Autoindustrie: Carlos Ghosn, Berufsretter

Autoindustrie: Berufsretter

Jetzt soll er auch noch General Motors helfen

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Die Gulfstream G550 ist immer startklar. Voll getankt mit fast 18 Tonnen Kerosin, steht der Renault-Firmenjet praktisch rund um die Uhr bereit, Konzernboss Carlos Ghosn, mitunter begleitet von ein paar seiner engsten Mitarbeiter, binnen weniger Minuten auf die Reise zu bringen – zu Verhandlungen mit Lieferanten, Meetings mit Regionalmanagern oder Repräsentationsterminen auf Automessen.

Zweimal im Monat gerät die G550 knapp an ihre Leistungsgrenze. Dann nämlich, wenn Ghosn zu seinem zweiten Arbeitsplatz nach Tokio reist. Die Flugstrecke Paris–Tokio ist mit einer Länge von 6207 Meilen nämlich nur knapp unter der Maximalreichweite der Gulfstream-Maschine.

Künftig dürfte im Logbuch des Jets wohl auch eine Westroute häufig eingetragen werden: jene nach Detroit. Die Stadt im US-Bundesstaat Michigan ist die Konzernzentrale des weltgrößten Autoherstellers General Motors (GM). Wie die Dinge derzeit stehen, könnte der 52-jährige Carlos Ghosn neben seinen Führungsfunktionen bei Renault und Nissan auch dort bald das Sagen haben.

Freitag vorvergangener Woche trafen Ghosn und GM-Boss Rick Wagoner in Detroit zu einem ersten Sondierungsgespräch zusammen. Auf Betreiben des größten Einzelaktionärs von General Motors, Kirk Kerkorian (siehe Kasten), soll nun ernsthaft über eine Allianz verhandelt werden. Wahrscheinlichstes Szenario: Die beiden miteinander verschränkten Konzerne Renault und Nissan übernehmen jeweils zehn Prozent an GM. Gemeinsam mit Initiator Kerkorian hätten sie dann nahezu 30 Prozent und eine nicht ganz unrealistische Chance, auch tatsächlich Veränderungen herbeiführen zu können. Ghosns knapper Kommentar nach der Zusammenkunft: „Wenn ich nicht optimistisch wäre, würde ich nicht hier sein.“

Optimismus gut und schön. Bei General Motors sind allerdings handfeste Taten gefordert. Die elf Konzernmarken Buick, Cadillac, Chevrolet, GMC, Hummer, Opel, Pontiac, Saab, Saturn, Holden und Vauxhall haben sich zuletzt eher schwindender Beliebtheit erfreut. Vor allem im Heimmarkt USA setzte es herbe Einbußen. Seit 1980 ist der Marktanteil dort von 44 auf 24,6 Prozent gesunken. Die Personalkosten sind erdrückend hoch: 325.000 Mitarbeiter sind nach Angaben von Konzernchef Rick Wagoner zumindest um 35.000 zu viel. Die sollen nun zwar durch Umstrukturierungen, Auslagerungen und Kündigungen abgebaut werden, aber auch das wird Geld kosten. Zudem gibt es 1,1 Millionen aktive und ehemalige Beschäftigte samt Familien, für die das Unternehmen vertraglich zugesichert jährlich Milliarden an Pensionen und Krankenversicherung bezahlen muss. Auch hier steht man bei Kürzungen erst am Anfang. Hohe Kosten und schwache Verkaufszahlen finden naturgemäß auch in der Bilanz ihren unerfreulichen Niederschlag: Im Vorjahr verzeichnete General Motors einen Verlust von umgerechnet 8,5 Milliarden Euro.

Zweifelhaftes Rezept. Wie die nun angedachte Allianz mit Renault und Nissan helfen soll, diese seit Jahren schwelenden Probleme zu bewältigen, bleibt jedenfalls fraglich.

Synergien gibt es freilich: Durch die Zusammenlegung von Fertigungsanlagen und die gemeinsame Schaffung von Werken lassen sich Kosten sparen. Die drei Partner würden die drei wichtigsten Kontinente abdecken: Nissan Asien, General Motors die USA und Renault Europa. Bei den europäischen Töchtern Opel und Saab ringt GM immer noch mit schlecht ausgelasteten und damit zu teuren Fabriken. Renault wiederum ist in den USA so gut wie überhaupt nicht präsent und könnte GM-Ressourcen nützen.

Andererseits spricht aber auch einiges gegen eine Verschränkung: Renault durchläuft derzeit selbst einen Restrukturierungsprozess. Die Produktpaletten überlagern sich in wesentlichen Segmenten deutlich. Nicht zuletzt sind die Unternehmenskulturen der drei Konzerne sehr unterschiedlich. Das Beispiel der 1998 fusionierten Unternehmen Daimler (Deutschland) und Chrysler (USA) hat nur zu gut gezeigt, welche Reibungsverluste bei solchen Zusammenschlüssen entstehen können.

Bewährungsprobe. Doch im Umgang mit derartigen Problemen hat Carlos Ghosn Erfahrung. Nachdem er unter der Führung von Konzernchef Louis Schweitzer bei Renault Mitte der neunziger Jahre ein rigoroses Kostensenkungs- und Effizienzsteigerungsprogramm durchgezogen hatte, mit dessen Hilfe das Unternehmen nach jahrelangen Verlusten 1997 wieder in die schwarzen Zahlen kam, entsandte ihn Schweitzer nach Tokio. Renault hatte sich gerade mit 44,4 Prozent bei Nissan eingekauft, die Japaner im Gegenzug mit 15 Prozent bei Renault. Und es war Carlos Ghosns Aufgabe, den angeschlagenen und mit 150 Milliarden Euro verschuldeten asiatischen Konzern zu sanieren.

Um das zu bewerkstelligen, musste Ghosn ziemlich radikal auch mit tief verwurzelten Traditionen brechen. In den fünfziger und sechziger Jahren hatten sich japanische Großkonzerne durch wechselseitige Beteiligungen regelrecht aneinander gekettet. „Keiretsu“ nannte sich das System, und es galt bis zu Ghosns Amtsantritt bei Nissan als Sakrileg, daran zu rütteln. Doch der Renault-Gesandte griff durch. Generalstabsmäßig präsentierte er in einem dreistündigen Vortrag seine Sanierungspläne. Dass diesem Vortrag höchst kritische Fragen folgen würden, war klar. Dass die Pläne, die unter anderem die Schließung mehrerer Werke und die Kündigung von 21.000 Mitarbeitern vorsahen, letztlich von Management und Investoren angenommen wurden, war hingegen doch überraschend.

Drei Jahre später war die Zahl der Produktionsplattformen von 24 auf zwölf halbiert, jene der Zulieferer von 1145 auf 600 gestutzt. Und das für 2002 definierte Ziel, eine Gewinnmarge von 4,5 Prozent zu erreichen, sogar übertroffen.

Das Gespür für fremde Kulturen und, damit verbunden, auch die kaum vorhandene Scheu, an Traditionen zu rütteln, waren Carlos Ghosn gewissermaßen schon in die Wiege gelegt. Geboren wurde er in Brasilien als Sohn eines Libanesen und einer Französin. Noch im Vorschulalter nahm ihn die Mutter mit in den Libanon, wo er die Grundschule besuchte. Später studierte er in Paris an der Eliteuniversität École Polytechnique. Schon vor seinem Abschluss erreichte ihn das erste Jobangebot: François Michelin, Chef des weltgrößten Reifenherstellers, rief ihn an und erklärte ihm, er suche einen Techniker mit französischer Erziehung und Portugiesischkenntnissen, um ihn als Manager der maroden Tochtergesellschaft in Südamerika aufzubauen. Bedenkzeit? Fehlanzeige. Noch im selben Telefonat sagte der junge Mann zu und begann während der Vorbereitungen auf die letzten Prüfungen, sich bei Michelin in Paris einzuarbeiten. Kaum zwei Jahre später war er Leiter eines 700-Mitarbeiter-Werkes, vier Jahre später wurde er zu seinem eigentlichen Sanierungsauftrag nach Rio de Janeiro entsandt. Dort saßen einander damals Brasilianer und Franzosen gegenüber, unwillig oder unfähig, die jeweils andere Seite zu verstehen. Ghosn gelang es in nur drei Jahren, die verlustreiche Michelin-Tochter in die Gewinnzone zu führen.

Simple Thesen. Als er später die Leitung des Nordamerika-Geschäfts für Michelin übernahm, wurde das Management von Renault auf ihn aufmerksam und holte ihn nach Paris, wo er von Vorstandschef Schweitzer sukzessive zu seinem Nachfolger an der Konzernspitze aufgebaut wurde.

Carlos Ghosn ist ein Manager, der seinen unbestreitbaren Erfolg auch gerne in simple Formeln fasst. „Mitarbeiter aller Ebenen haben selbst Lösungsvorschläge für Probleme“, lautet einer von ihnen: „Erst zuhören, dann denken.“ Der langjährige Renault-Manager und Ghosn-Kenner Patrick Faure meint ein anderes Detail seines Erfolgsgeheimnisses ausgemacht zu haben: „Er hat einfach ein System, wie sich Probleme schnell erkennen lassen. Alle Infos gehen per E-Mail direkt an ihn: bloße Information als normales Mail, Dinge, die man noch diskutieren muss, gelb eingefärbt und ernste Problemfälle, die seine sofortige Aufmerksamkeit brauchen, in Rot.“ Alain-Richard Schöneborn, Geschäftsführer von Renault Nissan Österreich, ergänzt: „Er fordert von allen Filialdirektoren, dass sie wie selbstständige Unternehmer agieren und nicht nur auf Anweisung von oben arbeiten.“

Thesen, wie sie auch von jedem anderen Manager stammen könnten und die allein wohl nicht das Erfolgsrezept von Carlos Ghosn sein können. Ferdinand Dudenhöffer, Professor an der Fachhochschule Gelsenkirchen und Leiter des Kfz-Prognoseinstitutes D&B Forecast, sieht in Ghosns bisheriger Karriere jedenfalls ein relativ klares Muster: „Er hat immer zuerst die Kosten und die Kapazitäten an den Markt angepasst und dann versucht, Preise neu zu verhandeln. Und er ist in der Analyse einfach sehr schnell.“ Einen „Sanierer aus Leidenschaft“ nennt ihn Dudenhöffer und könnte darin vielleicht auch den Grund dafür gefunden haben, warum sich Ghosn das Abenteuer GM tatsächlich antun könnte. Es mag schon sein, dass sich durch wechselseitige Nutzung von Fertigungskapazitäten und die gemeinsame Bearbeitung von Wachstumsmärkten wie China oder Indien Synergieeffekte erzielen lassen. Die wahren Probleme von GM löst das allerdings nicht. Carlos Ghosn hat bisher nur Sanierungsjobs gemacht. Er ist vor allem ein Zahlenmensch, dem nicht zu Unrecht Namen wie „Le Cost Killer“ verpasst werden. Ein normaler Führungsjob, wie er ihn im Vorjahr als Renault-Chef übernommen hat, dürfte weniger sein Ding sein.

Durch die Zusammenführung mit General Motors könnte – oder müsste – er hingegen wieder genau das tun, was er am besten beherrscht: Kosten senken und sanieren.

Von Martin Himmelbauer