Ausradiert?

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Protokollarisch war kein Platz für Edith Klestil beim Staatsbegräbnis ihres geschiedenen Mannes. Wenn die jetzige Witwe nicht wünsche, dass sie daran teilnehme, hätte sie keine Chance zu kommen, schrieb die „Presse“*), durchaus tendenziös, aber offenbar auch nicht unrichtig. Edith Klestil gelte als Privatperson, in Privatangelegenheiten mische sich das Protokoll nicht ein. Deswegen hatte sich die Privatperson – die mit dem verstorbenen Präsidenten immerhin 41 Jahre verheiratet war und drei Kinder von ihm hat – wie jede andere Staatsbürgerin in der Schlange der Kondolierenden anstellen müssen, die an dem aufgebahrten Sarg in der Präsidentschaftskanzlei vorüberzogen. Bei der Trauerfeier im Stephansdom durfte sie dann, auf Einladung von Kardinal Schönborn, in der zweiten Reihe der Trauernden dabei sein.

Ja, streng geht das Patriarchat um mit den Frauen bedeutender Männer. Sobald die bedeutenden Männer sie ablegen, ist die gemeinsame Vergangenheit nicht mehr viel wert.

Damit wir einander nicht missverstehen: Ich bin nicht für die unauflösliche Ehe. Es muss erlaubt sein, die Konsequenzen zu ziehen, wenn eine Liebe erloschen ist, so schmerzlich das für die nicht mehr geliebte Person auch sein mag. Aber die Unerbittlichkeit, mit der die einst weithin respektierte Ehefrau eines bedeutenden Mannes darauf hingewiesen wird, dass ihr Status nur geliehen war, sobald er sich einer anderen zuwendet, die hat schon was Beklemmendes. Nein, kein falsches Mitleid. Gewiss ist es immer noch komfortabler, die Ex eines Präsidenten zu sein als die Ex eines Habenichts (oder auch die nach wie vor mit einem Habenichts Verheiratete), und wenn Sie glauben, das wird jetzt ein flammender Aufruf, lieber selber Karriere zu machen, als auf die Karriere eines Mannes zu setzen, dann liegen Sie falsch.

Denn nach wie vor sind, wie wir wissen, die Karriereaussichten für Frauen schlechter als für Männer. Und natürlich ist das Unternehmen erfolgreicher Ehemann nicht auf jeden Fall zum Scheitern verurteilt. Bei aufrechter Ehe profitiert die Gattin des tüchtigen Mannes beachtlich von seinem Ansehen und seinem Wohlstand, und vermutlich lebt sie bequemer als so manche andere, die sich abstrudelt, um aus Eigenem etwas zu erreichen, ohne es je so weit zu bringen wie der männliche Konkurrent. Der Opfermythos, der sich um die Ehefrauen berühmter, bedeutender oder mächtiger Männer spinnt, ist nicht immer berechtigt. Manche haben vielleicht wirklich hart gearbeitet, damit er werden konnte, was er geworden ist, andere hingegen haben sich weder besonders strapaziert noch überragende eigene Talente unterdrückt, um ihn zu unterstützen.

Es geht daher nicht darum, eine lebenslange Belohnung einzufordern für Frauen, die einen längeren Zeitraum an der Seite eines erfolgreichen Mannes verbracht haben.
Worum es geht, das ist der ihnen gebührende Raum in der Lebensgeschichte des bedeutenden Mannes. Der stünde ihnen zu. Der sollte ihnen erhalten bleiben.

Stattdessen werden sie oft wie mit einem großen Radiergummi eliminiert aus seiner Biografie, zunächst von ihm selber, dann von der Geschichtsschreibung. Als wäre da nie was gewesen. Als hätten sie für ihn nie existiert.

Drei willkürliche Beispiele, spontan herausgegriffen:
Rut Brandt, 32 Jahre lang die zweite Ehefrau des großen Willy und Mutter dreier gemeinsamer Söhne, kommt in seiner Autobiografie (die er schrieb, als er schon mit seiner dritten, letzten Ehefrau verheiratet war) mit keinem Wort vor.

Minna Wagner, die erste Ehefrau des großen Richard, ist längst in Vergessenheit geraten, im Gegensatz zu Cosima, der „rechtmäßigen“ Witwe. Das ist einigermaßen sonderbar, wenn man bedenkt, dass Minna, die Richard Wagner in seinen Anfängen entscheidend unterstützte, drei Jahrzehnte lang an seiner Seite war.

Ich selber erinnere mich noch gut an Leomare, die erste Frau Helmut Qualtingers. Auch sie dem öffentlichen Gedächtnis entfallen, das eine andere als die Gefährtin des großen Mannes gespeichert hat. Auch sie einst zutiefst gekränkt, weil sie sich, ohne zu murren, quasi in Luft auflösen sollte, nachdem er beschlossen hatte, die jahrzehntelange Gemeinsamkeit aus seinem Leben zu streichen. Von ihr weiß ich definitiv, dass sie ein großes (schreiberisches) Talent in seinen Dienst stellte, weswegen sie sich zu Recht um die Früchte ihres Einsatzes betrogen fühlte, als er sie verließ.

Noch einmal: Eine Frau, die nach den Spielregeln des Patriarchats weiterkommen will, indem sie seinen Aufstieg zu ihrer Sache erklärt, darf sich nicht wundern, wenn das Podest, auf dem sie steht, wackelt, sobald der Mann ihr seine Gunst entzieht. Ist halt nicht mehr das gemeinsame Podest. Gehört ihm, und die Spielregeln, auf die sie gesetzt hat, besagen, dass er es auch mit einer anderen teilen kann.

Aber zwischen dem Akzeptieren von neuen, aktuellen Verhältnissen und dem Leugnen dessen, was war, ist ein Unterschied. 20, 30, 40 gemeinsame Jahre, ein gemeinsames Kind oder gar mehrere – wer wollte allen Ernstes behaupten, dass sowas kein Gewicht und keine Bedeutung hätte?

Zugegeben, nicht nur das Protokoll lässt menschlichen Anstand vermissen. Auch in weniger prominenten Kreisen sehen sich langjährige Gefährtinnen oft auf die Rolle des Zaungastes reduziert, wenn es gälte, Abschied nehmen zu können von einem Menschen, der einen wesentlichen Abschnitt des eigenen Lebens verkörpert hat. Aber im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit sind Degradierungen vermutlich noch schmerzlicher und zeigen jedenfalls sehr deutlich die Schattenseiten einer konventionellen weiblichen „Karriere“.