Leitartikel: Sven Gächter

Bananenforschung

Bananenforschung

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Wenn Politiker hin und wieder aus sich selbst heraus- und gleichsam zu ihrem eigenen Publikum über­treten könnten, dann würden sie – vorausgesetzt, sie verfügten noch über einen Rest von realistischem Urteilsver­mögen – alles andere als wohlig erschauern: über ihre ­Betriebsblindheit, über ihren Starrsinn und über ihre Schmierendarstellungen. Sie würden, geblendet von so viel unvergorener Ignoranz, augenblicklich wieder in den Politikerhabitus schlüpfen und in der Folge schon deshalb nichts, aber auch gar nichts besser machen, weil sie, um ­weiter funktionieren zu können, alles verdrängen müssten, was sie vorher gesehen haben.

Das Publikum tut sich in dieser Hinsicht weniger leicht: Es hat lediglich die Wahl zwischen Kopfschütteln, Fassungslosigkeit und schierem Ekel. Der Begriff „Politikverdrossenheit“ muss unverzüglich zum Euphemismus erklärt werden: Er bezeichnet einen Sachverhalt auf eine Weise, die diesem unverdient schmeichelt. Die Herren Platter, ­Missethon, Molterer, Cap und Kalina – um nur die in der vergangenen Woche tonangebenden zu nennen – arbeiten ebenso schonungslos wie systematisch an der Demontage dessen, was als das Ideal vertrauenswürdiger Politik selbst bei unverbesserlichen Utopisten in Vergessenheit zu geraten droht.

Die von dem früheren Direktor des Bundeskriminal­amtes, Herwig Haidinger, enthüllten Machinationen im Innenministerium liefern selbst dann ein Sittenbild realpolitischer Verkommenheit, wenn sie sich nicht bis ins letzte Detail erhärten lassen sollten. Allein die Art und Weise, wie die großkoalitionären Intimfeinde die mutmaßlichen Skandale rund um die Ermittlungen in den Fällen Kampusch und Bawag nun für einen lauten und schäbigen Zwischenwahlkampf ­instrumentalisieren, kommt einer Verhöhnung jeder demokratischen Kultur gleich. Dass die ÖVP dabei – wie immer, wenn sie in Bedrängnis gerät und den Binnengegner deshalb mit ­besonders rüden Methoden attackiert – die Nase leicht vorn hat, ist nebensächlich: Die SPÖ wiederum scheitert – wie immer, wenn ein Mindestmaß von Professionalität gefordert wäre – an ihrem Unvermögen, aus skandalträchtigen Zuständen wenigstens genauso ungeniert strategisches Kapital zu schlagen wie die zum Fürchten abgebrühte Volkspartei.
Bis zum Beweis des Gegenteils gilt pauschal die Unschuldsvermutung, doch bereits jetzt kann kein Zweifel daran bestehen, wie die Schuldfrage (und eine solche liegt angesichts der Fakten­­-­lage unwiderlegbar vor) am Ende geklärt werden dürfte: ­bestenfalls mit der Benennung eines sicherlich nicht höchst­rangigen Sündenbocks, der laut offizieller Version seine Kompetenzen frech überschritt – ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei den „Kompetenzüberschreitungen“ um macht- und parteitaktische Manöver handelte, die nicht an den letztverantwortlichen Entscheidungsträgern vorbei ­eingefädelt, sondern in Wahrheit nur auf deren ausdrück­liches Betreiben hin exekutiert werden konnten.

Die jüngste Skandalwelle hat eine rechtsstaatliche, eine politische und eine atmosphärische Dimension, wobei die Implikationen unterschiedlich fatal sind. Der rechtsstaatliche Aspekt betrifft den Verdacht des fortgesetzten Amtsmissbrauchs und ist von der Staatsanwaltschaft und gegebenenfalls einem Gericht zu klären. Der politische Aspekt betrifft die Frage eines Untersuchungsausschusses, die ­vergangene Woche von der ÖVP mit einem so zornig dröhnenden „Nein“ abgeschmettert wurde, dass selbst brave Parteigänger argwöhnisch werden mussten. Die atmosphärische Dimension schließlich ist die prekärste. Sie betrifft den Bürger und sein Verhältnis zu den von ihm bestellten Volksvertretern und der Redlichkeit ihrer Arbeit. Nach etwas mehr als einem Jahr unablässigen Hauens und Würgens hat die große Koalition ihren öffentlichen Kredit ohnehin längst verspielt. Was sie derzeit ­jedoch vor dem Hintergrund der Affäre Haidinger (die in Wahrheit eine ÖVP-Affäre ist) aufführt, untermauert sämtliche Vorurteile, die seit jeher über den Menschenschlag Politiker kursieren. Er ist wieder einmal im Begriff, an zwei zentralen demokratiepolitischen Maximen zu scheitern: Missstände gar nicht erst zuzulassen beziehungsweise, wenn sie nicht mehr zu leugnen sind, restlos auf­zuklären.

„Diese Methoden, aus partei­politischen Rücksichten Erhebungen vorzunehmen oder nicht vorzunehmen, erinnern an Bananenstaaten der Dritten Welt – und das wollen wir doch wirklich nicht sein“, erklärte der ehemalige Rechnungshofpräsident und heutige Präsident des Beirates von Transparency ­International, Franz Fiedler, vergangenen Donnerstag. „Zum Speiben“, meinte, eine Spur weniger gewählt, mein Trafikant in einer Mischung aus Resignation und Abscheu, und ich konnte ihm beim besten Willen nicht widersprechen.