„Es gibt keine ­militärische Lösung“

Ban Ki-moon: „Es gibt keine ­militärische Lösung"

Exklusiv-Interview. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon ist gegen eine Bewaffnung der syrischen Opposition

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Interview: Otmar Lahodynsky und Robert Treichler

profil: 70.000 Tote, Hunderttausende Vertriebene: Die Lage in Syrien ist vollends außer Kontrolle geraten. Die bisherigen Friedensbemühungen der Vereinten Nationen sind gescheitert, der Weltsicherheitsrat kann sich auf keine relevante Resolution einigen. Was nun?
Ban Ki-moon: Ich bin von der derzeitigen Situation wirklich tief erschüttert. Jeden Tag werden 100 oder sogar noch mehr Menschen getötet. Allein im vergangenen Monat wurden 150.000 Flüchtlinge registriert. Aber die Aussagen des syrischen Oppositionsführers Ahmed Moaz ­al-Khatib, der einen Dialog mit Vertretern der syrischen Regierung vorschlägt, haben mich doch wieder ermutigt. Die syrische Regierung hat darauf sehr positiv geantwortet, aber offenbar können sich beide Seiten nicht auf ­gewisse Bedingungen einigen. Meine Botschaft, gemeinsam mit dem UN-Sonderbeauftragten für Syrien, Lakhdar Brahimi, bleibt die gleiche: Die Konfliktparteien sollen Verhandlungen aufnehmen. Es gab kürzlich ein Treffen der Gruppe der „Freunde des syrischen Volkes“ in Rom. Und es ist auch eine Begegnung von Herrn al-Khatib mit einigen wichtigen Partnern geplant. Ich hoffe, dass dieser Dialog weiter vorangetrieben wird. Denn es gibt keine militärische Lösung.

profil: Welche dann?
Ban Ki-moon: Das wichtigste Ziel bleibt natürlich eine politische Lösung. Da diese leider nicht in Sicht ist, haben die Vereinten Nationen alle zur Verfügung stehenden Ressourcen mobilisiert, um wenigstens humanitäre Hilfe zu leisten. Ich hatte für Ende Jänner eine internationale Geberkonferenz in Kuwait einberufen, bei der 1,5 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt wurden. Dieser Betrag wird bis Ende Juni reichen, aber wir müssen auch danach die grundlegende humanitäre Hilfe bereitstellen. Ich zähle auf die Großzügigkeit der internationalen Gemeinschaft.

profil: US-Außenminister John Kerry hat angekündigt, gepanzerte Fahrzeuge und „nicht tödliche“ Ausrüstung an die Rebellen zu liefern. Soll man diese auch mit kriegstauglichen Waffen unterstützen?
Ban Ki-moon: Ich möchte die Aktionen einzelner Staaten nicht kommentieren. Aber meine Position und jene der Vereinten Nationen bleibt klar: Es gibt keine militärische Lösung in diesem Konflikt. Ich habe an alle Länder, die Waffen an eine der Konfliktparteien liefern wollen, appelliert, dies zu unterlassen. Denn wenn Waffen an die Konfliktparteien gelangen, verlängert dies nur die militärische Konfrontation und führt zu noch mehr Opfern.

profil: Lehnen Sie auch Vorschläge wie die Verhängung von Flugverbotszonen ab?
Ban Ki-moon: Ich glaube nicht, dass die internationale Gemeinschaft, besonders der UN-Sicherheitsrat, derzeit bereit ist, über eine solche Flugverbotszone zu diskutieren. Die Mitglieder des Sicherheitsrates konnten nicht einmal untereinander Einigung erzielen.

profil: Russland und China haben bisher alle Maßnahmen der UN durch ihr Veto blockiert. Sehen Sie irgendeinen Ausweg aus dieser Situation?
Ban Ki-moon: Ich will keine einzelnen Länder nennen. Aber es ist wichtig, dass rasch Einigung in drei wichtigen Bereichen erzielt wird: Erstens sollte das syrische Volk sich darüber einig werden, dass es über sein Schicksal und seine Zukunft gemeinsam diskutieren muss – und auch darüber, wie man weitere Opfer und die Zerstörung der Städte vermeidet. Zweitens sollte eine Einigung im Sicherheitsrat und drittens in der Region selbst erreicht werden. Die Länder der Region vertreten konträre Positionen in dieser Frage. Wir sehen also Meinungsunterschiede auf drei Gebieten. Das muss so schnell wie möglich aufhören.

profil: Sollte Präsident Baschar al-Assad vom Internationalen Strafgerichtshof wegen des dringenden Verdachts auf Kriegsverbrechen angeklagt werden?
Ban Ki-moon: Meine Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, hat erklärt, dass dieser Fall vom Internationalen Strafgerichtshof behandelt werden sollte. Und auch ich unterstütze eine Diskussion hier­über. Diese enormen Verletzungen von Menschenrechten können gleichbedeutend mit Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein. Um diese vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen, sollte der UN-Sicherheitsrat eine Empfehlung abgeben. Aber leider konnte er sich auch darauf nicht einigen.

profil: Der Staat Syrien und seine Bevölkerung gehen langsam zugrunde, der Sicherheitsrat ist nicht willens oder in der Lage zu handeln. Ist es für Sie nicht enttäuschend, wenn Sie immer nur eine Einigung fordern, die niemals kommt?
Ban Ki-moon: Es gibt dort seit drei Jahren schwere Kämpfe. Haben wir irgendwelche Fortschritte bei der Lösung dieses Konflikts gesehen? Nein. Wie gesagt, es muss dort ein politischer Prozess in Gang kommen. Aber leider geht stattdessen das Töten weiter, und das gesamte Gesellschaftssystem wird zerstört.

profil: Im Fall Libyens hat die Welt nicht auf eine Einigung der Konfliktparteien gewartet. Es gab Flugverbotszonen, und die Rebellen wurden bewaffnet und militärisch unterstützt.
Ban Ki-moon: Der Fall Libyen stellt sich ganz anders dar. Der Sicherheitsrat konnte sehr rasch die Resolutionen 1970 und 1973 verabschieden, auch auf Grundlage der einstimmigen Empfehlung der Liga der Arabischen Staaten, eine Flugverbotszone einzurichten. Der Sicherheitsrat handelte auf Basis der Vorschläge der regionalen Organisationen. Im Falle Syriens fehlt hingegen ein Konsens der Arabischen Liga. Das erschwert auch die Arbeit unseres gemeinsamen Sondergesandten Lakh­dar Brahimi. Er hat alle wichtigen Politiker in der Region und in der Welt getroffen. Aber leider bleibt die Welt zum Konflikt in Syrien tief gespalten. Es ist eine zutiefst unglückliche Situation.

profil: Warum machen Sie in direkten Gesprächen nicht mehr Druck auf Moskau und Peking, ihre Blockadehaltung aufzugeben?
Ban Ki-moon: Seien Sie versichert: Ich treffe zu diesem Konflikt laufend die wichtigsten Weltpolitiker und werde mich auch weiterhin um eine Lösung bemühen.

profil: Der Konflikt in Syrien betrifft auch die UN-Friedenstruppen auf den Golanhöhen. Kroatien zieht wegen der unsicheren Lage sein Kontingent von dort ab. Österreichische Blauhelm-Soldaten gerieten auf dem Weg zum Flughafen in Damaskus in ein Feuergefecht. Sollte es eine neue, sichere Versorgungsroute geben, etwa durch den Libanon oder durch Israel?
Ban Ki-moon: Lassen Sie mich zunächst betonen, wie sehr ich den Beitrag der österreichischen Regierung für das UNDOF-Kontingent auf den Golanhöhen schätze. Ich habe darüber mit Bundespräsident Heinz Fischer und Außenminister Michael Spindelegger gesprochen. Wir sind über die andauernde Infiltration syrischer Truppen in das UNDOF-Operationsgebiet sehr besorgt, auch über das Verschwinden eines UN-Soldaten vor einem Monat. Derzeit bemühen wir uns, seinen Aufenthaltsort herauszufinden und zu klären, was da passiert ist. Außerdem verurteile ich die Festsetzung von 21 UNDOF-Blauhelmen durch bewaffnete Gruppen. Was die Route zum Golan betrifft, hat mir Präsident Fischer seine Besorgnis mitgeteilt. Wir bemühen uns um eine sicherere Zufahrtsroute. Wir werden weiter mit den betroffenen Parteien der Region über die Sicherheit der UN-Truppen reden.

profil: Zum Konfliktherd Mali: Wird dorthin bald eine UN-Friedensmission entsandt werden? Erwarten Sie eine Beteiligung Österreichs?
Ban Ki-moon: Der Sicherheitsrat berät diese Frage in enger Kooperation mit den Behörden in Mali, der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas und der Afrikanischen Union. Wegen der anhaltenden Gefechte in Mali hat der Sicherheitsrat darüber noch keine Entscheidung ­getroffen. Ich habe den Mit­gliedern des ­Sicherheitsrates erklärt, dass sich die UN auf die Entsendung von Friedenstruppen nach Mali vorbereiten, aber dass wir dafür eine genaue Einschätzung der Situation vor Ort benötigen. Auch über die Art des Mandats fehlt noch eine Entscheidung. Die Situation ist noch immer gefährlich. Es gab vor Kurzem Gefechte zwischen Truppen des Tschad und bewaffneten Gruppen. So erfolgreich der Einsatz der Truppen unter französischer Führung war, diese bewaffneten Gruppen der Dschihadisten und Terroristen konnten noch immer nicht vollständig besiegt werden.

profil: Sie haben in Wien Irans Außenminister Ali Akbar Salehi getroffen. Es gibt Berichte, wonach der Iran bei der Entwicklung von waffenfähigem Uran Fortschritte erzielt hat.
Ban Ki-moon: Ich habe Minister Salehi nach seiner Einschätzung seines Treffens mit der P5-plus-1-Gruppe (die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und Deutschland, Anm.) in Almaty gefragt. Er zeigte sich sehr optimistisch, aber wir müssen die Lage genauer analysieren. Dass beim Treffen in Kasachstan neue Gespräche auf Expertenebene vereinbart wurden, bewerte ich positiv. Aber ich habe der Führung im Iran klargemacht, dass die iranische Regierung alles unternehmen muss, um die internationale Gemeinschaft zu überzeugen und bei ihr Vertrauen über das Atomprogramm herzustellen. Es gibt noch immer aufrechte Bedenken, ob das Atomprogramm wirklich nur friedlichen Zwecken dient. Ich habe Außenminister Salehi erklärt, dass es in der Verantwortung des Iran liegt, darüber Vertrauen herzustellen.

profil: Das führt zu einem anderen Konflikt – in Ihrer Heimat Korea. Nordkorea hat kürzlich einen neuen Atomwaffentest durchgeführt. Kim Jong-un provoziert mit Truppenübungen und stößt wilde Drohungen aus.
Ban Ki-moon: Das finde ich völlig inakzeptabel, und es ist auch eine Herausforderung für die internationale Gemeinschaft. Der dritte Nukleartest verstieß ­gegen gültige Resolutionen des Sicher­heitsrates und stellt eine Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit in der Region und in der ganzen Welt dar. Ich habe die nordkoreanische Führung dringend ersucht, dass sie das Wohlergehen ihrer eigenen Bevölkerung angesichts der ernsten wirtschaftlichen Probleme im Auge haben solle und danach die Verwendung der begrenzten Ressourcen ausrichten möge. Denn es gibt eine ernsthafte humanitäre Krise in Nordkorea. Viele Menschen leiden an Unterernährung. Daher sollte sich die Führung Nordkoreas auf das Ziel einer besseren Zukunft ihrer Bürger konzentrieren und einen Dialog über Kooperation und Austausch zwischen den beiden Teilen Koreas führen. Die Republik Korea hat gerade eine neue Präsidentin gewählt. Das wäre doch ein gutes Timing für die Führung der beiden Konfliktparteien, ernsthaft dar­über zu diskutieren, wie sie nationale Versöhnung bestärken und Spannungen auf der koreanischen Halbinsel abbauen können, auch im Hinblick auf eine mögliche Wiedervereinigung des Landes.

profil: Sie nahmen in Wien am 5. Forum der UN-Allianz der Zivilisationen teil. Haben die interkonfessionellen und inter­ethnischen Konflikte in den vergangenen Jahren nicht weiter zugenommen?
Ban Ki-moon: Diese Initiative wurde gegründet, um gegen weltweit wachsende Intoleranz, Hass und interkulturelle Spannungen aufzutreten. Sie kann helfen, Brücken zu bauen. In der gegenwärtigen vergifteten Atmosphäre stellt die Förderung von Toleranz leider eine langwierige Aufgabe dar. Aber sie ist notwendig.

Zur Person
Ban Ki-moon, 68
Der südkoreanische Diplomat und ehemalige Außenminister ist seit 2007 Generalsekretär der Vereinten Nationen. Davor, in den Jahren 1998 bis 2000, war Ban Botschafter der ­Republik Korea in Österreich. Als UN-Generalsekretär steht Ban für eine Aussöhnung mit den USA, nachdem sein Vorgänger Kofi Annan Washington wegen des Irak-Kriegs scharf kritisiert hatte. Im März 2007, kurz nach Amtsantritt, wurde während eines nicht angekündigten Besuchs in Bagdad auf Ban ein Terroranschlag verübt. Die Rakete schlug jedoch im Nebengebäude ein, Ban blieb unverletzt.
Im Juni 2011 wurde der Südkoreaner von der Generalversammlung der Vereinten Nationen einstimmig für eine zweite Amtszeit gewählt. Diese endet am 31. Dezember 2016. In Wien nahm Ban Ki-moon am 5. Forum der UN-Allianz der ­Zivilisationen teil.