 2011. Damals veröffentlichten die Geistlichen den „Aufruf zum Ungehorsam“ und begingen damit einen Tabubruch. Gehorsam gehört in der Kirche zum unbedingten Rüstzeug, eine Organisation mit absolutem Wahrheitsanspruch kann Zweifler und Quengler in ihren Reihen nicht dulden. Noch dazu rufen die Priester und Diakone – mittlerweile sind es 405 – nicht nur dazu auf, diverse Verbote Roms zu ignorieren, sondern praktizieren den Ungehorsam bereits. Die Kommunion wird beispielsweise auch an wiederverheiratete Geschiedene oder Mitglieder anderer christlicher Kirchen verteilt, kompetente Laien dürfen predigen. Dafür vermeiden die Pfarrer, an Sonn- und Feiertagen mehrfach zu zelebrieren oder den Personalmangel mit durchreisenden Priestern zu bekämpfen – dabei handle es sich um verzichtbare „liturgische Gastspielreisen“. Außerdem werde man sich bei jeder Gelegenheit für die Zulassung von Frauen und Verheirateten zum Priesteramt einsetzen, heißt es im Text.

Die Aufregung der österreichischen Bischöfe über diese Aktion war schon vor zehn Monaten beträchtlich. Seit Papst Benedikt XVI. in seiner Predigt am vergangenen Gründonnerstag ausführlich über die aufsässigen österreichischen Pfarrer sprach, ist aber klar, dass Schüller und seine Mitstreiter auch im Vatikan für Nervosität sorgen. „Ist Ungehorsam wirklich ein Weg?“, fragte der Papst. „Spüren wir darin etwas von der Gleichgestaltung mit Christus, die die Voraussetzung jeder wirklichen Erneuerung ist?“

Kurz danach sah sich auch der Apostolische Nuntius in Österreich, Erzbischof Peter Stephan Zurbriggen, veranlasst, die aufsässige Truppe zu maßregeln. Die Wahrheit sei „nicht durch einen demokratischen Mehrheitsbeschluss zu finden“, erklärte Zurbriggen.

Es sei „schon recht ungewöhnlich“, dass der Papst persönlich zu der Causa Stellung nahm, sagt Michael Prüller, Sprecher von Kardinal Schönborn. „Das zeigt die Sorge der Weltkirche, dass sich hier ein Spaltpilz bilden könnte.“ Schönborn selbst äußerte sich zuletzt Anfang April: Das Wort Ungehorsam könne „so nicht stehen bleiben“, eine öffentliche Klärung sei nötig.

Von außen betrachtet, wirkt die Aufregung mitunter etwas seltsam. Keine der Forderungen der Pfarrer-Initiative ist neu oder besonders ketzerisch. Helmut Schüller nahm vor einer Woche für seine Gruppe den Herbert-Haag-Preis entgegen – überreicht vom Schweizer Theologen Hans Küng, der mit denselben Wünschen und Kritikpunkten schon seit Jahrzehnten durch die Lande zieht. Von den österreichischen Pfarrern infrage gestellt werden letztlich auch bloß organisatorische Details, nicht Grundpfeiler wie die Auferstehung und das ewige Leben.

Noch dazu ist die Pfarrer-Initiative weit von einer schlagkräftigen Organisation entfernt. „Liebe E-Mail-SchreiberInnen! Vielleicht wundern Sie sich, dass wir noch nicht auf Ihr E-Mail geantwortet haben“, heißt es etwa auf der Homepage. „Nun, das liegt daran, dass wir sehr viele E-Mails bekommen und kein Sekretariat haben.“ Das Budget besteht aus den Mitgliedsbeiträgen, mehr Geld gibt es nicht. Sollen offizielle Anlässe dokumentiert werden, greift der Paudorfer Pfarrer Udo Fischer, ebenfalls ein verdienter Veteran der Rom-Kritik, zur Kamera.

Professionelle Kampagnenführung sieht heutzutage anders aus. Doch offenbar reicht der selbst gebastelte Widerstand absolut, um in vielen europäischen Sakristeien Lunten zu legen. „Angst vor dem Zündfunken“ titelte die „Süddeutsche Zeitung“ vor Kurzem und beschrieb, wie die Pfarrer-Initiative ausgerechnet im kreuzbraven Bayern Sympathien sammelt.

Helmut Schüller ist kein Einzelkämpfer, aber es liegt in hohem Maße an seiner Person, dass die Aktion so viel Echo hervorruft. Er verstand es schon immer, Menschen für seine Anliegen zu begeistern. Schüller war Chef der Caritas Wien und Präsident von Caritas Österreich, 1995 wurde er zum Generalvikar der Erzdiözese Wien ernannt. Aus jedem dieser Ämter holte Schüller ein Maximum an öffentlicher Aufmerksamkeit heraus – und zwar weit über Kirchenkreise hinaus. Für seine Tätigkeit als Caritas-Chef wählte ihn etwa die Wiener Wirtschaftsuniversität 1993 zum „WU-Manager des Jahres“. In seiner Laudatio wollte der damalige Prorektor mit dem Loben gar nicht mehr aufhören: „Sie, Monsignore Schüller, sind eine Führungskraft, wie sie besser kaum vorstellbar wäre. Sie sind ein Mann, der das Leben anpackt.“

In der heimischen Kirche gilt als mehrheitsfähig, dass es falsch war, Helmut Schüller in einer kleinen Landpfarre verdorren zu lassen. „Aus meiner Sicht wäre er ein hervorragender Kandidat für ein Bischofsamt“, meint etwa Michael Landau, Schüllers Nachfolger bei der Caritas Wien. Der Umgang mit diesem Mann sei ein klassischer Fall von Ressourcenvergeudung. „Er hat viele Fähigkeiten, die in der Kirche dringend gebraucht werden.“

Helmut Schüller war stets eine Identifikationsfigur auch für Menschen, die mit der Kirche nicht viel anfangen können. Bei der Caritas setzte er sich für die Armen und für benachteiligte Ausländer ein und wurde deshalb zum Ziel des Briefbombers Franz Fuchs (die Bombe wurde allerdings rechtzeitig entdeckt). Als Generalvikar predigte er die Öffnung der Kirche und agitierte offen gegen Kurt Krenn, den damaligen Bischof von St. Pölten. Schüllers Breitenwirkung beruht aber letztlich auf einer simplen Gabe: Er drückt sich aus wie ein normaler Mensch. Der verschnörkselte, huldvolle Predigersound so vieler Kirchen­oberen blieb ihm zeitlebens wesensfremd. „Er redet Klartext“, findet auch Michael Landau, „das ist extrem angenehm.“

Langjährige Bekannte beschreiben Helmut Schüller als scharfen analytischen Denker, der seine Überzeugungen mit Vehemenz vertritt und dabei auch ziemlich grob werden kann. Nicht alle Mitarbeiter waren mit ihm als Chef glücklich. Als Generalvikar hatte er ein Team um sich gesammelt, das intern „Politbüro“ genannt wurde. Er setzte die Erzdiözese auf Sparkurs, kürzte die Gehälter des Klerus und entließ die damalige Chefredakteurin der „Wiener Kirchenzeitung“, weil ihm ihre Ansichten nicht passten. Ähnliche Geschichten gibt es auch aus seiner Amtszeit bei der Caritas. Da wie dort wurde beklagt, dass Schüller zu sehr Manager und zu wenig Menschenfreund sei.

Allerdings teilte er in alle Richtungen aus.
Mehr als einmal musste Kardinal Schönborn in Rom die Äußerungen und Aktivitäten seines Generalvikars rechtfertigen. Für einen pointierten Spruch nahm Schüller den Vorwurf der Respektlosigkeit stets gerne in Kauf. Ein früherer Mitarbeiter erinnert sich an eine Szene, die ganz gut zeigt, dass der Herr Pfarrer kein Anhänger harmoniesüchtiger Säuselei ist. Beim Adventempfang des Wiener Erzbischofs 1998 stand Schüller in einer kleinen Gruppe beim Smalltalk. Annemarie Fenzl, früher engste Mitarbeiterin von Kardinal Franz König, klagte über den damals gerade tobenden Streit in der Bischofskonferenz: „Wenn da wenigstens eine Frau drinsitzen würde, wäre alles einfacher.“ Schüller konterte: „Es würde schon helfen, wenn da wenigstens ein Mann drin­säße.“

Im November des Vorjahrs ergab eine Umfrage im Auftrag des ORF, dass mehr als zwei Drittel der österreichischen Pfarrer den Aufruf zum Ungehorsam positiv sehen. Etwa gleich viele erkennen einen „bedrohlichen Reformstau“ in der Kirche. Das sind einfach zu viele Sympathisanten, um mit den Aufständischen kurzen Prozess zu machen. Österreichs Bischöfe tun sich folglich extrem schwer mit der Pfarrer-Initiative. Immer wieder kommt die dringende Bitte, doch wenigstens das Wort Ungehorsam aus dem Pamphlet zu streichen. Der steirische Diözesanbischof Egon Kapellari, zugleich Medienbischof, bezeichnete die Aktion vor Kurzem als „Ungeheuerlichkeit“ – weiß aber auch nicht, womit genau er den Revoluzzern drohen soll. In Österreich gibt es schon jetzt viel zu wenig Pfarrernachwuchs, massenweise Suspendierungen sind da höchstens eine theoretische Option.

Kardinal Christoph Schönborn hatte gleich nach der Bekanntgabe des „Aufrufs zum Ungehorsam“ mit harten Konsequenzen gedroht. „Wenn er (gemeint war Helmut Schüller) den Dissens in substanziellen Fragen aufrechterhält, muss er sich natürlich die Frage stellen, wie sein weiterer Weg in dieser Kirche und in diesem Amt aussieht“, erklärte Schönborn im vergangenen August. Wiederholen wollte er diese harten Aussagen später nicht mehr. Strafmaßnahmen gegen Helmut Schüller kämen bei den Gläubigen gar nicht gut an, das weiß man im erzbischöflichen Palais.

Karl Schauer, als Superior der Priestergemeinschaft Mariazell ein wichtiger Mann in der österreichischen Kirche, kann zumindest einige Forderungen der Pfarrer nachvollziehen. Er meint auch, dass Schweigen und Aussitzen in diesem Fall keine Lösung wären. „Es müssen Signale gesetzt werden. Der Aufruf artikuliert ja eine Unzufriedenheit, die in breiten Kreisen vorhanden ist.“ Eskaliert ist die Sache seiner Meinung nach aber vor allem wegen der handelnden Personen. Er kenne Schönborn und Schüller gut. „Da hat sich etwas verselbstständigt. Es geht um Stolz, Eitelkeit, gegenseitige Beleidigungen und viele alte und neue Verletzungen.“ Helfen könnten da nur geduldige Gespräche, glaubt Schauer.

Hans Peter Hurka, Vorsitzender der Laienorganisation „Wir sind Kirche“, hält die Aktion der Pfarrer schon jetzt für einen Erfolg – ganz egal, was noch passieren wird. „Für die Gläubigen war das ein Signal, dass sie selbstbewusst ihr Leben gestalten können. Ohne dauerndes schlechtes Gewissen.“

Während sich die Bischöfe einkrampfen, genießt Helmut Schüller seine Rolle als Botschafter des Widerstands sichtlich. Auch der Kampf gegen eine erstarrte Organisation kann zur spirituellen Mission werden. „Die Kirche muss erkennen, dass sich die Erde weiterdreht“, erklärt er. „Nachdem wir es immerhin geschafft haben, zu akzeptieren, dass sie sich überhaupt dreht.“

Die Anerkennung von Galileo Galileis Erkenntnissen durch den Vatikan dauerte rund 400 Jahre. Schüller weiß also, dass er Geduld haben muss.

Lesen Sie im profil 18/2012: Helmut Schüller, Sprecher der Pfarrer-Initiative, über die Revolution der Kirchensenioren, polnische Dorfkaiser, die Lebenslüge von Hans Hermann Groer und das schwierige Leben mit Zölibat und Enthaltsamkeit.

Rosemarie Schwaiger