Automobiltrends: Spar-Büchsen

Fahrzeughersteller rufen neue Bescheidenheit aus

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Wenigstens auf zwanzig Quadratmetern des Genfer Autosalons ist die Welt noch in Ordnung. Am Bugatti-Stand lassen sich höfliche ältere Herren von einer strahlend lächelnden Hostess Hochglanzmappen überreichen, danach gibt es Champagner. Man hat hier nicht viel zu tun, denn das Salon-Leben braust an dem Sportwagen erbarmungslos vorbei.

Dabei war der Bugatti Veyron einmal der Superstar der Automessen, kein anderer Wagen drückte die Stimmung in den Jubeljahren der Autoindustrie besser aus. Alles war möglich: 1000 PS, 400 Stundenkilometer. Eine Luxusklasse jenseits der Luxusklasse. Heute ist der Veyron den Journalisten meist bloß bissige Randbemerkungen wert, weil das Ding noch immer nicht serienreif ist und auch keine 400 Sachen läuft.

Was für ein Unterschied zu den diesjährigen Salon-Highlights: Ganz oben steht der Trend zum Billigauto. Die aufsehenerregendste Neuvorstellung war ein Gemeinschaftsprojekt von Toyota und dem PSA-Konzern: keine dreieinhalb Meter lang, Höchstleistung 68 PS, um weniger als 9000 Euro zu haben. Die baugleichen Citroën C1, Peugeot 107 und Toyota Aygo sind weder hübsch noch smart, eher Autos wie trocken Brot. Ihre Botschaft: Autofahren muss sein, es muss aber kein Spaß sein.

Trotzdem scheinen sich gerade in dieser Nische die neuen Hoffnungsträger der Autoindustrie zu entwickeln. Innerhalb eines Jahres wird im Preissegment unter 10.000 Euro eine komplette Fahrzeugklasse entstanden sein: Neben den drei Modellen mit dem Hofer-Appeal kommt Volkswagen mit dem in Brasilien gefertigten Fox (Mitte 2005) und Renault mit dem in Rumänien produzierten Logan (Ende des Jahres). Ford wiederum plant eine Billigversion des Ka, und Skoda überlegt, in der Ukraine einen abgespeckten Stufenheck-Fabia zu bauen.

Unspektakulär erfolgreich. Aus der Genfer Perspektive des Jahres 2005 wirken die wilden Jahre wie eine peinliche, beinahe vulgäre Episode in der Geschichte der Autoindustrie. Und auch deren Protagonisten, die lauten, eitlen Helden von damals, sind inzwischen kleinlaut und im besten Fall in Aufsichtsräten geparkt. Die Jubeljahre sind vorbei, die Katerstimmung ist vorbei, das große Aufräumen voll im Gange. Das Resultat: Personell und strukturell ist die Lage in der Autoindustrie angespannt wie schon lange nicht. Stramme Visionäre wie Ferdinand Piëch (VW) oder Jürgen Hubbert (Mercedes) haben ihre Unternehmen in handfeste Krisen gesteuert, letztlich scheinen jene als Sieger dazustehen, die ihre Hausaufgaben pragmatisch erledigt haben.

Allen voran Toyota: Die Marke stieg mit einer unspektakulären Modellpolitik, aber soliden Autos und hoch entwickelten Fertigungprozessen zum zweitgrößten Autohersteller der Welt auf. Es mag technisch anspruchsvollere Autos geben, aber in Pannenstatistiken und Umfragen hinsichtlich der Kundenzufriedenheit sind die Fahrzeuge des japanischen Herstellers stets ganz vorne platziert, speziell am wichtigen US-Markt.

Langsam gerät sogar General Motors in Bedrängnis: Während der Branchenriese weltweit mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat und zuletzt nur 1,5 Prozent Gewinn erwirtschaftete, liefern die Japaner ein Geschäftsjahr besser als das andere ab (2005: 9,6 Prozent Ertrag).

Das Geld wird nicht in schillernde Features mit zweifelhaftem Nutzen gesteckt, sondern in die Zukunft investiert – Toyota gilt als Pionier bei der Hybrid-Technik, der Kombination aus Elektro- und Benzinantrieb, und wenn das Erdöl zur Neige geht, wird in der Brennstoffzellen-Technologie kaum ein Weg an den Toyota-Patenten vorbeiführen (siehe auch Interview Seite 68).

Geglückte Fusion. Nur Nissan ist derzeit ähnlich erfolgreich. Nissan? Das war doch diese unscheinbare Marke, die viele Jahre am Abgrund dahinsiechte? Heute darf der Zusammenschluss von Renault und Nissan – die Franzosen halten 44 Prozent der Anteile am japanischen Hersteller – als einzig wirklich geglückte Allianz aus den Zeiten der Merger-Mania der Autoindustrie gelten. Den Umschwung brachte der knallharte Sanierer Carlos Ghosn, der Ende April den bisherigen Renault-Chef Louis Schweitzer ablösen wird. Da er Nissan-Chef bleiben will, wird Ghosn jeweils 40 Prozent seiner Arbeitszeit in Frankreich und Japan verbringen, den Rest in den USA, geschlafen wird vermutlich im Flugzeug.

Die Erfolgsrezepte von Renault und Nissan ähneln zum Teil jenen von Toyota, hinzu kommt ein gut ausgeprägter Spürsinn für die kostengünstige Eroberung von Marktnischen. Renault und Nissan erzielten im vergangenen Geschäftsjahr einen gemeinsamen Nettogewinn von umgerechnet 3,55 Milliarden Euro, das ist mehr als das Doppelte des Ertrags der einstigen Cash Cow Mercedes.

Eine ausgeklügelte Nischenpolitik war auch das vorrangige Ziel des ehemaligen Mercedes-Chefs Jürgen Hubbert, er scheiterte jedoch an seinen technischen Ansprüchen. Smart Fortwo, Smart Forfour, Mercedes A-Klasse und C-Klasse bauen auf völlig unterschiedlichen technischen Plattformen auf, was dem Kunden kaum etwas bringt, aber die Produktionskosten enorm in die Höhe treibt. Gleichzeitig wurde bei den teuren Modellen (C-Klasse, M-Klasse, E-Klasse) spürbar an der Qualität gespart, was die Kundschaft verärgerte. Von einer echten Krise kann zwar keine Rede sein, auch wurden die meisten Qualitätsprobleme inzwischen behoben, doch der neue Mercedes-Chef Eckhard Cordes – erstmals kein Techniker, sondern Betriebswirt – steht nun vor der Aufgabe, die Mercedes-Zahlen zu verbessern. Vor allem der Smart und Rückstellungen für Garantieaufwand reißen derzeit tiefe Löcher in die Bilanz.

Auch der neue VW-Chef Wolfgang Bernhard bekommt einiges zu tun. Der frühere Chrysler-Vize sollte eigentlich Mercedes-Boss werden und war sogar schon bestellt, scheiterte dann jedoch daran, dass er Mercedes als Sanierungsfall bezeichnete. Bei VW geht Bernhard die Sache nun moderater an: Er will sich einige Monate zur Einarbeitung gönnen, bevor er seine Pläne präsentiert. Seine Hauptsorgen: die schwachen Golf-Verkäufe und der einbrechende Markt in China, wo VW dank sehr früher Investitionen inzwischen mehr Autos verkauft als in Deutschland.

Zwei Sanierungsfälle der schlimmeren Sorte stellen Opel und Fiat dar. Beide Marken litten in der Vergangenheit an ähnlichen Problemen – verfehlte Modellpolitik, zu wenig Investitionen. Deshalb hielt es der heutige GM-Chef Rick Wagoner im Jahr 2000 für eine gute Idee, die beiden Kranken in ein Bett zu legen, damit sie sich gegenseitig heilen sollten. Weit reichende Kooperationen wurden geschlossen, gemeinsame Modellreihen entwickelt – und trotzdem stecken beide Marken fünf Jahre später in ärgeren Schwierigkeiten als je zuvor. GMs Perspektive sah bis vor Kurzem besonders unerfreulich aus: Spätestens in fünf Jahren hätte man die restlichen 90 Prozent von Fiat – und damit auch die gewaltigen Schulden des italienischen Autoherstellers – übernehmen müssen.

Radikaler Schnitt. Deshalb nützte Fiat-Konzernchef Sergio Marchionne die Gunst der Stunde: Innerhalb einer Woche holte er sich bei GM 1,55 Milliarden Euro als Abschlagszahlung für die Auflösung der Kooperation, jeweils einen Tag später entließ er zuerst Fiat-Auto-Chef Helmut Demel, dann Maserati-Chef Martin Leach und formierte Alfa Romeo und Maserati schließlich zu einer neuen Gruppe. Der Österreicher Demel indes hatte als gestandener Automensch eine gründliche Sanierung geplant, die nur über langfristige Investitionen in die Modellreihen funktioniert hätte. Schade drum: Das Modellprogramm von Fiat befindet sich eindeutig auf dem Weg der Besserung, der Panda wurde gut am Markt angenommen, auch der in Genf präsentierte Croma ist richtig positioniert, und die neuen Alfa 159 und Brera dürften das Zeug zu Bestsellern haben.

So viel Zeit blieb Demel aber nicht, denn Marchionne scheint eher in Quartalen zu denken. Mögliches Szenario: Die Kronjuwelen Ferrari und Alfa Romeo werden teuer verkauft, die Marke Lancia eingestellt, der traurige Rest an einen – möglicherweise chinesischen – Investor verscherbelt. Eine Kapitalbeteiligung chinesischer Investoren an einem europäischen Fahrzeughersteller wäre schlicht der Beginn einer neuen Epoche in der Autoindustrie und zugleich auch mit einer gehörigen Portion Ironie gewürzt – in China herrschen nämlich inzwischen beachtliche Überkapazitäten in den Fahrzeugfabriken, während der Boom der chinesischen Wirtschaft bereits abzuflachen beginnt.

Der Autor ist Chefredakteur der Zeitschrift „Autorevue“.