"Oil for Food"-Affäre: Saddams Bakschisch

Bakschisch für Saddam

Skandal um das UN-Hilfs-programm für den Irak

Drucken

Schriftgröße

Das Haus Johannesgasse 26, 1010 Wien, ist ein seltsames Gebäude. Knochengrau, mit vergitterten Panzerglasfenstern, die vier Stockwerke ein wenig disproportioniert, klotzt es am Rande der Innenstadt: abweisend wie eine Zitadelle inmitten der herausgeputzten Innenstadtpalais. Seit Jahr und Tag beherbergt es die Botschaft der Republik Irak – und nebenbei barg es, zumindest bis zum Sturz des Regimes von Saddam Hussein, eine Vielzahl dunkler Geheimnisse.

In der Johannesgasse befand sich das irakische Spionage-Hauptquartier für ganz Europa: Von hier aus wurden Oppositionelle bespitzelt und vermutlich auch illegale Waffengeschäfte abgewickelt. Und im dämmrigen Empfangszimmer im Hochparterre versuchten Diplomaten schon einmal, österreichische Irak-Reisende bei Datteln, süßem Tee und der Aussicht auf arabische Nächte als Agenten anzuwerben.

Nun stellt sich heraus, dass die Botschaft zwischen 1996 und 2003 zudem Tatort eines abenteuerlichen Geldbeschaffungsprojekts gewesen sein dürfte. Unter dem Deckmantel des humanitären „Oil for Food“-Programms der Vereinten Nationen soll Saddam Hussein Milliardenbeträge zulasten seiner Not leidenden Bevölkerung abgezweigt haben. Ein von den UN beauftragtes unabhängiges Untersuchungskomitee (Independent Inquiry Committee, IIC) hat den Fall unter Vorsitz des früheren US-Notenbankers Paul Volcker seit April 2004 penibel untersucht. In seinem Abschlussbericht nennt das IIC die irakische Vertretung in Österreich als eine der Schwarzgeld-Sammelstellen für das frühere Regime – neben Umschlagplätzen wie Russland, Ägypten und der Schweiz.

Genannt werden auch die Namen von 37 österreichischen Unternehmen, die dem Saddam-Regime zwischen 1999 und 2003 im Gegenzug für lukrative Aufträge Millionenbeträge zugeschanzt haben sollen. Nach Ermittlungen des IIC sollen von österreichischen Unternehmen Schmiergeldzahlungen in Höhe von rund 7,5 Millionen Dollar geflossen sein, mit denen, so der Bericht, Aufträge im Wert von 85 Millionen Dollar erkauft worden sein sollen.

Isoliert. Als das „Oil for Food“-Programm im Jahr 1996 gestartet wurde, verfolgten die UN damit ein durchaus honorables Ziel: Nach dem durch die Besetzung von Kuwait ausgelösten Golfkrieg hatte die internationale Gemeinschaft den Irak 1991 fast vollständig isoliert. Um eine neuerliche Aufrüstung durch Profite aus Ölexporten zu verhindern, wurde vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein weit reichendes Handelsembargo verhängt.

Mit dramatischen Folgen: Die medizinische Versorgung brach fast vollständig zusammen, das Land stand zeitweilig am Rand der Hungersnot. Nach fünf Jahren verständigten sich UN und Irak auf einen Kompromiss. Dem Regime wurde wieder der Handel mit Öl erlaubt – allerdings nur in begrenztem Ausmaß und unter einer Reihe von Auflagen.

Der Irak konnte sich weit gehend selbst aussuchen, mit welchen Mineralölunternehmen er Geschäfte machen wollte. Unter seinen Partnern befand sich neben zahlreichen anderen internationalen Ölgesellschaften auch die heimische OMV, die laut UN allerdings keiner Malversationen verdächtigt wird.

Abgerechnet wurde unter Aufsicht der UN: Die Zahlungen für das Öl mussten auf Treuhandkonten bei der Pariser Großbank BNP Paribas überwiesen werden. Von dort aus sollten wiederum jene Unternehmen bezahlt werden, die den Irak mit humanitären Gütern belieferten.

So weit die Theorie. In der Praxis hatte das Saddam-Regime bald Möglichkeiten gefunden, beträchtliche Summen aus dem „Oil for Food“-Kreislauf abzusaugen. Und zwar durch ein „Kickback“-System, das im Lauf der Zeit perfektioniert und schließlich regelrecht standardisiert wurde.

Der Irak schmuggelte einerseits – mit Wissen und letztlich auch Duldung der UN – beträchtliche Mengen Öl außer Landes. Andererseits kassierte das Saddam-Regime von seinen „offiziellen“ Ölabnehmern illegale Provisionen. Und zudem wurden von den Lieferanten der Hilfsgüter so genannte „After Sales Services Fees“ eingehoben: Hatte sich ein Unternehmen bei der BNP Paribas das Geld für seine Hilfsgüter geholt, musste es gemeinhin zehn Prozent des ursprünglichen Auftragsvolumens an Bagdad zurückzahlen – an den UN vorbei, versteht sich.

Und zum Teil ganz einfach mit Dollar-Bündeln. „Aufschläge auf Ölkontrakte wurden manchmal bar bei irakischen Botschaften im Ausland beglichen“, hält der IIC-Bericht fest und nennt dabei ausdrücklich auch Österreich. Anders ausgedrückt: Unternehmer oder deren Mitarbeiter dürften in die Johannesgasse getrabt sein, um dort das eine oder andere prall gefüllte Kuvert auf den Tisch zu legen.

Aus der Vertretung des Irak in Moskau ist verbrieft, dass Barbeträge regelmäßig in „roten Segeltuchtaschen“ (Zitat) abtransportiert wurden, die „bis zu 1,5 Millionen Dollar fassten“ – deklariert als Diplomatengepäck und mit Wachs versiegelt. Das Prozedere in Wien dürfte nicht viel anders ausgesehen haben. War der Tresor wieder einmal voll, wurden die Banknotenbündel außer Landes geschmuggelt und in Filialen der Rafidain Bank im Irak oder in Jordanien deponiert.

Die zweite Möglichkeit: Akontozahlungen auf so genannte „Brückenkonten“, die von der Irakischen Zentralbank (Central Bank of Iraq, CBI) ab dem Frühjahr 2001 bei Kreditinstituten im Nahen Osten eingerichtet wurden. Abschöpfungsaufträge sorgten dafür, dass Guthaben auf diesen Konten automatisch alle 24 Stunden an die CBI transferiert wurden.

Möglichkeit Nummer drei: Überweisungen an Unternehmen mit Strohmann-Funktion, so genannte „Front Companies“: ausländische Gesellschaften, die nun zum Einflussbereich der Iraker gezählt werden und ihren Sitz in Ägypten, im Libanon und den Vereinigten Arabischen Emiraten haben oder hatten. Sie sollen für ihre Gefälligkeiten Provisionen kassiert haben.

Insgesamt, so das IIC, sollen weltweit rund 2200 Unternehmen und somit die Hälfte aller am „Oil for Food“-Programm beteiligten Gesellschaften Schmiergeld an das Regime von Saddam Hussein gezahlt haben – darunter auch solche aus Österreich. Das Untersuchungskomitee stützt sich bei seinen Erkenntnissen eigenen Aussagen zufolge auf eingehende Recherchen. Eineinhalb Jahre lang durchforsteten IIC-Mitarbeiter die Archive des „Oil for Food“-Programms und der irakischen Ölvertriebsgesellschaft SOMO, analysierten Bankkonten, befragten hunderte Zeugen – und wollen dabei ganz konkrete Hinweise auf Kickbacks in einer Gesamthöhe von 1,8 Milliarden Dollar (umgerechnet fast 1,5 Milliarden Euro) entdeckt haben.

In den vergangenen Wochen und Monaten bekamen jene Unternehmen, die dabei unter Verdacht geraten waren, Post aus New York: Es gebe Hinweise darauf, dass sie in illegale Kickback-Zahlungen verwickelt seien, hieß es in den Schreiben, die mit der Aufforderung endeten, eine Stellungnahme abzugeben. 37 dieser Briefe trugen österreichische Adressen.

Reaktionen. Bei den meisten der solcherart kontaktierten Unternehmen lösten die pikanten Schreiben nur marginale Reaktionen aus: 29 der zur Stellungnahme aufgeforderten österreichischen Unternehmen bestätigten gegenüber dem IIC nicht einmal den Eingang der Briefe. Zwei ließen das Komitee immerhin wissen, dass sie keinen Kommentar abzugeben wünschen. Nur sechs dementierten explizit, jemals Schmiergeld bezahlt zu haben.

Die im Zusammenhang mit mutmaßlicher Korruption genannten Beträge belaufen sich je nach Unternehmen auf wenige hundert bis beachtliche 1,17 Millionen Dollar: So viel soll laut IIC etwa die Marquette Hellige GmbH, eine in Wien domizilierte Tochtergesellschaft des US-amerikanischen General-Electric-Konzerns, dem Regime klandestin überwiesen haben – um im Gegenzug hochoffiziell Waren und Leistungen im Wert von 12,89 Millionen zu verkaufen.

Marquette Hellige war bereits in einem früheren Bericht des IIC genannt worden. Geschäftsführer Günther Gisperg damals gegenüber profil: „Das ist absoluter Blödsinn. Bei einem Konzern wie General Electric wird alles ganz penibel geprüft.“

Die oberösterreichische Meco Electronic-Trading GmbH findet sich mit einem Auftragsvolumen von zwei Millionen Euro auf der Liste. Meco hatte unter anderem Kupferdraht, Pumpen und Kompressoren an den Irak geliefert – und soll dafür 193.533 Dollar an „After Sales Service Fees“ nach Bagdad transferiert haben. Meco weist den Vorwurf zurück: „Wir haben den Irakern mit Sicherheit nichts gezahlt.“

Ähnlich die Wiener Odelga Handels GmbH, die mit angeblichen Kickbacks in Höhe von 293.607 Dollar genannt wird. „Auf der Liste stehen Kontrakte, die nie ausgeliefert wurden“, sagt Geschäftsführer Herbert Kacher. „Warum soll ich für ein nicht zustande gekommenes Geschäft zahlen?“ An das Regime sei „kein Groschen und auch kein Cent“ geflossen, so Kacher.

Der IIC-Report hält freilich auch eines fest: Die Tatsache, dass ein Kontrakt im Zusammenhang mit Kickbacks stehe, „heißt noch nicht, dass sich das jeweilige Unternehmen zum Zeitpunkt der Zahlung der Illegalität bewusst war“.

Reaktionen. Der börsenotierte Mondseer Wassertechnik-Hersteller BWT nimmt diesen Passus für sich in Anspruch: Das Unternehmen hat unter anderem Wasserenthärter im Gegenwert von 1,6 Millionen Dollar in den Irak exportiert – und soll sich dafür laut IIC-Dossier mit 145.719 Dollar illegale Provisionen erkenntlich gezeigt haben. BWT-Chef und Aktionär Andreas Weißenbacher ist ratlos: „Wir werden völlig unschuldig in etwas hineingezogen. Wir haben keine wie immer gearteten Sonderzahlungen geleistet.“ Der Auftrag sei über einen lokalen Partner abgewickelt worden. „Ob der geschmiert hat, weiß ich nicht“, so Weißenbacher.

Auch die zum gleichfalls börsenotierten Edelstahlkonzern Böhler-Uddeholm gehörende Böhler Schweißtechnik Austria GmbH hatte mit einem „Partner“ zu tun. Generaldirektor Claus Raidl lässt auf Anfrage ausrichten, das Unternehmen habe über eine in Dubai ansässige Gesellschaft namens Dome International Schweißelektroden in den Irak geliefert. Auftragswert: 35.000 Dollar, bei einem Konzernumsatz von 1,934 Milliarden Euro eine nachgerade lächerliche Summe. Laut Report sollen dabei 3159 Dollar an Schmiergeld fällig geworden sein. Böhler-Uddeholm bestreitet das: „Der Vertrag wurde von Dome vermittelt, wir haben dafür eine ganz übliche Provision überwiesen.“ Nach Dubai und nicht in den Irak, wie das Unternehmen ausdrücklich festhält.

Bloß: Gerade in den Vereinigten Emiraten saßen jene so genannten Front Companies, die das irakische Regime gegen Provision mit Schwarzgeld versorgten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch Dome International zu ihnen zählte, obwohl das Unternehmen im Bericht des IIC nicht namentlich genannt wird.

Der IIC-Bericht könnte nun freilich juristische Konsequenzen in Österreich nach sich ziehen: Laut Justizministerium wären nachgewiesene illegale Zahlungen eine Umgehung von Embargobestimmungen, auf die Haftstrafen von bis zu zwei Jahren stehen. In der Schweiz hat die Justiz unmittelbar nach Veröffentlichung des Reports Untersuchungen eingeleitet. Die hiesigen Behörden halten sich vorerst bedeckt. „Uns liegen bis jetzt nur Tabellen aus dem Internet vor“, so ein Sprecher von Justizministerin Karin Gastinger. „Vor allfälligen Schritten müssen wir erst mehr über die Hintergründe herausfinden.“

Von Michael Nikbakhsh und Martin Staudinger