Autoindustrie: Wirtschafts-Motor

Die Branchen rund um die KFZ-Produktion

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Als Carl Friedrich Benz der Weltöffentlichkeit 1886 das erste Automobil vorstellte, ahnte er wohl kaum, was dieser „Selbstbeweger“ eines Tages alles bewegen würde – nicht nur in Bezug auf den Transport von Menschen oder Gütern, sondern auch hinsichtlich der Entwicklung ganzer Ökonomiezweige. In Österreich scheint dies noch beinahe 100 Jahre später keineswegs wirklich klar gewesen zu sein. Lydia Ninz vom Automobilclub ARBÖ erinnert sich beispielsweise an harsche Kritik an Bruno Kreiskys Plänen, Automobilcluster und Zulieferbetriebe in Österreich anzusiedeln – dadurch, so die damalige Befürchtung, könnten auch internationale Wirtschaftskrisen das Land leichter erfassen.

Heute zählt der Automobilsektor längst zu Österreichs bedeutendsten Wirtschaftszweigen. „Man denke sich nur das Auto einmal weg“, meint Marcus Scheiblecker, Experte für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). „Das ist heute nicht ein-mal mehr rein rechnerisch möglich.“ Schließlich basieren nicht nur Spezialbetriebe der produzierenden Industrie auf dem Wirtschaftsfaktor Auto, sondern auch eine Vielzahl weiterer Branchen – von Tankstellen bis zu Werkstätten und Versicherungen. Die Grenzen zu anderen Branchen sind da mitunter fließend: So profitiert zum Beispiel das Bankenwesen von der Autofinanzierung durch Leasing oder Kredit.

Im Dienstleistungsbereich sind auch Fahrschulen und Autofahrerclubs von Bedeutung. ÖAMTC und ARBÖ betreuen mit insgesamt 3300 Mitarbeitern rund zwei Millionen Mitglieder. Und in Österreichs Fahrschulen bemühen sich jährlich 93.000 Kandidaten um die Lizenz zum Fahren. Norbert Hausherr, Obmann des Fachverbandes der Fahrschulen Österreichs, schätzt den Umsatz in Österreich auf mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr. Vor genau 90 Jahren nahm das „Erste Wiener Autopraktikum“ in Wien-Hernals den Unterrichtsbetrieb auf – heute beschäftigen die Fahrschulen rund 2000 Mitarbeiter.

Faktor Handel. Als Herz der Branche gelten freilich andere Wirtschaftszweige. Branchenkenner beziffern den „harten Kern“ der direkt ans Auto gebundenen Bereiche mit etwa 250.000 Arbeitsplätzen und einem Jahresumsatz von 42 Milliarden Euro. Das größte Segment bestreitet hier der Handel mitsamt dem Autozubehör: 18,5 Milliarden Euro wurden im Vorjahr im Autohandel umgesetzt, exakt 2777 Unternehmen beschäftigen in diesem Bereich knapp 43.000 Mitarbeiter.

Als aktuelle Entwicklung im Kraftfahrzeughandel beobachten Experten derzeit eine Umstrukturierung der Händlernetzwerke. Autokonzerne würden zunehmend Wert auf eine straffe und überschaubare Händlerszene legen, berichtet Christian Heiss, Berater in der Global Automotive Group der Unternehmensberatung A. T. Kearney Management Consultants. Deshalb gehe es darum, so Heiss, dass die Händler eine so genannte „mindestkritische Größe erreichen“. Diese sei gegeben, wenn ein Händler etwa 450 Fahrzeuge pro Jahr verkaufe. Die Vorgabe sei eine Herausforderung vor allem für kleinere Händler, die jetzt beispielsweise in einen zweiten Schauraum investieren müssten, wenn sie mehrere Marken vertreiben möchten.

Von den knapp 18,5 Milliarden Euro Umsatz im Autohandel 2003 entfielen 2,28 Milliarden auf den Verkauf von Zubehörteilen aller Art. In diesem Bereich ist die Wiener Forstinger Handel und Service GmbH mit mehr als einem Drittel Marktanteil führend. Auf Platz zwei findet sich in diesem Segment die Birner GmbH aus Perchtoldsdorf, die mit originalen Markenersatzteilen für Kraftfahrzeuge bei zehn Prozent Marktanteil hält.

Kontinuierliches Wachstum. Die meiste Beachtung erfahren freilich im Regelfall all jene Unternehmen, welche die verschiedensten Komponenten an die Automobilindustrie zuliefern. In diesem Branchensegment finden in Österreich etwa 28.500 Menschen Arbeit. Die rund 230 auf diesen Bereich spezialisierten Unternehmen setzen an die neun Milliarden Euro pro Jahr um – im Vergleich zu 1995 stellt dies immerhin eine Verdoppelung der Umsätze dar.

Die Branchenführer dürfen als bekannte Größen gelten: die Magna Steyr AG, die mit 9500 Mitarbeitern an 15 Standorten rund 2,5 Milliarden Euro erwirtschaftet, die BMW Group Österreich AG, die Opel-Austria-Gruppe, die MAN Steyr AG sowie der Grazer Motorenspezialist AVL List GmbH.

Magna-Gründer Frank Stronach sieht für seinen Konzern im Bereich des Zusammenbaus der Autos zwar schon eine „optimale Größe erreicht“, in der Entwicklung und Herstellung ausgefeilter technischer Produkte bestehe jedoch noch Spielraum. Deshalb kündigte Stronach an, in den kommenden Jahren weitere Werke eröffnen zu wollen. Ein detaillierter Zeitplan stehe allerdings noch nicht fest.

Neue Infrastrukturen. BMW und Opel indes haben schon konkrete Schritte bei der Realisierung neuer Produktionsstätten gesetzt. Die BMW Group Österreich beispielsweise hat Anfang Juli in Steyr um Investitionskosten von 500 Millionen Euro die siebte und bislang größte Ausbaustufe in Betrieb genommen. Vor 25 Jahren hat BMW in Steyr das erste Motorenwerk eröffnet und bislang mehr als 7,8 Millionen Motoren gebaut. Nun will man sich verstärkt auf den neuen Sechszylindermotor konzentrieren.

Auch die Nummer drei am Markt, Opel Austria, setzte jüngst Schwerpunkte auf neue Fertigungsinfrastrukturen. Ende Juni eröffnete die unter der Bezeichnung Opel Austria Powertrain firmierende Produktion das neue Sechsganggetriebe-Werk in Wien-Aspern. Rund 800 Mitarbeiter finden in dem 380 Millionen Euro teuren Betrieb Beschäftigung. Im Jahr 2006, so jedenfalls die Prognose von Opel, soll die volle Produktionskapazität von jährlich 800.000 Autos für General Motors und Fiat erreicht sein.

Doch nicht nur in der direkten Fertigungsindustrie haben zahlreiche österreichische Zulieferbetriebe ansehnliche Marktpositionen erobert, sondern auch in mehreren nachgelagerten Segmenten. Auf den Bereich der textilen Innenausstattung ist beispielsweise die Eybl International AG spezialisiert, die im Geschäftsjahr 2003/04 ihren Umsatz gegenüber dem Jahr zuvor um fast 40 Millionen Euro auf 342,2 Millionen Euro steigern konnte. Die rund 3900 Mitarbeiter des Unternehmens mit Sitz im niederösterreichischen Krems fertigen und konfektionieren Textilien und Materialien wie Leder für Sitze und Innenverkleidungen.

High-Tech-Komponenten. Auch Unternehmen, die zunächst kaum mit der Automobilbranche assoziiert werden, liefern teilweise entscheidende Komponenten zu – etwa der Chiphersteller Infineon Technologies Austria AG mit Sitz in Villach. Branchenbeobachter wie Lydia Ninz vom ARBÖ geraten angesichts der dortigen Entwicklungsarbeit regelrecht ins Schwärmen. „Faszinierend, was hier passiert“, meint Ninz. „Da steckt wirklich viel österreichisches Gehirnschmalz drinnen.“

Heute enthält – rein statistisch betrachtet – jedes Auto 20 Chips von Infineon. Nun wurde im Juni der Startschuss für ein neues Villacher Forschungszentrum für Automobil- und Industrieelektronik gegeben. 270 Mitarbeiter sollen in dem um 7,7 Millionen Euro errichteten Zentrum tätig sein. In den vergangenen Monaten wurde bereits der Bereich der Industrieelektronik, das so genannte „Power Management & Supply“, von München nach Villach verlagert. Für Infineon-Vorstandssprecherin Monika Kircher-Kohl war „die steuerliche Begünstigung von Forschungsausgaben der entscheidende Wettbewerbsfaktor“.

All die intensivierten Aktivitäten der Zulieferer haben freilich gute Gründe. Denn Experten konstatieren eine Art Strukturwandel bei der Aufgabenverteilung zwischen traditioneller Autoproduktion und Zulieferbetrieben: Letztere fertigen immer mehr Komponenten, während sich die klassischen Autoproduzenten verstärkt auf Marketing und Design konzentrieren. Einer in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ veröffentlichten Berechnung zufolge werden im Jahr 2010 drei Viertel eines durchschnittlichen Fahrzeuges aus den Werkstätten der Zulieferer stammen, was im Schnitt 62 Prozent des Fahrzeugpreises entspreche.

Strukturwandel. Auch die international tätige Unternehmensberatung Mercer Management Consulting veröffentlichte kürzlich eine Studie über diesen Strukturwandel in der automobilen Wertschöpfungskette und kam zum Ergebnis, dass die Umsätze der Autozulieferer bis ins Jahr 2015 um fast 70 Prozent anwachsen werden. Marcus Einbock vom Institut für Transportwirtschaft und Logistik an der Wirtschaftsuniversität Wien verweist auf einen weiteren Trend. Die Autohersteller würden in immer stärkerem Maß mit den Lieferanten kooperieren, was keineswegs selbstverständlich sei. „Automobilhersteller und Lieferanten ziehen immer häufiger nicht nur an einem Strang, sondern am gleichen Ende“, glaubt Einbock. Diese Geisteshaltung lasse sich durchaus mit dem Schlagwort „Kooperation statt Konfrontation“ versinnbildlichen.

Viele Branchenvertreter selbst sehen die Situation freilich nicht ganz so positiv. Allgemein wird zumeist moniert, dass der Druck auf die Betriebe ständig wachse, Kostensenkungsprogramme zu realisieren und gleichzeitig Innovationen immer schneller voranzutreiben. In Bezug auf den Beschäftigtenstand sind schon seit langem deutliche Effizienzsteigerungen zu beobachten: Während sich der Umsatz der Branche im vergangenen Jahrzehnt verdoppelte, stieg die Zahl der darin tätigen Mitarbeiter bloß um 20 Prozent. Allerdings kommt das renommierte Center of Automotive Research (CAR) an der Fachhochschule Gelsenkirchen in einer Studie zum Schluss, dass ein Mangel an jungen, hoch qualifizierten Ingenieuren herrsche.

Kostendruck. Johannes Elsner, Vorstandssprecher der Eybl International AG, rechnet auch weiterhin mit stärkerem Druck: „In Zukunft ist generell von steigendem Kostendruck bei allen Marktteilnehmern in der Automobilindustrie auszugehen. Ein wirtschaftliches Überleben wird nur noch aufgrund der eigenen Innovationskraft und Kapitalstärke möglich sein.“

Eine wichtige Schnittstelle bei der Kooperation zwischen Lieferanten, Produzenten und Händlern stellen die Transport- und Logistikunternehmen dar. Die knapp 1000 Unternehmen dieses Sektors erwirtschafteten im Vorjahr mit fast 24.000 Mitarbeitern einen Umsatz von gut 6,5 Milliarden Euro. Der bedeutendste heimische Fahrzeuglogistiker ist dabei die oberösterreichische Spedition Hödlmayr International AG mit 45 Prozent Marktanteil in Österreich, die europaweit zu den zwölf dominierenden Anbietern zählt.

„Wir transportieren alles, was vier Räder hat“, formuliert Firmenchef Johannes Hödlmayr, dessen Unternehmen seit 1963 auf die Auslieferung fabriksneuer Autos spezialisiert ist. Hödlmayr International stellt heute in Österreich beinahe jeden zweiten Neuwagen zu und will mit Gesamtlösungen aus einer Hand punkten: „Wir begleiten die Fahrzeuge vom Ende des Fließbandes bis in den Schauraum“, erklärt Hödlmayr.

Sobald die Wagen den Schauraum schließlich verlassen haben und sich in Kundenbesitz befinden, beginnt das Betätigungsfeld weiterer Branchen des Automobilsektors: Mit Reparatur und Instandhaltung erwirtschaften in Österreich 3000 Unternehmen mit mehr als 26.000 Beschäftigten fast 3,6 Milliarden Euro Jahresumsatz. Ebenfalls vom Betrieb der Wagen profitiert das Tankstellennetz, das in Österreich von knapp 10.000 Beschäftigten betreut wird. Unangefochtener Branchenführer ist in dem knapp 1,7 Milliarden Euro schweren Segment die OMV AG mit rund 60 Prozent Marktanteil.

Verlustgeschäft. Und schließlich eröffnet sich für die Kfz-Versicherer durch den Betrieb der in Österreich mehr als vier Millionen zugelassenen Autos (Stand 2003) ein weites Geschäftsfeld, da sie neben der Haftpflichtversicherung auch maßgeschneiderte Zusatzpakete anbieten. Die 25 größten Unternehmen im Versicherungswesen konnten im Vorjahr fast 2,6 Milliarden Euro an Prämien lukrieren und hatten etwas über zwei Milliarden Euro an Leistungen auszuzahlen. Dennoch sind Kfz-Versicherungen noch immer ein Verlustgeschäft für die Versicherungen.

Mitunter scheint dieser Umstand auch die Kreativität mancher Branchenvertreter anzuspornen. So ließ vor einigen Wochen Norbert Griesmayr, Vorstand des kleinen Wiener Versicherers VAV AG, mit dem Vorschlag aufhorchen, Autoreparaturen ins nahe gelegene Ausland auszulagern und derart in den Genuss günstigerer Prämien zu kommen. Einer Gallup-Umfrage zufolge wäre ein Drittel der Österreicher dazu bereit.

Gregor Kozak vom Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs sieht in den VAV-Vorschlägen jedoch eine „Einzelmeinung“ und schätzt, dass die Versicherungen zwecks Kostendämpfung „eher auf Rabatte verzichten und bei der genauen Tarifeinstufung immer seltener ein Auge zudrücken werden“.