Autodrom: David Staretz

Autodrom: David Staretz Schuhe putzen in Istanbul

Schuhe putzen in Istanbul

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Als ich vor gut zehn Jahren und bei gutem Wind meine Position in der „autorevue“, Österreichs bester Motorzeitschrift, kündigte, sagte man ungefähr: „Jaja, ist ja gut, ganz wie du meinst, aber vergiss nicht, Dienstag ist Redaktionssitzung.“ Seither habe ich praktisch keine versäumt, und auch sonst hat sich wenig verändert. Es ist mit mir zu rechnen, und ich mache nach wie vor jeden Zauber mit. Einmal sinniert der Chefredakteur: „Wäre doch eine tolle Story, wenn du im Kleinwagen nach Afrika führest“, und ich fahre im Kleinwagen nach Afrika, übernachte in Tanger, lasse mir in der Kasbah die Schuhe putzen und fahre wieder zurück. Oder ich gehe in die Innere Mongolei, um dort Lamborghinis über das Eis zu treiben, vergleichsweise mit und ohne Allradantrieb. Irgendwer muss ja. Diesmal hatte sich der Chefredakteur eine besonders listenreiche Aufgabe für die gesamte Redaktion ausgedacht: „Jeder kauft ein Schrottauto, das nicht mehr als fünfhundert Euro inklusive Anmeldung kosten darf, fährt damit nach Istanbul, auf einen ganz bestimmten Parkplatz, den ich knapp vor Start noch bekannt geben werde, und wer als Erster wieder in Wien ist, hat gewonnen. Zumindest die Speed-Wertung. Andere Kategorien werden wir uns später noch ausdenken.“

Als Meister der Mitarbeitermotivation wollte er dadurch Hoffnung säen, damit niemand abspringen würde, wobei er schon einmal klarstellte, dass er selber die Hauptkategorie zu gewinnen beanspruchte. Ich versuchte dennoch, mich davonzuschrauben, doch ich habe diesbezüglich eine schwache Position: Alles, was Sache der „autorevue“-Familie ist, ist meine Sache auch.

Immerhin gelang es mir, der lästigen Kaufvertrags-­Pickerlüberprüfungs-Zulassungsgeschichte zu entgehen, indem ich die Angelegenheit auf die künstlerische Ebene hob und meinen Freund, den gefeierten Maler Josef Schützenhöfer bat, meiner Privatgalerie namens Kontor Staretz eine Leihgabe zu vermachen in Form seines dreißig Jahre alten Mercedes 190 E, den er vor nicht allzulanger Zeit im Tausch gegen eine Handskizze erworben hatte. Seid Ihr noch da? So läuft das eben, und die anderen Kollegen erwiesen sich auch nicht unschlau; plötzlich hatte jeder irgendwo ein bargeldloses Auto her: Christian Seidel, unser Quotendeutscher, hatte Fotografen Michael Szemes dessen Volvo 360 GLT abgeluchst und besetzte das Team mit einem Mechaniker, dessen Freundin und einer Diskokugel. Szemes selber vertraute sich lieber dem Team Jordan an, das aus dem Schlagzeuger und Webconsultant Roman Gaisböck, einem uralten 62-PS-Wohnmobil samt Küche und Klo sowie mehreren Paletten Weckamingetränk bestand.

Der Chefredakteur gestaltete derweil mehrere Redaktionssitzungen mit der Aufzählung der tollen Fahrzeuge, die er fast um ein Butterbrot erstanden hätte, aber halt nur beinahe.

Einen Tag vor Redaktionsschluss (die Story muss im Heft fundiert vorgestellt werden) entreißt er unserem Chef­fotografen Andy Riedmann dessen Liebhaber-BMW 540i, eine Achtzylinder-Granate – heimlicher Sünden-Rückfall, von Andy erworben, um die Geister zu bannen, indem man sie besitzt, aber in den Keller verbannt.

Chefredakteur Kornherr drängte, sie freizulassen. Das kostete, wie er zugeben muss, noch einmal den Kaufpreis: Federn, Bremsbeläge, Wasserpumpendichtungen, eine gebrauchte Benzinpumpe „und ein paar andere Kleinigkeiten“. Niemand wagte nachzurechnen.

Beim Lusthaus im Wiener Prater war der Start. Alle waren da, nur mein Künstler samt Leihgabe fehlte, weil diese gerade auf der Simmeringer Hauptstraße verendet war. Man beäugte mich von der Seite her mitleidig, und ich hoffte still, dass damit das Rennen für mich gelaufen wäre.

Doch knapp vor Abfahrt kam Josef herangeprescht; er hatte, ehe der Pannendienst daherkam, die Sache lieber gleich selber repariert. Wir drehten einige Runden im Konvoi ums Lusthaus für Film und Foto; das, was gerade noch als Lächeln in den Mundwinkeln des Chefredakteurs geblitzt hatte, erwies sich als Messer zwischen den Zähnen, als er in einer Wolke aus Staub und Auspuffrauch in Richtung ungarischer Grenze entschwand. Also nahm auch der Rest des Feldes das Rennen über 3200 km auf: Team Seidel in zweiter Position, das Wohnmobil hinter uns. Beim Vignettenkauf in Nickelsdorf konnte ich Seidel ausbremsen, weil er die langsamere Kassa erwischt hatte. Mit den Worten „Ha, junger Mann, Pech gehabt! So werden Rennen entschieden!“, sprang ich ins Auto und ab. Der Triumph währte nur zwei Minuten. Die Politesse im Niemandsland sagte: „Sie wurden mit Tempo achtzig in der sechziger Zone gestoppt. Der Strafrahmen beträgt 35 Euro. Ich kann Ihnen zwanzig Euro anbieten.“ Man merkt: Wir nähern uns dem Balkan.

Was für ein Rennen! Und hat noch kaum begonnen. Wie soll das weitergehen? In diesem Fall muss ich an das Schwestermagazin „autorevue“ verweisen, was ein böser Fall von Cliffhanger ist, aber echt weiterlesenswert!

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