Autostopp bei der Automobilindustrie

Autostopp bei der Automobilindustrie: Drei US-Konzerne stehen am Rande des Abgrunds

Drei US-Konzerne stehen am Rande des Abgrunds

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Ein Flug von De­troit nach Washington kann einem dieser Tage ganz schön viel Ärger einbringen. Überhaupt dann, wenn man Rick Wagoner, Robert Nardelli oder Alan Mulally heißt. Mitte November hatten die Vorstandschefs der schwer angeschlagenen US-Automobilkonzerne General Motors (GM), Chrysler und Ford einen entscheidenden Termin in Washington, um beim Senat um Staatsgelder zu bitten. Angesichts der benötigten Summen empfanden es die Senatoren als nachgerade obszön, dass die Manager unabhängig voneinander in Business Jets angereist waren. Drei Wochen später zeigten sich die Herren geläutert. Zu einer neuerlichen Anhörung kamen Wagoner, Nardelli und Mulally in Autos mit Hybridantrieb. Weniger eine Geste der Demut denn der Verzweiflung. Aber sie wirkte.

Um nicht sofort Konkurs anmelden zu müssen, erhalten die drei Unternehmen vorerst insgesamt 17,4 Milliarden US-Dollar Staatshilfe. Damit allein wird es aber nicht getan sein. Die US-Autobauer stecken in einer tiefen Krise und mit ihr eine ganze Branche mit Millionen Arbeitsplätzen. Geht auch nur einer der drei großen Konzerne unter, könnte dies eine Kettenreaktion auslösen, die rund um den Globus zu spüren wäre. Die ohnehin schon trüben Konjunkturprognosen müssten weltweit noch einmal nach unten revidiert werden.

Es scheint beinahe so, als habe sich das Auge des Orkans verschoben. Von der Wall Street in der Bankenmetropole New York nach Detroit, Michigan. In und um die „Motor City“ sind drei der größten Autohersteller der Welt angesiedelt. General Motors, Chrysler und Ford sind aber weit mehr denn nur Unternehmen, sie sind ein wesentlicher Faktor der US-Wirtschaft: Alleine in den Vereinigten Staaten beschäftigen die „big three“ derzeit rund 255.000 Mitarbeiter. Zusammengenommen produzierten die Autobauer aus Michigan im Vorjahr rund 19 Millionen Fahrzeuge. Allerdings mit zuletzt hohen Verlusten. Bis vor etwa einem Jahrzehnt vereinigten die Hersteller auf dem Heimatmarkt einen Marktanteil von rund 90 Prozent auf sich. Heute sind es nur noch rund 50 Prozent. Aus dieser goldenen Zeit stammen unter anderem auch großzügige Mitarbeitervorsorgeprogramme und aufgeblähte Strukturen, die bis heute nicht bereinigt sind und schwer auf den Bilanzen lasten. Nach eigenen Angaben benötigen die drei mittelfristig rund 34 Milliarden Dollar, um den Turnaround zu schaffen. Selbst wenn die Sanierungsmaßnahmen rechtzeitig auf Schiene gebracht werden können, müssen nicht nur etliche der 650.000 weltweit bei GM, Chrysler und Ford Beschäftigten um ihren Job bangen. Sie sind nur Rädchen in einem großen Ganzen. Denn kaum eine Branche ist so arbeitsteilig organisiert wie die Automobilindustrie.

Kettenreaktion. Über die ganze Welt erstreckt sich das Netz verschiedenster Lieferanten vom Einmannbetrieb bis hin zu großen Konzernen mit mehreren tausenden Mitarbeitern. Als Faustregel gilt in der Branche: Auf einen Arbeitsplatz beim Hersteller kommen vier bei Zulieferern. Umgelegt auf die großen drei US-Autobauer mit ihren 650.000 Mitarbeitern sind das weltweit drei Millionen Arbeitsplätze. Darüber hinaus kommt den Zulieferern eine Schlüsselrolle zu: Sie verknüpfen das Schicksal der Hersteller aufs Engste mitein­ander. Die meisten Zulieferer haben ­wenige, dafür große Kunden. Fährt einer die Produktion herunter oder geht sogar pleite, kommt auch der Zulieferbetrieb ins Trudeln. Das wäre in wirtschaftlich normalen Zeiten ein überwindbares Problem. Doch durch die Finanzkrise sind Überbrückungskredite ungleich schwerer zu bekommen. Geht ein Zulieferer pleite, kann er auch seine anderen Kunden nicht mehr beliefern. Das löst eine Kettenreaktion aus: Binnen kurzer Zeit stehen auch bei soliden Betrieben die Bänder still, weil der Nachschub fehlt. Materiallager gibt es kaum mehr, da die Lieferungen auf Bedarf und zeitnah erfolgen.

Dank Just-in-time-Prinzip und Teilung von Arbeitsprozessen konnte die Branche enorme Produktivitätssteigerungen realisieren und sich damit zumindest vorübergehend über die seit Jahren schwächelnde Nachfrage nach US-Fabrikaten hinwegturnen. Damit ist es nun auch vorbei. Im November brach der Absatz weltweit ein: In den USA ging er gegenüber 2007 um mehr als 36 Prozent zurück, in Europa um rund 26 Prozent. Die Ölpreis-Kapriolen und das wachsende Umweltbewusstsein veranlassen Automobilisten auf beiden Seiten des Atlantiks zu mehr Zurückhaltung.

Pech für die Amerikaner: Sie haben zu lange an ihrem tradierten Selbstverständnis „the bigger, the better“ festgehalten. Und damit lässt sich heute kein Geschäft mehr machen. Hubraum-Kolosse à la Hummer (General Motors), Dogde Ram (Chrysler) oder Lincoln Navigator (Ford) stehen mittlerweile nahezu weltweit auf Halde. Und Klein- oder Kompaktwagen haben auch in den US-Modellreihen 2009 Exotenstatus. Ganz im Gegensatz zu japanischen oder europäischen Mitbewerbern. Die zwingende Folge: GM, Chrysler und Ford werden in jeder Hinsicht abspecken müssen. „Mit Staatshilfen ist es längst nicht getan“, so der Duisburger Universitätsprofessor und Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer. „In einem halben Jahr wären die Amerikaner wieder da, wo sie heute sind. Vor allem General Motors wird drastisch redimensionieren müssen, um längerfristig zu überleben.“

Restrukturierung. Doch selbst wenn die Hersteller diese schwierige Zeit überdauern sollten, die Landkarte der Automobilindustrie wird neu zu zeichnen sein. Die Analysten des amerikanischen Center for Automotive Research (CAR) gehen in einer Studie davon aus, dass GM, Chrysler und Ford – wenn überhaupt alle drei überleben – ihre Produktion um 50 Prozent drosseln müssen. Demnach würden in der Automobilindustrie und damit verknüpften Branchen im Jahr 2009 rund 2,5 Millionen Menschen ihre Jobs verlieren, in den Folgejahren 2010 und 2011 sollen es noch einmal so viele sein. Insgesamt wird mit fünf Millionen Arbeitslosen gerechnet. Die Kosten für den US-Staatshaushalt durch entgangene Steuern und Arbeitslosengeld sollen sich auf 100 Milliarden Dollar belaufen. In Deutschland schätzt die Unternehmensberatung Roland Berger, dass bis 2011 rund 90.000 Stellen in der Automobilbranche verloren gehen.

Die Folgen der Autokrise gehen auch an Österreich nicht spurlos vorüber. Kurz vor Weihnachten musste einer der größten Zulieferer des Landes, der Kremser Autozulieferer Eybl International, Insolvenz und 600 Mitarbeiter zur Kündigung anmelden. Auch Magna International musste Arbeiter in Kurzarbeit schicken, Kündigungen der Stammbelegschaft sind nicht mehr ausgeschlossen. „Die Absatzprobleme bei den Autoherstellern wirken sich synchron auf die Zulieferindustrie aus. Wir können nur so viele Teile produzieren, wie der Kunde nachfragt“, so Magna-Chef Siegfried Wolf. Der kanadische Konzern mit Werken in der Steiermark hat im Jahr 2007 weltweit 26 Milliarden US-Dollar Umsatz gemacht. Die Hälfte entfällt auf die drei Großen aus Detroit.

Abhängigkeit. Magna ist mit seiner engen Bindung an den US-Automarkt allerdings eher die Ausnahme unter den österreichischen Zulieferbetrieben. Mehr als 90 Prozent der Erzeugnisse der österreichischen Autoindustrie gehen zwar in den Export – mindestens 60 Prozent davon aber ins benachbarte Deutschland. „Das bedeutet ein erhebliches Klumpenrisiko. Wir raten unseren Kunden seit Langem zu diversifizieren“, sagt Rupert Petry, Automobilexperte der Unternehmensberatung Roland Berger. Und zwar nicht nur nach Kunden und Absatzmärkten, sondern auch nach Branchen. Das Neue an dieser Autokrise ist, dass sie nicht nur einen regionalen Markt erfasst hat, sondern global wirkt – die Konzerne können daher lokale Verluste nicht in einem anderen Land wettmachen. In den vergangenen Jahren konnte die österreichische Zu­lieferbranche jährliche Wachstumsraten im zweistelligen Bereich und sogar Beschäftigungsaufbau vorweisen. Im kommenden Jahr wird sich dieser Trend umkehren. „Der Kollaps eines US-Herstellers würde Zulieferer naturgemäß sehr hart treffen“, so Dudenhöffer. So könnte aus einem regionalen Problem sehr schnell ein globales werden.

Denn Autozulieferer haben ihrerseits Lieferanten. Und auch diese müssen sich bereits auf kargere Zeiten einstellen. Chemie- und Stahlunternehmen wie Bayer oder voestalpine beispielsweise, die wesentliche Vorprodukte für die Fahrzeuge beisteuern, haben ihre Belegschaft auf Kurzarbeit geschickt. Allein in Österreich werden laut Arbeitsmarktservice Anfang 2009 mehr als 11.000 Personen kurzarbeiten – in sämtlichen Branchen. Die Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS revidieren angesichts dieser Entwicklungen laufend ihre Konjunkturprognosen nach unten. Die Autoindustrie nimmt bei den Vorhersagen eine zentrale Stellung ein. Schon jetzt liegen in den Instituten alternative Rechenszenarien in der Schublade, für den Fall, dass ein großer Automobilhersteller pleitegeht. Für Mitte Jänner plant Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner einen Autogipfel.

Dabei soll darüber debattiert werden, wie die Zulieferindustrie im Ernstfall gestützt werden kann. Ein zentraler Punkt wird dabei sein, wie die Liquiditätsversorgung der Zulieferer gesichert werden kann. „Wir müssen auch darauf achten, dass die Menschen an die Betriebe gebunden bleiben, um nicht das Know-how zu verlieren. Denn das würde die Strukturen langfristig zerstören“, sagt Mitterlehner. An Umstrukturierungen führt also kein Weg vorbei. Gut möglich, dass große Konzerne fusionieren müssen und einige Marken sogar verschwinden. Wenn das passiert, werden auch die Zulieferströme neu organisiert. „Dieser Prozess wird jedoch mindestens drei bis fünf Jahre dauern“, sagt Rupert Petry. Die österreichischen Betriebe müssen dann hoffen, nicht aus der Lieferkette gestoßen zu werden. Petry ist da vorsichtig optimistisch: „Unsere Zulieferer stehen vergleichsweise gut da, weil sie sich durch technologisches Know-how schwer ersetzbar gemacht haben.“ Österreich könnte daher vergleichsweise glimpflich davonkommen.

So unerfreulich die Krise für die Hersteller ist, zumindest die Kunden können daraus einen Vorteil ziehen. Die Preise für Neu- und Gebrauchtwagen sind im freien Fall. Aber auch die Verhandlungen beim Autohändler gestalten sich zunehmend angenehmer, wie eine Anekdote aus einem Wiener Autohaus beweist: Vor wenigen Wochen wollte ein junger Familienvater einen neuen Kombi der Marke Volkswagen erwerben. Der Verkäufer riet zu einem Modell der höchsten Preisklasse: „Wenn Sie den kaufen, gebe ich Ihnen einen Polo für die Gemahlin umsonst dazu.“

Von Josef Redl und Andrea Rexer