Bahnbrechend

ÖBB. Im Güterbereich der Bahn sind zig Millionen verloren gegangen

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Über Gustav Poschalko kursieren viele Geschichten, etwa jene: Wenn Poschalko heute an irgendeinem Provinzbahnhof in Osteuropa aus dem Zug ­steige, dann salutiere der Bahnhofsvorsteher vor ihm. Oder jene: Der heute 70-Jährige habe die Gewohnheit gehabt, seinen Mitarbeitern die Jahresboni in bar auszuhändigen.

Oder auch jene: Er habe als Bahn-Manager sein Tätigkeitsfeld so abgeschirmt, dass selbst enge Mitarbeiter nur eine flüchtige Idee von den Vorgängen innerhalb der ÖBB-Speditionsholding haben konnten.
Am Freitag dieser Woche werden die Mitglieder des parlamentarischen Rechnungshofunterausschusses Gelegenheit haben, den Wahrheitsgehalt einzelner Gerüchte festzumachen. Das Geschäftsgebaren Poschalkos steht auf dem Prüfstand – und er selbst wird den Mandataren Rede und Antwort stehen müssen. Der Ausschuss untersucht unter anderem die 2005 initiierten Spekulationsgeschäfte der ÖBB und die Übernahme der ungarischen Güterbahn MAV Cargo. Beides endete in einem finanziellen Fiasko.

Nicht auf der Tagesordnung – zum Leidwesen der Opposition und der ÖVP – stehen ein halbes Dutzend Geschäftsfälle aus den Auslandsbeteiligungen der ÖBB-Spedition Express-Interfracht (Exif). Diese unterstand bis Ende 2008 Poschalko direkt, auch danach übte der Bahnmanager aus dem Holding-Vorstand noch gehörigen Einfluss aus. Die interne Revision des Konzerns untersucht seit Monaten mehrere fragwürdige Deals der vergangenen fünf Jahre. profil liegen Dokumente und E-Mails aus den internen Untersuchungen vor. Daraus lässt sich ablesen, dass in den Auslandstöchtern der Gütersparte Millionen versenkt wurden. Ob durch Managementfehler, Untreue oder Schlamperei, lässt sich schwer sagen. Die ÖBB prüfen jedenfalls rechtliche Schritte gegen ehemalige Vorstände.
Verantwortlich für die Vorfälle zeichnet Gustav Poschalko, von 2004 bis 2008 Vorstand der Rail Cargo Austria (RCA).

Die ÖBB-Gütersparte sorgt für rund 40 Prozent des Konzernumsatzes und schreibt dabei – im Normalfall – schwarze Zahlen. Poschalko war Ende der neunziger Jahre bei der Übernahme der früheren KPÖ-Spedition Express-Interfracht zur Staatsbahn gekommen. Dort konnte Poschalko über Jahre hinweg beinahe unbehelligt und unter wechselnden Bahnchefs vor sich hin arbeiten. Weder Helmut Draxler noch Rüdiger vorm Walde noch Martin Huber konnten oder wollten Einblick in Poschalkos Reich nehmen. Die Express-Interfracht ist bis heute ein eigener Konzern im Konzern, mehr als hundert Einzelgesellschaften und Beteiligungen, geführt zumeist von engen Vertrauten. Poschalko bescherte der Exif über sein Netzwerk in Osteuropa zwar hohe Umsätze, aber auch eine Menge Probleme.

Im Jahr 2008 wollte es der SPÖ-nahe ÖBB-Aufsichtsratschef Horst Pöchhacker genauer wissen. Er setzte mit Friedrich Macher einen ÖVP-nahen Manager ohne ÖBB-Stallgeruch in den Rail-Cargo-Vorstand. Macher sollte ihm einen Überblick über die Vorgänge in der Speditionstochter Exif verschaffen. Beinahe zum gleichen Zeitpunkt mehrten sich Hinweise auf mögliche Ungereimtheiten bei der Übernahme der ungarischen Güterbahn MAV Cargo. Die interne Revision wurde auf mehrere Causen angesetzt – und fand vorerst Belangloses.

Im Herbst 2010 erhielten die Ermittlungen neuen Schwung: Die Korruptionsstaatsanwaltschaft war von der ungarischen Justiz um Mithilfe bei der Aufklärung des MAV-Cargo-Deals ersucht worden: Es besteht der Verdacht von Schmiergeldzahlungen. Gleichzeitig war mit Christian Kern ein Manager an die Spitze der Bahn gerückt, der keine Rücksicht auf alte Seilschaften im Konzern nehmen muss. Kern brachte die interne Revision erneut in die Gänge, um die Altlasten abzutragen.

Die Untersuchungen sind nun großteils abgeschlossen. Wie profil in Erfahrung bringen konnte, haben die ÖBB in ihrer Bilanz für das Jahr 2010 alleine wegen ihrer Engagements in Ungarn, Italien, der Slowakei, in Griechenland und Rumänien einen Wertberichtigungsbedarf von 270 Millionen Euro. Der Löwenanteil, 240 Millionen Euro, entfällt auf Ungarn. „Das sind Altlasten, die sich leider negativ auf den Abschluss für das Jahr 2010 auswirken“, so ÖBB-Chef Christian Kern, der die konkreten Zahlen auf profil-Anfrage nicht kommentieren wollte. Die Auslandsabenteuer könnten auch juristische Folgen nach sich ziehen. Die Ergebnisse der internen Untersuchungen wurden dem Haus- und Hofanwalt der ÖBB, Gabriel Lansky, übergeben. Dieser soll strafrechtliche Schritte gegen frühere ÖBB-Mitarbeiter prüfen. Davon unabhängig wird Kern die Zahl der Tochtergesellschaften in der Cargo-Sparte auf die Hälfte zurückfahren. Das ist nicht der einzige Grund, warum einige Führungskräfte um ihren Job bangen müssen. „Es gab im Management der Gütersparte offensichtlich eine Aneinanderreihung von Fehleinschätzungen. Da kann man nicht zur Tagesordnung übergehen, sondern muss personelle und strukturelle Konsequenzen ziehen“, so Kern.

Wie schmal der Grat zwischen Unfähigkeit und Misswirtschaft ist, zeigen die Ergebnisse der Untersuchungen.

Italien:
Geb ich dir, nimmst du mir

In Italien soll es in den vergangenen Jahren zu mehreren Transaktionen zuungunsten der ÖBB gekommen sein. Dabei steht sogar der Verdacht einer vorsätzlichen Schädigung der Italien-Tochtergesellschaft im Raum. Bei der Übernahme von zwei Gesellschaften soll ein zu hoher Kaufpreis bezahlt worden sein. Sowohl die interne Revision als auch eine eigens beauftragte Anwaltskanzlei arbeiteten sich monatelang durch die Unterlagen. Konkret geht es um zwei Stahlumschlagplätze in Oberitalien. In beide Unternehmen hat sich die ÖBB-Tochtergesellschaft Express Italia eingekauft. In beiden Fällen ist der Geschäftspartner die italienische ­Industriellenfamilie Buzzi. Ab 2003 errichteten Express Italia und die Buzzi-Gruppe Lucefin in einem Joint Venture ein gewaltiges Stahllager in der Nähe von Venedig.

Die hochmoderne Anlage samt der Immobilie wurden in eine Besitzgesellschaft eingebracht, an der die ÖBB-Tochter Express Italia und die Lucefin-Gruppe je 50 Prozent hielten. Auch die Betreibergesellschaft, die das Stahllager von der Besitzgesellschaft anmietete, wurde 50:50 aufgeteilt. Im Jahr 2007 ging dann jenes Geschäft über die Bühne, das die ÖBB Millionen kosten dürfte. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen übernahm die ÖBB-Tochter die Betreibergesellschaft – und damit das operative Geschäft – zur Gänze und trat dafür ihre Anteile an der Besitzgesellschaft an die Buzzis ab. Damit verfügten die Buzzis über ein brandneues Stahlterminal, und die ÖBB-Tochter war nur noch Mieter in der ehemals eigenen Immobilie. Jetzt konnte die Express Italia zwar das Kundengeschäft alleine abwickeln – bloß: Der einzige Kunde war die eigene Konzernmutter Rail Cargo Austria. Der ohnehin vorteilhafte Deal war den Buzzis zusätzlich schmackhafter gemacht worden: Express Italia unterzeichnete kurz vor dem Kaufvertrag auch einen langfristigen Mietvertrag über jährlich 1,66 Millionen Euro.

Die Frage ist: Warum ließ sich die ÖBB-Tochter über den Tisch ziehen?
Eine Antwort fand auch die von den ÖBB eingeschaltete Rechtsanwaltskanzlei Weber Maxl und Partner nicht. „Es liegen uns keine Unterlagen darüber vor, wie der wirtschaftliche Wert … für den … Aktientausch ermittelt wurde. Der wirtschaftliche Vorteil der … beschriebenen Transaktion ist derzeit nicht nachvollziehbar“, heißt es in einem mit 8. November 2010 datierten Aktenvermerk.

Damit nicht genug. Im Jahr 2007 kaufte sich die ÖBB-Tochter Express Italia auch bei einem zweiten Güterterminal der Lucefin-Gruppe ein, diesmal in der Nähe von Mailand. Sie legte dafür in Summe 7,8 Millionen Euro auf den Tisch. Wieder erwarb Express Italia nur die Betreibergesellschaft, das Logistikzentrum gehört weiterhin der Lucefin-Gruppe, die Miete von den Österreichern kassiert. Die Anwaltskanzlei Weber Maxl und Partner hat auch diese Transaktion durchleuchtet und stellt den Befund: „Wir empfehlen, die Angelegenheit umgehend der internen Revision zu übergeben, um ein vollständiges Bild der Sachlage rekonstruieren zu können. Es liegen Informationen vor, wonach ein Mitbewerber für den Erwerb der MDB nur ca. 2 Millionen geboten habe. Ein aktuelles Bewertungsgutachten geht von einem Wert der MDB in Höhe von höchstens EUR 3,3 Millionen aus.“

Warum also haben die ÖBB beinahe das Dreifache des Werts gezahlt?
Ende 2010 wurde die interne Revision über die Ungereimtheiten in Kenntnis gesetzt. Einen Anlass für eine vertiefte Prüfung will sie noch nicht gefunden haben.

Rumänien:
Knapp daneben ist auch vorbei

Es war business as usual, was bei der Aufsichtsratssitzung der ÖBB-Speditionsgesellschaft Express-Interfracht am 13. Oktober 2004 durchgewinkt wurde. Die rumänische Tochtergesellschaft benötigte Geld, um die neu errichtete Lagerhalle in Bukarest an das Bahnnetz anzubinden. Kostenrahmen für die Gleisverlegung: zwei Millionen Euro. Was die honorigen Herren damals nicht wussten: Die Formalität sollte sich zu einem Planungsdesaster mit komödiantischen Zügen auswachsen: 2005 wird ein rumänischer Generalunternehmer mit der Projektplanung und dem Kauf der Grundstücke zwischen dem Lager und der Schienenhauptstrecke beauftragt. Das Unheil nimmt seinen Lauf. Der Preis für die elf Parzellen verteuert sich binnen drei Monaten von 1,8 auf 2,1 Millionen Euro. Bei der Einreichung der Baupläne stellt sich allerdings heraus, dass der Kurvenradius der Gleise für einen Verschub zu eng bemessen ist. Für die neue Streckenführung müssen zusätzliche Grundstücke erworben werden. In wilder Not werden Parzellen getauscht, zurückgegeben und neu gekauft.

Nur mit einem Immobilienbesitzer spießt es sich. Zwischenzeitlich werden aber bereits Gleise verlegt. Endlich, im Juni 2009, gibt der Grundbesitzer nach. Er kassiert 550.000 Euro – ein Vielfaches des Werts. Nun – nach fünf Jahren und etlichen Budgetüberschreitungen – hätte die allerletzte Lücke in der beinahe fertigen Trasse geschlossen werden können. Theoretisch. Praktisch wurde für das letzte Stück keine Baugenehmigung erteilt. In Rumänien hatte man andere Pläne für das frisch erworbene Stück Land. Hier sollte ein Autobahnanschluss errichtet werden. Der Beschluss dazu war zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als zwei Jahre alt. Die ÖBB-Tochter muss die Gleise rückbauen. Da ein Güterterminal ohne Streckenanschluss für eine Bahn wenig Sinn hat, muss das Projekt nun in der Bilanz wertberichtigt werden. Immerhin gibt es schon Pläne, den Schaden einzugrenzen: Die nutzlosen Gründe mit Aussicht auf die Autobahn sollen an Kleingärtner verkauft werden.

Slowakei:
Volles Risiko

Wieder 2007, wieder Express-Interfracht: Das Speditionsunternehmen Express Slovakia braucht von der Konzernmutter Express-Interfracht finanzielle Unterstützung. Über Kredite und Haftungen werden insgesamt mehr als 50 Millionen Euro zugeschossen. Kurz darauf werden in einem bis heute undurchschaubaren Geschäft 67 Prozent an der Gesellschaft verkauft, die restlichen 33 Prozent behalten die ÖBB. Und nicht nur das: Auch sämtliche Haftungen (30 Millionen) und Kredite (25 Millionen) bleiben an den ÖBB kleben. Die Gesellschaft wirft zwar jährlich kleine Gewinne ab, diese stehen aber in keinem Verhältnis zum Risiko.

Griechenland:
Lagerkoller

Im Vergleich zu anderen Landesgesellschaften nehmen sich die Zustände bei der griechischen Exif-Tochter nachgerade harmlos aus. Vor fünf Jahren ließ sich Exif Hellas in der Nähe von Thessaloniki ein Terminal errichten – dummerweise ohne Ausschreibung. Wegen grober Baumängel wird die Halle nicht benutzt, stattdessen werden extern Lager angemietet. Die Mängel werden bis heute nicht eingeklagt, obwohl es eine zehnjährige Garantie der Baufirma gibt.

Ungarn:
Verlorene Fracht

Ein bei Weitem überhöhter Kaufpreis, Investitionen in Millionenhöhe – und ein fragwürdiges Lobbyinghonorar: Seit vergangenem Herbst untersucht die Korruptionsstaatsanwaltschaft Wien die Übernahme der ungarischen Güterbahn MAV Cargo durch die ÖBB 2008. Expansionsmöglichkeiten nach Südosteuropa und ein Aufstieg in die Spitzenliga des europäischen Güterverkehrs – das sollen die Überlegungen gewesen sein, die den damaligen RCA-Vorstand Gustav Poschalko zu diesem Deal bewogen haben.
Allein: Es wurde ein teures Abenteuer.

Schon kurz nach der Übernahme der MAV Cargo war erste Kritik aufgekommen. Obwohl selbst die ungarische Regierung das Unternehmen auf lediglich 250 Millionen taxiert hatte, blätterten die ÖBB 391 Millionen auf den Tisch; hinzu kamen Investitionszusagen, Schuldenübernahme und Personalstandsgarantien bis Ende 2010. Womit sich das Ungarn-Engagement bis heute, so schätzt VP-Verkehrssprecher Ferdinand Maier, auf mindestens 650 Millionen Euro summiert.

Tatsächlich dürften sich die verantwortlichen Manager mit einiger Nachlässigkeit, jedenfalls aber mit einer Portion Naivität auf den Deal eingelassen haben. Der Bestand von 13.000 Waggons entpuppte sich zu einem Gutteil als schrottreif, der angeblich florierenden Waggonproduktionsstätte in Miskolc mangelt es gehörig an Auslastung.
Abgerundet wird das Bild durch eine Lobbyingaffäre, die in Ungarn bereits 2008 aufflog. Für nicht näher definierte Beratungsleistungen bei der Privatisierung wurden einem kleinen ungarischen PR-Büro
7,1 Millionen Euro bezahlt. Die Behörden in Budapest witterten Bestechung von Regierungsmitgliedern, mit einiger Verspätung wurde schließlich im Vorjahr ein Rechtshilfeansuchen an die Justiz in Wien übermittelt. Im Oktober kam es zu Hausdurchsuchungen bei den ehemaligen RCA-Managern Gustav Poschalko und Gerhard Leitner. In der Bilanz 2010 schlägt sich die Übernahme mit einem Minus von 240 Millionen Euro nieder.