Autodrom: David Staretz

Autodrom: David Staretz Vom Beileiden

Vom Beileiden

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Beifahrer, Beifahrerinnen. Mitfahrer, Passagiere, beförderte Personen. Selten wird ihnen das Lied gesungen. Dabei haben sie von Beginn der Automobilität an treu ihren Posten gehalten, auf dem Todessitz, wie er mit gruseliger Verachtung genannt wird, ausgeliefert den zweifelhaften Künsten eines mit Unberechenbarkeit ausgestatteten Menschen am Steuer, in dessen Hand- und Fußzuckungen sie ihr Schicksal legen, nichts weniger als das.
Von Beginn an hatten die Beifahrer schlechte Zeiten, wie schon in den Pionierjahren vor 1896, als es, wie im „Locomotive Act“ verordnet, auf den Britischen Inseln verboten war, schneller als vier Meilen pro Stunde (etwa 6,5 km/h) zu fahren. Zwanzig Meter vor jedem Auto musste ein Fußgänger mit einer roten Fahne vorauslaufen, um vor der Annäherung des gefährlichen Fahrzeugs zu warnen.
Die ersten Beifahrer waren also Vorläufer, könnte man ­sagen. Auch heute ist dieses Gesetz noch nicht ganz vom Tisch. In der 20.000-Einwohner-Stadt Waynesboro (Virginia) ist ­immer noch eine Verordnung wirksam, wonach eine Frau mit dem Auto nicht auf der Hauptstraße fahren darf, es sei denn, ihr Gatte läuft voraus und schwenkt zur Warnung eine rote Flagge. Frage: Verletzt dies nun eher die Eitelkeit des Mannes oder die der Frau?
Immerhin war Bertha Benz die erste Person, die eine nennenswerte Überlandfahrt mit dem Auto absolvierte. Als Passagiere mit dabei: ihre beiden halbwüchsigen Söhne. Zuvor war sie (neben Carl Benz’ Teilhaber Max Rose) aber gewiss die erste tapfere Beifahrerin gewesen auf kurzen Erprobungsfahrten ihres Mannes mit dem Benz-Dreirad.
Später, als der Automobilismus ins tollkühne Fach strebte, hieß der Beifahrer Schmiermaxe. Das war die euphemistische Übersetzung des englischen Greasemonkey, womit die artistische Tätigkeit des sportlichen Beifahrers, der während donnernder Fahrt mit der Ölkanne hantierte, das Gewicht in die Kurve legte und sich sonst an einem dürftigen, aber exponierten Sitz festklammerte, eindrücklich beschrieben ist.

Inzwischen ist der Beifahrer zum reinen Passagier verkommen, zum Lebendgewicht, dem man nicht einmal mehr die Landkarte in die Hand drückt, weil das Navigationssystem alles viel besser kann. Schließlich wird man nicht einmal statistisch für voll genommen: 1,37 Personen gelten als gängige Besetzungsmenge im Auto.
Ihren trotzigen Rest von Selbstbewusstsein verpacken Passagiere in die Formulierung: „Ich bin ein schlechter Beifahrer“, was so viel bedeutet wie: „Natürlich wäre ja ich der bessere Autofahrer, denn ich erkenne Gefahrensituationen früher als diese Person am Steuer, leide dementsprechend wie ein Schwein.“ Also neigt der lebensbejahende Beifahrer dazu, aggressive Fahrer psychologisch zu sedieren, sie in unverfängliche Gespräche über die Familie daheim, über die Schönheiten der Natur, die Beschaulichkeit der Wolkenschiffe zu verwickeln, in der Hoffnung, dass die nächste Linkskurve ausnahmsweise nicht geschnitten, die nächste Rechtskurve nicht mit quietschenden Reifen absolviert wird. Irgendwann ist man sogar bereit, sich über zähen Verkehr zu freuen.
Man kann es freilich auch cool angehen, vor allem wenn man sich gerade in einer Filmszene befindet. Einen leisen ­Fatalismus vermag man aus Jake Blues’ (John Belushi) knappem Kommentar im Film „Blues Brothers“ herauszuhören.

Elwood: „It’s 106 miles to Chicago, we got a full tank of gas, half a pack of cigarettes, it’s dark and we’re wearing sunglasses.“
Jake: „Hit it.“

Dem wäre nichts mehr hinzuzufügen.
Denn die Beifahrer der Zukunft sind elektronisch, werfen keine Zigarettenanzünder aus dem fahrenden Auto, sondern schieben uns eine symbolische Kaffeetasse ins Display, wenn sie merken, dass wir zu ermüden drohen, oder sie blicken uns mit der Mimikry eines E. T. traurig oder fröhlich an, wie es AIDA (Affective Intelligent Driving Agent), das am MIT entwickelte Zukunftsmodell von Audi, bereits vorführt. Der kleine Rappelkopf klettert wie Jack in the box aus der Armaturenkiste, unterhält den Fahrer völlig furchtlos und studiert dabei seine Eigenheiten, Alltagswege und Vorlieben so lange, bis er ihm genau das vorschlagen und raten kann, was der Fahrer ohnehin am liebsten tut.
Liebe Beifahrer und Beifahrerinnen, seid erleichtert: Eure Stunden sind gezählt. Denn ehrlich gesagt: Statistisch wart ihr ohnehin nur eine 0,37.