Autodrom: David Staretz

Autodrom: David Staretz Sterne Albaniens

Sterne Albaniens

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Die Geschäftsglocke klingelte. Ein junger Fotograf schaute im Kontor vorbei, Matthias Aschauer. Er brachte hektografierte Fotos mit, die ich sofort als künstlerisch erkannte. (Natürlich waren sie nicht hektografiert, aber ich mag die Vorstellung von flugblatttauglichem Matrizendruck, und irgendwie sahen die Fotos, frei von Sättigung, Schattierung und Tiefe, halt so aus.)

Die Fotos zeigten durchwegs Autos der Marke Mercedes in karger Landschaft. Sehr reduziert das alles und auf eigentümliche Weise so stimmig, dass mir erst später auffiel: Schwarz-Weiß-Fotografie!

Matthias erzählte, dass es sich um Fotos aus Albanien handle, dem Land mit der höchsten Mercedes-pro-Einwohner-Dichte der Welt. Das und der Titelvorschlag, "Sterne Albaniens“, gefielen mir.

Ich erbat Bedenkzeit. Mein Geschäft heißt Kontor Staretz, Texte, Maschinen. Insofern hatte er genau den Richtigen gefunden. Ich telefonierte noch einige Male mit Rainer Iglar, dem Chef des Fotohof Salzburg, einer umtriebigen Organisation, die sich extraschwieriger Fälle wie Bücher über Mercedes in Albanien annimmt.

Denn, so stellte sich heraus, Iglar selbst hatte mir den jungen Mann vorbeigeschickt, nachdem ich schon einmal an einem brotlosen Projekt mitgeholfen hatte, dem Buch "Stock Car“ von Markus Krottendorfer. Auch damals war ein im Grunde opulentes Thema eher frugal abgehandelt worden, auf überhöhte, künstlerische Weise. Ich hatte mich damals bemüßigt gefühlt, diese optische Zurückhaltung mit einem dick aufgetragenen Text über die österreichische Autocrash-Szene aufzufetten. Immerhin, das Buch ist noch im Handel.

Waren Stock Cars in England noch ein ergiebiges Grundthema, so stellte sich beim mehrmaligen Durchblättern der achtzig Mercedes-Fotos ein gewisses Ennui ein; gepflegte Langeweile der zartbitteren Sorte, und ich begann zu schreiben: Keine andere Marke hat je diese Spreizung zwischen Nützlichkeit und Prestigewert, zwischen Verlässlichkeit und Angeberei, zwischen Langlebigkeit und Mode erreicht, zwischen Seriosität und Zwielicht, zwischen Gemeinplatz und Exklusivität, zwischen Alleinstellung und Massenware - und alles mündet in ein geschlossenes Wertesystem, welches sich aus dem Prinzip Mercedes speist. Sichtbare Attribute: Große Limousine, vier Türen. Massive Scheinwerfer. Aufrechter Kühlergrill, verchromt. Die Silhouette, klassisch: Vorne der Motor, in der Mitte das Gehäuse mit vier soliden Türen, hinten der Kofferraum. Großer Kofferraum! Rundum massive Kanten, als hätte sich der harte Karosseriestahl nur unwillig, nur von den stärksten Sindelfinger Pressen, biegen lassen …

In kürzester Zeit hatte ich mich der Stimmung der Fotos angepasst, ich sah förmlich, wie mein karger Text von rumpelnden Matrizendruckern abgezogen wurde.

Weiter unten brach dann doch das Journalistische in mir durch, und ich berichtete über den albanischen Transportminister, der an der griechischen Grenze aus einem gestohlen gemeldeten 350 S geholt worden war. Er wollte an einem Kongress über Grenzsicherung teilnehmen.

Seit 1988, als ich das erste Mal in einem kleinen Zeitfenster der touristischen Öffnung in das Land gelangte, habe ich eine spezielle Liebe für diese seltsam spröde, bitterschöne und archaische Landschaft. Damals, in den Nachwehen der Enver-Hoxha-Epoche, zupfte mich ein kleiner Junge am Ärmel: "Pssst! Show you church!“, und er führte mich zu einer als Lagerraum genützten Räumlichkeit, die möglicherweise einst und möglicherweise heimlich dann, als Religion verboten war, als Bethaus benützt wurde. Auf naive Weise genoss ich die Abwesenheit von Jeans und Cola auf dieser Zeitreise. Weniger glücklich war das Ehepaar aus Wien 1, dessen Gepäckstücke beim Zwischenstopp in Budapest verloren gegangen waren. Es gab absolut NICHTS zu kaufen, und unsere kleine internationale Reisegruppe wurde täglich Zeuge der tapferen Contenance, mit der die älteren Herrschaften Wäsche und Würde bewahrten. Es gab ja nicht einmal Strumpfhosen, Föhn oder Zahnbürsten.

Den zweiten Albanien-Besuch, einen Kurztrip, machte ich vor vier Jahren, nachdem ich im "New Yorker“ einen tollen Artikel über Edi Rama, damals Bürgermeister von Tirana, gelesen hatte. Edi Rama, einst Sprössling der Nomenklatur und mit einem Frankreich-Stipendium ausgestattet, brachte den abstrakten Expressionismus nach Albanien und ein Saxofon. Somit ging er in den Untergrund, in die gefährliche Opposition, bis ihn Zeiten und Wenden an das höchste Amt der Hauptstadt beförderten. Erste Maßnahme: Er ließ zahlreiche Plattenbauten anmalen in Mustern des abstrakten Expressionismus. Als ich später in einer Wiener Ausstellung die Skizzenbücher von Louise Bourgeois sah, erkannte ich Motive wieder. Heute ist Edi Rama Oppositionsführer; das Bunt-Anstreichen von Wohnblocks hat sich inzwischen über die Städte des ganzen Landes verbreitet.

Reisetipp Albanien: Lassen Sie Ihren Mercedes getrost unversperrt. Die haben genug davon.

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