Georg Hoffmann-Ostenhof

Automobiler Patriotismus

Automobiler Patriotismus

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Ein wenig peinlich berührt fühlte ich mich, als die Wiener Autofahrer begannen, ihre Fahrzeuge patriotisch zu beflaggen. Es ist klar: Spätestens zu Beginn der Europa­meisterschaft werden Wien, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt in einem rot-weiß-roten Meer ertrinken. Mit Genuss und Zustimmung las ich die Zitatensammlung, die Günter Traxler kürzlich in seinem „Blattsalat“ im „Standard“ brachte: Wie treffend ist doch etwa das Bonmot von Oscar Wilde, wonach Patriotismus „die Tugend der Bosheit“ ist oder „die letzte Zuflucht des Strauchdiebes“, wie Samuel Johnson meint. So kritisch-ablehnend empfand ich die im Fahrtwind flatternden Österreich-Wimpel – bis mein eigen Fleisch und Blut, mein zehnjähriger Sohn Leon, mit aller Eindringlichkeit die rot-weiß-rote Beflaggung unseres Familienvans verlangte. Er ist ein glühender Patriot. Er sucht mit Regelmäßigkeit und Akribie nach jenen Lebensbereichen und Disziplinen, in denen Österreich an der Spitze steht, weint bitterlich, wenn unsere Kicker verlieren, und macht Luftsprünge, wenn sie einmal ins Tor treffen. Was haben wir bei seiner Erziehung falsch gemacht, frage ich mich.
Leons überwältigender Stolz auf Österreich ist freilich so eindeutig Teil seiner kindlichen Identitätssuche, dass sich mir eine tiefe Erkenntnis aufdrängt: Patriotismus wurzelt fest im Infantilen. Da können wir nur hoffen, dass das bei Leon vorübergeht. Was ist aber mit den Millionen anderen, die längst dem Kindesalter entwachsen sind?

Zunächst ist der österreichische Fußball-Patriotismus durch und durch harmlos. Da drückt sich garantiert kein aggressiver Nationalismus aus. Wie denn auch? Weiß doch jeder, dass unsere Nationalmannschaft die erwiesenermaßen schlechteste Equipe der EURO ist und froh sein kann, auch nur ein einziges Match zu gewinnen. Dennoch wird beflaggt. Und wir werden bis zum baldigen Austro-Kicker-Ende in der Runde der Gruppenspiele allerorten jenen Gesang hören, der Österreich ein „Immer wieder“ wünscht. Der Fußball-Patriotismus mag kindlich sein, hierzulande ist er aber offenbar ironisch gebrochen. Kann diese Massenironie nicht auch als ein seltenes Phänomen zivilisatorischer Reife interpretiert werden? Selbst aber in Ländern, die Chancen haben, siegreich aus einer internationalen Meisterschaft hervorzugehen, hat das Aufwallen nationalen Stolzes anlässlich sportlicher Events inzwischen das Bedrohliche verloren. Was haben doch kritische Geister anlässlich der WM in Deutschland vor zwei Jahren nicht alles bange vorausgesagt: dass der altbekannte deutsche Nationalismus sein Haupt erheben, dass Neonazis ihr deutschtümelndes Süppchen kochen, der hässliche Deutsche wieder seine Fratze zeigen könnte? Gewiss: Da flatterten überall die deutschen Fahnen. Das allgegenwärtige Schwarz-Rot-Gold hatte jedoch nichts von der befürchteten dumpf-deutschen Militanz an sich. Das war eher Popkultur als Leitkultur. Mehr Party als Patriotismus. Die Weltmeis­terschaft wurde zum heiteren Multikultifest, bei dem nationale Symbole spielerisch eingesetzt wurden. Die deutschen Fußballfans waren geradezu reizend.

Zweifellos werden die österreichischen nicht minder freundlich sein. Dass die „Krone“ am Anfang der aktuellen rot-weiß-roten Welle stand, ist das einzig Bedenkliche. Es war dieses Blatt, das durchgesetzt hat, dass der Bundesadler die Autowimpel schmücken darf, es vertreibt profitabel die Fahnderln mit Staatswappen und „Krone“-Logo und propagiert wortreich den automobilen Patriotismus. Und der ist mitnichten spielerisch – fährt das Kleinformat doch seit Monaten eine aggressive Kampagne gegen den EU-Reformvertrag, der in „Krone“-Lesart die Vergewaltigung unserer Heimat durch den Brüsseler Moloch bedeutet. In diesem Kontext ist die Beflaggung der Autos nicht mehr ganz so unschuldig: Sie symbolisiert – zumindest in der Intention des Boulevards – mit auch den „Widerstand“ gegen die angebliche Kolonisierung Österreichs durch die EU und gegen die heimischen „Vaterlandsverräter“, die den Vertrag unterzeichnet haben.

Als ich jüngst ein Taxi aufhielt, bemerkte ich, dass links vorne am Mercedes die rot-weiß-rote Flagge, rechts vorne aber die Fahne mit Mondsichel und Stern auf rotem Grund, die türkische, gehisst war: „Natürlich drücke ich die Daumen sowohl für Österreich – hier bin ich schon zwanzig Jahre zu Hause – als auch für die Türkei: Da komme ich ja her“, sagte der etwa fünfzig Jahre alte Chauffeur und widerlegte damit den legendären Satz des Protagonisten einer ORF-„Alltagsgeschichte“ von Elizabeth T. Spira, der einst meinte: „Man kann nicht zwei Heimats haben.“ Der Taxifahrer beweist: Man kann.
Inzwischen habe ich schon mehr austrotürkisch beflaggte Autos gesichtet. Und am Eingang des empfehlenswerten Gasthauses Sultans Kuchl in der Wiener Hainburger Straße prangen gleichfalls die Fahnen beider Länder.
Das war die Lösung: Als Kompromiss zwischen Leons Patriotismus und meiner Skepsis gegenüber nationaler Begeisterung könnte unsere Familie es dem türkischen Taxler nachmachen. Das schlug ich vor. Leon war sofort begeistert: Er mag die türkischen Fußballer. Die seien auch gerade nicht in bester Form, versicherte er mir. Also kurven wir seit wenigen Tagen mit unserem Van binational geschmückt durch die Wiener Straßen. Ein wenig lächerlich komme ich mir dabei vor. Spaß macht es aber auch. Und als Mitglied jener kleinen radikalen Minderheit, die einen EU-Beitritt der Türkei befürwortet, setze ich mit den beiden Wimpeln gleichzeitig eine politische Geste.