Jubiläum: Ferrari - Hysterie für alle

Auto-Jubiläum: Hysterie für alle

Der Italo-Mythos feiert sein 60-jähriges Bestehen

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Als Gegenentwurf zum Tagesgeschehen besetzt Ferrari den Außenposten des Unerhörten, eröffnet selbst Führerscheinlosen das Fräsen durch die Sommernacht der Fantasie.

Besser noch: Das absolut Verbotene, nur Erwählten Vorbehaltene, erweist sich als gegenständlich – also doch irgendwie vorstellbar. Wir hören Geschichten von redlichen Postbotinnen, die alles hingaben für ihren Traum.

Bei Ferrari hört sich das tägliche Feilschen um Verbrauch, Abgas und Umweltverträglichkeit auf; selbst Autoverweigerer pardonieren Ferrari als eine Art gegenstandslosen Mythos, der in der Peripherie von Museen, Owner-Clubs, Vintage-Races sowie auf den üblichen In-Plätzen der schönen reichen Welt ausgelagert ist. Der größte geschlossene Markenanteil befindet sich übrigens in den USA.

Mythos, Legende, das sind so unerträgliche Begriffe, meist von Marketingabteilungen missbraucht. Das Wunderbare an einem Ferrari ist, dass er, sobald er konkret vor dir steht, sofort zur Entfaltung antritt. Es genügt meist, ihn anzuschauen, und den Wahrheitsbeweis liefert er, sobald man den Motor startet – Orchestrierung auf den Nervensträngen. Noch ist man keinen Meter gefahren.

Wie kaum eine andere Marke hat Ferrari die extreme Grätsche zwischen Bewahrung und technischer Avantgarde, zwischen Straßentauglichkeit und Rennsport, zwischen Traum und Weltlichkeit beherrscht. Und sie machen richtig Cash daraus, samt Souvenirs und Rucksack und Nachttischlampe „Schumi“.

Das war nicht immer so, und Enzo Ferrari, Jahrgang 1898 (er starb mit 90 Jahren), musste seine Marke zur Hälfte an Fiat verkaufen, um die Produktion der Modelle 206 GT und Dino 246 GT zu ermöglichen (die dann auch den finanziellen Durchbruch bewirkten). Das war 1969.

Sein einschneidendes Erlebnis muss der Schlossersohn aus den Bergen der Emilia Romagna aber schon 1956 gehabt haben, als sein Sohn Alfredo („Dino“) an Nierenversagen starb. Man sagt, er sei nie wirklich darüber hinweggekommen. Er schrieb: „Wahre Liebe kann sich nie zwischen Mann und Frau ereignen, da sie von Sexualität überlagert wird. Wahre Liebe gibt es nur zwischen Vater und Sohn.“

Man sprach auch oft über Ferraris väterliches Verhältnis zu Niki Lauda und seinen tiefen Ingrimm über dessen „Verrat“, als er Ferrari für Brabham verließ, nachdem er zweimal Weltmeister geworden war.

Einmal, bei einem Pressetermin beim damaligen „Kronprinz“ Luca di Montezemolo in Maranello, wurde ich in ein Wartezimmer geladen, wo ich mich freute, ein schwarz-weißes Jugendfoto von Niki Lauda zu entdecken. Erst beim genauen Hinschauen wurde mir klar, dass es sich um ein Porträt von Dino handelte. Verblüffende Ähnlichkeit.

Ferrari, von dem kein verbindliches Geburtsdatum überliefert ist (es dauerte wetterbedingt einige Tage, bis die Niederkunft im Kreisamt gemeldet werden konnte), ist praktisch entlang der Erfolgslinie des Verbrennungsmotors aufgewachsen, er befand sich technisch also immer am Atem der Zeit, was ihn befähigte, mit dem, was er bei seinem Vater gelernt und sich selber angeeignet hatte, Motoren zu verbessern. Dies führte zu einem eigenen Rennwagen und ersten Erfolgen, die schließlich zu einer Einstellung als Werksfahrer bei Alfa Romeo führte, wonach er ehrenvolle Siege heimbrachte. Er war ein erstklassiger Fahrer, erwies sich aber auch als Organisationstalent, als er (unter dem Alfa-Mantel) die „Scuderia Ferrari“ zusammenstellte, aus der er sich, nun stellvertretender Sportchef bei Alfa, als aktiver Fahrer zurückzog.

1939 machte sich Ferrari, von Auflagen geknebelt, mit seiner Scuderia selbstständig, verließ Alfa Romeo, verließ seine kriegszerbombten Werksräume von Modena, um sich im nahen Maranello anzusiedeln. Hier, in den neuen Hallen, entstand der erste Ferrari: Der 125 S, ein Monoposto, betrieben von einem Zwölfzylinder mit 1,5 l Hubraum und 90 PS. Schon dieser 1500-ccm-Motor, vom Alfa-Ingenieur Gioacchino Colombo entworfen und gebaut, gab die Richtung für künftige Ferrari-Triebwerke vor: drehzahlscharfe Zwölfzylinder mit Brennräumen so klein wie Moccaschalen, feinziselierte Technik am Rande der Hysterie. Als der Colombo-Motor sich nicht recht weiterentwickelte (für GP-Rennen hätte er einen Turbolader benötigt, was aber nie richtig funktionierte), holte der Commentatore, schon typisch Ferrari, eine verschärfende Konkurrenz ins Haus: Gino Lampredi, der den „großen“ V12-Motor ins Rennen bringt. Zwei Motoren im Haus, bei einer Serienproduktion von lediglich 33 Stück pro Jahr.

Ferrari gewinnt 1949 das erste Mal in Le Mans (und sollte es von 1960 bis 1965 sechsmal in Serie gewinnen, zuletzt dank Jochen Rindt auf 250 LM).

1952, im zweiten Formel-1-Jahr überhaupt, gewann Ferrari seine erste Weltmeisterschaft. Ascari, Farina und Taruffi belegten die ersten drei Plätze. Das Team schaffte 120,5 Punkte, alle anderen zusammen 70,5 Punkte. Ferrari konnte sich früh an Überlegenheit gewöhnen – die man aber jahrelang nicht mehr erreichte. In den frühen siebziger Jahren ließ man aus Kostengründen sogar einzelne GP-Rennen aus, weil Arturo Merzario bestenfalls für siebente Plätze gut war.

Dann kam Niki Lauda. Schon sein Einstandsrennen in Buenos Aires beendete er als Zweiter. Den vierten Lauf (Jarama) gewann er bereits, der Rest ist Geschichte. Es folgte die Ära Berger, der Ferrari fünf F-1-Siege bescherte, immerhin die Hälfte von allen. Der Rest ist Schumi (72 Siege für Ferrari, sechs Weltmeisterschaften en suite). Teamchef Jean Todt wurde gerade zum Generaldirektor ernannt.

Mit dem Tode Enzos im Jahr 1988 brach der totale Ferrari-Hype los, die Preise für Sammlerstücke stiegen in ungeheure Dimensionen (50 Millionen Schilling für einen GTO, wobei dies nicht einmal Niki Laudas Privatwagen war, den er in einem schwachen Moment schmerzhaft billig verkaufte, um dreißig Millionen Schilling zu billig, wie „Autorevue“-Autor Philipp Waldeck weiß.

Abgesehen von den wunderbaren Sammlerstücken, die aus der segensreichen Verbindung Ferraris mit dem Haus Pininfarina hervorgangen sind, abgesehen von Perserteppichparkern wie dem Enzo, ein 660-PS-Denkmal für handverlesene Supersammler, zählt für mich der aktuelle, ausgeräumte, extrascharfe, rennsportnahe Typ 360 Challenge Stradale zum Kernstück dessen, was man vom angewandten Ferrari-Fahren zu erwarten hat.

Rennsportlich inspiriert und reduziert, waren Modelle wie der 166 oder 250 GT, besonders der GTO oder der F40, spartanisch und entschlackt zugunsten eines idealen Leistungsgewichtes. In den frühen Neunzigern tauchte aber dieser Mehrwert-Gedanke auf – dass ein Ferrari auch Komfortansprüchen gerecht werden und Platz für Golfbags bieten müsse. Dies Umdenken bescherte uns Polstermöbel wie den 456 GT und den 550 Maranello (heute 575 M Maranello), den F355 und zuletzt den 360 Modena.

Jetzt ist bei Ferrari wieder eine Phase der Besinnung eingetreten, man sehnt sich nach puristischen Fahrmaschinen, was sich an F50 und Enzo erkennen lässt, oder nach reiner Schönheit, wie der 612 Scaglietti verdeutlicht. (Scaglietti war ein gefeierter Ferrari-Karosseur, ihm zur Ehre hat Pininfarina das Auto modelliert.)

Am überzeugendsten erscheint mir in allen Disziplinen der 360 Challenge Stradale. Wie kaum ein anderes Straßenauto erfrischt er mit reduziertester Ausstattung (kein Klima, keine Musik außer jener vom Auspuff) und überzeugt mit echtem Rennsport-Setup.

Beim ersten Hochbeschleunigen klingt es, als wäre der Auspuff einfach weggeflogen. Unglaublich, was man einer Lärmquelle alles zu verzeihen bereit ist, wenn sie vom Zuhörer selber produziert wird und mit solch wunderbarer Klangmodulation trompetet, raunt und röchelt.

Der Stradale-Sound hat Konzertcharakter. Italian Rap-sody. Es geht nicht schöner. Dabei dachte ich immer, dem grundsätzlich kranken Klangbild eines V8-Motors ist nicht zu helfen.

Aber das ist bloß Beiwerk. Denn auf Seite eins im Lastenheft der Techniker stand gleich links oben: Der Stradale muss den hauseigenen Parcours in Fiorano um drei Sekunden schneller umrunden als der Modena. Also ca. 1 min 30 sec für drei Kilometer Speed-Geschlängel. Persönliches Eingeständnis: Ich konnte diesen Beweis nicht liefern. Ich war hier schon vor Jahren einmal von der Strecke geflogen, die Italiener merken sich so was.

Die F1-Schaltung, das Ding bei Ferrari und nirgendwo anders so Playstation-knapp, wurde auf Schaltpausen von 115 Millisekunden reduziert, sofern man den Race-Modus eingedrückt hat. In diesem Setting kann man auch den elektronischen Optimalstart abrufen – tolle Sache, aber nix für immer, man fühlt sich dabei zu sehr aus der Kanone geschossen. Aber das Schalten mit den flotten Paddles hinterm Lenkrad ist das pure Vergnügen. Rechts rauf, links runter.

Die Geschwindigkeit, also die Art, wie der Stradale Geschwindigkeit erzielt, ist eine Art Psychomagnetismus, so was wie die Angst vorm leeren Raum, wie sie Maler manchmal befällt, und dann müssen sie lauter Vögel in den Himmel praktizieren. Im Falle des Ferrari-Fahrers ist es die Lust der leeren Straße. Man kann sich ihrem Sog nicht entziehen, man muss sie absorbieren, vorne wegsaugen und hinten wieder rausproduzieren aus dieser wunderbaren Tempofabrikationsmaschine.

Bei aller virtuellen Abgehobenheit herrscht doch Vernunft in der Shift-Paddle-Schaltung, die bei 8500 Touren gnadenhalber hochschaltet, weil du dich selber nicht überwinden konntest, diesen bedingungslosen Soundfaden abzureißen, und das Runterschalten greift noch bei sechstausend Touren, man knöpft den Stradale also bei sechstausend Touren in den zweiten Gang runter, mutwillig, ein reines Geschenk ans Ohr, weil es immer mehr von diesem Klang haben will, wahrscheinlich wegen einsetzender Ertaubung.

Den schönsten Ferrari-Moment erlebte ich aber im Schritttempo, als ich mit einem BB 512, dem letzten einer aussterbenden Gattung von Zwölfzylinder-Boxermotoren, über das Kopfsteinpflaster der Brünner Altstadt stöckelte, und ein hagerer alter Mann, der an der Busstation saß, erhob sich im Angesicht des Wagens, lüftete den Hut und setzte sich wieder mit so einer noblen Art von Respekt, dass mir plötzlich einiges klar wurde über das reine Wesen Ferrari.