Autodrom: David Staretz

Autodrom: David Staretz „Aus dem Gesicht spricht der Hunger“

„Aus dem Gesicht spricht der Hunger“

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Im Folgenden ist ein Werbetext über den Mazda3 MPS zu lesen, der einerseits um eine Oktave zu hoch gegriffen erscheint, andererseits in keiner Weise übertreibt. Darüber hinaus mag er als faszinierendes Dokument eines bald nur noch historisch verankerten Phänomens gelten – des grundsätzlich unscheinbaren, aber markant zur Sportlichkeit vergatterten Haushalts-Racers, also jener Generation von zivilem Ungehorsam, die 1976 mit dem Golf GTI ihren Anfang nahm und seither mit einer gewissen Outlaw-­Attitüde mitten im Mainstream rudert – das aber sehr, sehr schnell:

„Fahrfreude beginnt schon vor dem Einsteigen: Aus dem Gesicht des neuen Mazda3 MPS spricht der Hunger auf Asphalt. Der schwarze Kühlergrill wirkt angriffslustig, und unter der Motorhaube mit dem neuen größeren Lufteinlass lauert ungebändigte Kraft. Im Profil fällt der tiefe optische Schwerpunkt auf und die neuen 18-Zoll-Leichtmetall-Räder im Stil des Mazda RX-8. Der große Heckspoiler sorgt für zusätzliche Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten. (…) Katapult­artig beschleunigt der Mazda3 MPS in nur 6,1 Sekunden von 0–100 km/h (Höchstgeschwindigkeit 250 km/h) und lässt Gegner seiner Klasse weit hinter sich. Solche Kraft braucht Kontrolle: Die verstärkte Karosserie und die elektro-hydrau­lische Servolenkung sorgen bei jeder Geschwindigkeit für präzises und souveränes Handling. (…)

Für einen solchen Leistungssportler ist der Mazda3 MPS erstaunlich genügsam. Der kraftvolle 2.3 l MZR DISI Turbomotor bringt 191 kW (260 PS) auf die Straße und verbraucht dabei weniger als sein Vorgänger und erfüllt dabei die ­Euro5-Norm. Beim Aussteigen dürfen Sie sich auch in Sachen Umwelt als Sieger fühlen: Der neu entwickelte Katalysator mit Single-Nanotechnologie verringert die Emissionen auf ressourcensparende Weise.“

So weit alles klar und sehr zutreffend. Ich komme ja selber aus einer Welt, in der 260 PS nur insofern ein Problem darstellen, als man Skepsis darüber zu zeigen hat, wie kraftschlüssig sie sich wohl über schieren Vorderachsantrieb auf die Straße bringen lassen. (Einerseits haben Vorderräder innerhalb des Kamm’schen Kreises außer der Traktions- auch die Lenkarbeit zu übernehmen, was reichlich viel ist angesichts dieser Leistung, dieses Drehmoments. Zweitens wandert beim Beschleunigen der Momentanschwerpunkt nach hinten, die Vorderachse wird also entlastet, was die Traktionsfähigkeit schwächt. Desgleichen bei Kurvenfahrt.) Allerdings ist mir klar, dass ich mit so einem aufgespoilerten Gerät an der Schwelle zur gesellschaftlichen Ächtung kratze, wie mir gewisse Blicke an Fußgängerkreuzungen verraten.

Anderntags begehe ich das Wagnis, in einem Nissan Leaf Zero Emission (also einem Elektroauto) mit einer Stromladung Bratislava und retour zu schaffen, scheitere dabei kläglich, fühle mich von den Überfahrern, Auskennern und Durchcheckern in SUVs, Vans, Cayennes etc. belächelt, hoffe aber, dass ich Pionierhaftes leiste und von der Zukunft dafür gefeiert werde. Mehr darüber in der kommenden Ausgabe der „Autorevue“.
Hier aber zurück zu den 260 PS, die ja in jeder Hinsicht etwas zu Bewältigendes sind, wie das beim Beschleunigen ununterbrochen blinkende Lämpchen der Traktionskontrolle verrät. Dennoch ist der Kraftfluss schlüssig, das Ziehen im Lenkrad dient der Gefühlsaufnahme, der Wagen geht grandios voran und lässt sich auf leider verbotene Weise schnell fahren, reduziert Überholvorgänge zu Interpunktionen, bremst scharf, lässt sich fein kontrolliert durch Kurven ziehen, was neben einem grundsätzlich gut ausgelegten Fahrwerk der straffen Dämpfung, der direkten Lenkung und eben der den Wagen immer auf Zug haltenden Über-Leistung zu verdanken ist.

Zivil-Racer wie der Mazda3 MPS spielen ein bisschen mit der Rennfolklore (konturierte Sitze, Alu-Look-Pedale, rote Nähte im Bodenteppich), dienen aber in Wirklichkeit den ganzen alltäglichen Sitzumklapp-Großeinkauf-Kindersitz-Notwendigkeiten. Beim Mazda3 kann man sich zudem über uncoole Brauchbarkeiten wie ordentliche Haltegriffe, reichlich Ablagen und ein wirklich grottenhaft riesiges Handschuhfach freuen. Mein Testwagen verfügte zudem über eine praktische Plastikwanne im Kofferraum (man kann, auch wenn das so nicht vorgesehen ist, kleinere Taschen sichern, indem man sie einfach drunterschiebt), gefiel durch außerordentlich satt und großflächig wirkende Scheibenwischer und ein schneidiges Kurvenlicht. Über die Heizdrähte in der Windschutzscheibe wird ab sofort kein Wort mehr verloren, ich habe dies dem Leser Herbert ­Orlinger versprochen, der bereits einen persönlichen Rachefeldzug ortete. Ich mochte den schönen, kernigen Motorklang, der kraftvoll ist, aber nichts, womit man ältere Familienmitglieder verschrecken würde. Die lassen sich notfalls mit der gehobenen Klangfülle der Bose-Anlage beruhigen. Und den Tacho (Höchstgeschwindigkeit: abgeregelte 250 km/h) sieht eh nur der Fahrer.

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