"Ich pflege eine Quecksilbermentalität"

Joachim Meyerhoff: "Ich pflege eine Quecksilbermentalität"

Literatur. Joachim Meyerhoff nimmt am Bachmann-Wettlesen teil

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Interview: Wolfgang Paterno

profil: Ihre Romane "Alle Toten fliegen hoch" (2011)"und "Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war" (2013) erhielten hymnische Kritiken. Warum tun Sie sich das Bachmann-Wettlesen an?
Meyerhoff: Die Tatsache, dass die Romane gut besprochen worden sind, bedeutet ja nicht automatisch, dass man sich dem Klagenfurter Wettbewerb nicht mehr auszusetzen bräuchte. Die Tage der deutschsprachigen Literatur kenne ich seit Langem, die Veranstaltung ist für mich also kein unbeschriebenes Blatt. Das Wort "Ehre" verwende ich nicht häufig. In Klagenfurt zu lesen ist eine solche.

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Ist es wahr, dass Sie zu Ingeborg Bachmann eine besondere Beziehung pflegen?
Meyerhoff: Ja, eine meiner ersten Wohnungen in Wien lag in der Ungargasse, in Bachmanns Ungargassenland. Damals las ich gerade "Malina", ihren 1971 publizierten Roman. Da traf mich der Schlag: Ich wohnte genau in dem Haus, in dem auch die Ivan-Figur aus dem Buch wohnt, mit dem Löwenbrunnen hinten im Haus. Die weibliche Hauptfigur wohnt schräg gegenüber, im Haus mit der Nummer sechs. Mit dieser Vorgeschichte muss man ja fast zwangsläufig zum Bachmannpreis.

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In "Alle Toten fliegen hoch" schreiben Sie von "Fallbeilsätzen" - solchen nämlich, die gleichsam tödliche Wirkung entfalten können. Wie werden Sie reagieren, sollten die Klagenfurter Literaturrichter zu solchen greifen?
Meyerhoff: Kritische Anmerkungen werde ich mit Dankbarkeit entgegennehmen. Es ist doch wunderbar, wenn sich Kritiker ernsthaft mit Büchern auseinandersetzen. Sollte mein Text von der Jury tatsächlich vernichtet werden, muss ich damit allein zurechtkommen. Das halte ich aber aus. Ungerecht ist nur, dass man die Bewertung der Jury nicht kommentieren darf. Man sitzt da als Delinquent und erwartet das Urteil, erhält aber keine Möglichkeit für ein Plädoyer in eigener Sache. Als Autor, der etwas von sich zeigt und viel wagt, sollte man das letzte Wort haben dürfen.

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Die Literaturkritik duldet offenbar keine Widerworte.
Meyerhoff: Vielleicht tritt auf diese Weise auch die Hybris der Literaturkritik ein wenig zutage: Während die Jury über das soeben Gehörte urteilt, werden die betretenen Gesichter der Autorinnen und Autoren in der Live-TV-Übertragung bildschirmfüllend gezeigt, bevor diese - zum Schweigen verdammt - entlassen werden. Ich hoffe, dass ich dieses Schweigen-Müssen ertragen werde. Ich stelle mir vor, wie ein Juror wertet: "Dieser Text weiß, mit Verlaub, gar nicht, wovon er spricht."Da ist es doch nur normal, wenn man reflexhaft widerspricht: "Nein, das kann nicht sein. Da steht ja alles!"

profil: In "Alle Toten fliegen hoch" erzählen Sie auch von Ihren Schulerlebnissen in den USA, von einem Kurs namens "Searching for Identity", in dem das stoische Ertragen von Beleidigungen geübt wurde. Sie scheinen für Klagenfurt gut gerüstet zu sein.
Meyerhoff: Davor fürchte ich mich am allerwenigsten. Einerseits habe ich an dem Text, den ich in Klagenfurt lesen werde, viel gearbeitet. Andererseits habe ich am Theater gelernt, dass man mit Gekränktsein allein nicht weiterkommt. Natürlich gibt es Menschen, die daran zerbrechen. Im Theater sind Beleidigungen aber gang und gäbe: Man wird permanent mit privaten Meinungen konfrontiert - und muss trotzdem weitermachen. Meine zwölfjährige Tochter, die im Gegensatz zu mir auf Facebook ist, hat mir von dort gerade wieder eine Nachricht auf mein Handy weitergeleitet: "Bei all meiner grenzenlosen Liebe für Meyerhöffchen: Der ,Professor Bernhardi' gestern war wirklich schwach. Herr Meyerhoff sagt den Text auf, anders kann man das nicht benennen. Uiuiuiui. Ich hoffe, er kommt für den ,Tartuffe' wieder in Fahrt. Geht eigentlich jemand zur Premiere?" Damit lebt man am Theater ununterbrochen. Man entwickelt mit der Zeit ein Trotzgefühl, allerdings kein verbittertes. Das Arbeiten gegen Widerstände kommt einem da zugute. "Professor Bernhardi" war übrigens eine ganz tolle Vorstellung.

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Beim Bachmann-Wettbewerb tragen die geladenen Autoren ihre Texte selbst vor. Als Schauspieler habe Sie da eindeutig einen Wettbewerbsvorteil.
Meyerhoff: Das Lesen eines Texts hat ja mit dessen Qualität per se nichts zu tun.

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Ein fulminanter Vortrag schadet aber nicht.
Meyerhoff: Das soll man nicht klein reden: Beim Bachmannpreis geht es auch ums Vorlesen. Ich fände es geradezu absurd, wenn die Jury bemerkte, dass ich besser als andere lese. Das wäre Unsinn. Man kann niemandem vorwerfen, dass er seine Texte gern und gut liest. Ich werde mich für meinen Vortrag jedenfalls nicht schämen - und baue auf meinen Vorteil.

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Sie nehmen den Wettbewerb sportlich?
Meyerhoff: Sportlich ist ein furchtbar kunstfernes Wort. Ich nehme die Sache ernst. Ich bin hochmotiviert und werde so gut lesen, wie es mir möglich ist. Ich muss diesen Preis aber nicht mit aller Gewalt gewinnen. Ich bin davon überzeugt, dass die deutsche Literatur auf andere Schriftsteller als auf mich wartet. Das sage ich in aller Bescheidenheit.

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Sie gelten als klassischer Erzähler. Werden Sie die Bachmann-Juroren mit einem Stück Avantgardeliteratur überraschen?
Meyerhoff: Um Gottes willen, nein. Ich habe nicht gedacht: "Ich darf zum Bachmannpreis. Also muss ich ein funkelndes Sprachjuwel der deutschen Hochliteratur verfassen." Das wäre fatal, das kann ich gar nicht. Ich habe versucht, einen Text in der mir vertrauten Art zu schreiben, die Unmittelbarkeit erzeugt.

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Sie spielen seit 25 Jahren Theater. Wie ist Ihr Abstecher in die Welt der Literatur bislang verlaufen?
Meyerhoff: Literatur und Schreiben sind für mich nach wie vor Neuland. Meine Identität tut sich damit noch immer schwer. Ich freue mich nach wie vor unbändig, wenn mich jemand als "Schriftsteller" anspricht. Bald werde ich 46. Ich möchte noch ein oder zwei Romane schreiben, ehe ich 50 sein werde. Mit 50 sollte man nicht mehr so viel von sich erzählen.

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Kommende Saison werden Sie ans Hamburger Schauspielhaus wechseln, geplant sind zudem zahlreiche Burg-Gastspiele. Werden Sie da überhaupt noch Zeit zum Schreiben finden?
Meyerhoff: Durchaus. Ich pflege eine Quecksilbermentalität. Sobald sich die Kügelchen allzu reglos in der Thermometersäule stapeln, springt die Temperatur nicht hoch. Deshalb musste Bewegung rein. Ich bemerkte eine Spur drohender Bequemlichkeit. Es spricht nichts gegen Wien, nicht viel gegen die Burg. In Wien war ich sieben Jahre lang. Das klingt für meine Verhältnisse nach Ewigkeit.

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Ihre Romane sind Bestseller. Haben Sie mit diesem Zuspruch gerechnet?
Meyerhoff: Niemals. Ich bin nach wie vor überwältigt. Kollege Udo Samel kam erst kürzlich mit einer Zeitung in meine Garderobe und wies mich auf die Bestsellerliste hin: "Schau mal, du bist die Nummer eins." Ich konnte es gar nicht fassen. Man müsste cooler agieren. Das kann ich aber nicht. Ich finde es einfach schön.

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Sollte dieser neue Autoren-Schauspieler-Austausch Schule machen, wird Peter Handke vielleicht bald auf der Bühne des Theaters an der Josefstadt zu erleben sein.
Meyerhoff: Handke in Pluderhosen wäre die Idealbesetzung des knochigen Truffaldino in Goldonis "Der Diener zweier Herren". Das wäre bestimmt großartig. Und höchst amüsant.

Joachim Meyerhoff, 45,
zählt zu den großen Schauspielkünstlern seiner Generation. Der Akteur, der auf der Bühne oft mit forciertem Körpereinsatz und glänzender Sprechkunst brilliert, war in Wien unter anderem in Goethes " orquato Tasso" (2005), Dostojewskis "Die Brüder Karamasow" (2007) und Yasmina Rezas "Der Gott des Gemetzels" (2007) zu sehen. Im Rahmen der Wiener Festwochen ist Meyerhoff, der in der kommenden Spielzeit ans Deutsche Schauspielhaus in Hamburg wechselt, noch bis Ende Juni in Luc Bondys "Tartuffe"-Inszenierung als Titelheld zu erleben. Die Tage der deutschsprachigen Literatur 2013, bei denen sich Meyerhoff als einer von 14 Teilnehmern dem Urteil der Kritik stellen wird, finden von 3. bis 7. Juli im ORF-Theater des ORF-Landesstudios Kärnten statt.