Austro-Pop: Schmerzblatt

Chmelar über „Aufleben“, Fendrichs neue CD

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Am Anfang war das Ende. Die laute Scheidung, irrlichternden Blicks, vor flackerndem Kamin und laufender (ATVplus-)Kamera, aus freien Stücken und volljährig vorgetragen, befreite zum Jahreswechsel den Bedrängten von allem die Kunst überlagernden Schutt. Er hatte „nur noch die Musik“. Und so wie ein echter Boxweltmeister aus den Slums kommt, wo er schon als Kind für einen Laib Brot sein Leben riskieren musste, so erhebt sich Rainhard Fendrich jetzt mit 13 neuen Liedern als unumschränkter österreichischer Champion aus den Elendsvierteln seiner privaten Verwicklungen, quasi schmerzgeboren. Auch insofern war das Interview fundamental.

Dass er es damit „öfter als Bin Laden“ auf Seite 1 der „Bild“-Zeitung schaffte, wie er jüngst bilanzierte, mag wohl daran gelegen haben, dass er a) leichter zu finden war und b) sich vorsichtshalber selber stellte. Dazu wäre er, so seine spätere grundgütige Eigeneinschätzung, nur dank einer „emotionellen Paralyse“ fähig gewesen: „Es ging nicht um meine Karriere, sondern um mein Leben. Ich war wie ein Fuchs in der Falle, der sich ein Bein abbeißen musste.“

Andere hätten sich eher die Zunge abgebissen, als fiebrig über Spurensuche bei Herrenunterbekleidung und Tennislehrern zu fantasieren. Freilich: Die in derlei Fällen stets verlässlich schwappende „Wonne der Empörung“ (© Otto Schily) trug ihre zutiefst altösterreichische Schaumkrone: Hierzulande verlangt man von Verwundeten gern „stilles Leiden“.

Zu den schmerzlichsten Momenten dieser knapp 90-minütigen freiwil(d)igen Führung durch eine verwüstete Seelenlandschaft zählte sein retrospektives Grubenunglück: „Weusd’ a Herz host wie a Bergwerk“, sagte Fendrich, sei keine Liebeserklärung gewesen, sondern eine profane „Bedienungsanleitung – so hätte ich mir eine Frau an meiner Seite gewunschen!“ Tja, ursprünglich sei es auch als „Wennsd’ a Herz host wie a Bergwerk“ konzipiert worden. Man sah direkt, wie in dieser Sekunde tosende und abertosende von Feuerzeugen in konzertierter Aktion zeitgleich mit dem Glanz in den Augen ihrer Schwenkerinnen aller Gewichtsklassen erloschen. Auch das dürfte ein mächtiges Motiv für die spätere schnöde Song-Weglegung im Interview gewesen sein. Man muss künftig wohl nachgereichte Beipacktexte gewärtigen – wie ist das mit Lied Nummer 6, „Da läuft im letzten Augenblick / Mir ein Engel übern Weg“? Kommt im Fall fiktiver Flügel-K(r)ämpfe mit der Neuen dann die (Achtung: Farkas-)Wuchtel: „Treffen sich zwei Freunde. Sagt der eine: Meine Frau ist ein Engel. Sagt der andere: Meine lebt leider noch …“

Nach drei Jahren schöpferischer Pause nun also „Aufleben“. Eine Sozialisation von „entsetzlich hetero-“ zu „metrosexuell“. Ein großer Schritt für Fendrich, der mitunter körpersprachlich das Gefühl vermittelt, wenn er nicht als Bub zur Welt gekommen wäre, hätte er überhaupt nichts zum Spielen gehabt.

Dass ich Fendrich schätze, ist aktenkundig. In seinem Fall habe ich einen einfachen Geschmack: Mir gefällt alles so gut und so gut wie alles. Das verbindet mich zwar mit Peter Westenthaler (nicht einmal ein Fendrich kann sich seine Fans aussuchen), aber auch mit Hans Weigel selig, dem Nestor der Kritik, der Fendrich einst als „Nestroy unserer Tage“ adelte. Und auf Nestroy beruft sich Rainhard beinhart – zuletzt in einem Gespräch mit einer Bundesländerzeitung. Ich behaupte: Das hat was. Was Wahrhaftiges nämlich.

Die Beweisführung: Rainhard Nestroy (1801–1862) als Vordenker, Johann Nepomuk Fendrich (1955–) als Nachsänger.
Nestroy: „Kaum ist die Ernte der Erfahrung eingebracht, wird der Acker vom Schicksal neu umgepflügt.“
Fendrich in „Er war ein Star“: „Die Menschen war’n erschüttert / die Freunde habn s’ geahnt / Man hat ihn früh gefunden / doch man hat ihn leider viel zu spät erkannt.“
Nestroy, der alte Macho: „Zu viel plauschen die Weiber erst, wenn sie alt sind. Wenn sie jung sind, verschweigen sie einem zu viel.“
Fendrich in „Damenkränzchen Tarantula“: „Sie hab’n an Ehemann / Wie schön wär seine Leiche / mit einem dunklen Anzug / in Esche oder Eiche.“
Nestroy: „Zu viel Vertrauen ist häufig eine Dummheit, zu viel Misstrauen immer ein Unglück.“
Fendrich in „Soy tu Vida“: „Das, was du nicht mehr erträgst / Ich trag es gern mit dir / Nur, wenn du mich belügst / Nimm dich in Acht vor mir.“
Nestroy: „Ein seichter Mensch find’t bald was tief.“
Fendrich in „Knall“: „Mit lautem Knall / So bricht die Wahrheit los / Das Maß ist übervoll / Die Seele kotzt sich aus.“

Zum Nestroy empfehle ich Fendrich auch noch einen deutschen Nestroy, etwa Werner Finck (1902–1978): „Die schwierigste Turnübung ist, sich selbst auf den Arm zu nehmen.“
Ich weiß, wovon ich rede.

Dieter Chmelar ist TV-Moderator bei ATVplus. Nach der Einstellung seiner Sendung „Chmelar Live“ bereitet er eine Late-Night-Show für den Herbst vor.