Banken: Helden der Arbeit

Wie der ÖGB die BAWAG zurückkaufte

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„Herrn der Fabriken, ihr Herren der Welt, endlich wird eure Herrschaft gefällt. Wir, die Armee, die die Zukunft erschafft, sprengen der Fesseln engende Haft.“
Aus dem Kampflied „Die Arbeiter von Wien“

Günter Weninger verlebte die vergangenen Wochen nicht eben wie einer, der Großes im Schilde führt. Der Vizepräsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und Aufsichtsratschef der Bank für Arbeit und Wirtschaft (Bawag) weilte offiziell auf Urlaub. Er habe, wie er versichert, „nur ein wenig herumtelefoniert“. Etwa zur gleichen Zeit zogen über ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch immer dichtere Gewitterwolken auf. Die internen Auseinandersetzungen um den Zusammenschluss von fünf Einzelgewerkschaften drohten langsam, aber sicher aus dem Ruder zu laufen.

Was so en passant geschieht, wenn der eine blaumacht, während der andere abtrünnige Genossen einzufangen versucht, durfte die Öffentlichkeit am Dienstag vergangener Woche eindrucksvoll erfahren.

Ausgerechnet auf dem Höhepunkt des Richtungsstreits im ÖGB hat das zehnköpfige Präsidium am 25. Mai den vielleicht bedeutendsten Deal in der Geschichte der Bewegung finalisiert: die volle Übernahme der Bank für Arbeit und Wirtschaft (Bawag).

Mit Wirkung 30. Juni 2004 wird das 46-prozentige Aktienpaket, das in den dunklen Wochen der Konsum-Pleite 1995 an die Bayerische Landesbank (BLB) verkauft worden war, wieder nach Österreich geholt. Der ÖGB, der seither 54 Prozent gehalten hatte, avanciert damit über Nacht zum Alleinaktionär von Österreichs viertgrößter Bankengruppe Bawag/P.S.K.

„Dem ÖGB“, erklärte Verzetnitsch im Anschluss an die Sitzung trocken, „ist es darum gegangen, die Zukunft der Bawag abzusichern und eine österreichische Eigentümerschaft zu gewährleisten.“ Und sein bekannt wortkarger Vize Weninger sprach überhaupt nur von einem „guten Tag“.

Etwas Tarnung, ein wenig Täuschung, vor allem aber viel Tiefstapelei: Die Funktionäre des Gewerkschaftsbundes haben in nur sechswöchigen Geheimverhandlungen ein Husarenstück abgeliefert, das selbst hartgesottene Investmentbanker wie ordinäre Stiefelknechte aussehen lässt.

Schleuderpreis. Das Sensationelle daran ist weniger die Heimholung der Bawag selbst: Die Bank hatte schon bisher mehrheitlich im Einflussbereich des ÖGB gestanden, der Zukauf weiterer Aktien wird daran nichts ändern. Die eigentliche Sensation ist der Preis. Die Bayern erhalten für das 46,4-prozentige Aktienpaket kaum mehr, als sie selbst vor neun Jahren dafür bezahlt hatten. Obwohl die Gewerkschaftsbank heute dreimal größer ist als damals.

Der ÖGB wird nach profil exklusiv vorliegenden internen Informationen 500 Millionen Euro nach München überweisen. Also bloß 30 Millionen mehr, als die Deutschen seinerzeit springen lassen mussten (siehe Kasten Seite 62). ÖGB-Finanzchef Weninger, der sich in den Verhandlungen der angesehenen Wiener Anwaltskanzlei Preslmayr & Partner bediente, will das nicht kommentieren. „Wir haben Stillschweigen vereinbart. Das Ergebnis ist jedenfalls sehr akzeptabel.“ Etwas größere Töne spuckt da schon Präsidiumskollege Karl Klein, Chef der Fraktion Christlicher Gewerkschafter im ÖGB: „Die Deutschen haben die Hosen runtergelassen.“

Wie weit, lassen Erhebungen der Konkurrenz erahnen. Eine bislang unveröffentlichte Schätzung der Erste Bank taxiert die gesamte Bawag-Gruppe, an der neben der Postsparkasse durchaus gewichtige Beteiligungen an den Österreichischen Lotterien, der Oesterreichischen Nationalbank, der Bausparkasse LBA sowie kleinere Finanztöchter in Osteuropa hängen, auf 1,8 Milliarden bis 2,4 Milliarden Euro. Die 46 Prozent der BLB wären demnach zwischen 800 Millionen und einer Milliarde Euro wert. Selbst unter Einrechnung eines branchenüblichen Abschlages hätte für die Deutschen mehr herausschauen können als lumpige 500 Millionen Euro.

Aber üblich oder gar normal war in der neun Jahre währenden Distanzbeziehung Wien-München ohnehin kaum etwas.

Schon die Ausgangssituation 1995 verhieß jede Menge Unterhaltung: Hier die 1922 als „Arbeiterbank“ gegründete Bawag, Hüterin des sagenumwobenen ÖGB-Streikfonds, letzte Bastion der österreichischen Sozialdemokratie – dort die erzkonservative, kreuzbrave Bayerische Landesbank mit CSU-Staatsminister a. D. Franz Neubauer, obendrein Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, an der Spitze.

Kampf der Kulturen. Bis heute hält sich in Wien das Ondit, Neubauer habe nicht nur einmal versucht, den Wiener Klassenkämpfern vor jeder Aufsichtsratssitzung die Segnungen des gemeinsamen Gebets nahe zu bringen. Er hatte damit eher keinen Erfolg. Wie auch. Von den 24 Damen und Herren im Kontrollorgan sind bis heute 17 Gewerkschafter, Bawag-Betriebsräte oder beides. Und im Vorstand plagte sich bis zuletzt gerade einmal ein Vertrauensmann der Bayern.

Neubauer hatte 1998 zurücktreten müssen. Einst wortgewaltig, präferiert er heute zu schweigen. In einem Schreiben an profil teilt er bloß mit, dass er seit sechs Jahren ausgeschieden sei und die „zwischen Bayerischer Landesbank und Bawag eingetretenen Entwicklungen“ nicht kenne.
Sollte er aber.

Neubauer hatte sich 1995 auf einen „Konsortialvertrag“ mit dem ÖGB eingelassen, an dem sich Nach-Nachfolger Werner Schmidt Jahre später die Zähne ausbeißen sollte. Neben wechselseitigen Vorkaufsrechten legte das Papier im Wesentlichen fest, dass die Bayern bei einem allfälligen Verkauf an Dritte die Zustimmung des ÖGB einholen hätten müssen. Was letztlich auch eintrat.

Als Werner Schmidt im Juni 2001 den Vorstandsvorsitz in München von Alfred Lehner erbte, steckte die Bayerische Landesbank mitten in einer der schlimmsten Krisen ihrer Geschichte. Gewaltige Ausfälle im Kreditgeschäft, darunter die Kirch-Pleite, der Enron-Skandal und die argentinische Währungskrise, hatten die Bilanz derart zerzaust, dass Schmidt zu Notverkäufen greifen musste. 2002 wurde eine ganze Reihe von Beteiligungen abgegeben, darunter auch die erst drei Jahre zuvor erworbene Beteiligung an der Tiroler Sparkasse (Käufer: Erste Bank).

Beim Durchforsten des Beteiligungsportefeuilles stießen die Deutschen alsbald auch auf die Bawag. Die hatte bis dahin zwar artig zwischen fünf und sieben Millionen Euro jährlich an Dividenden nach München überwiesen. Aus der einst erhofften Kooperation im ertragreichen Ostgeschäft war jedoch wenig geworden. Und in Österreich lief es nicht viel besser. So soll es schon nach der 1,28 Milliarden Euro teuren Übernahme der P.S.K. im Jahr 2000 immer öfter zu verbalen Schlagabtäuschen zwischen Wien und München gekommen sein. Der 2003 abgetretene Bawag-Generaldirektor Helmut „Marcel“ Elsner hatte die Bayern damals zwar kräftig mitzahlen lassen. Mitreden durften sie freilich nie. Die von der Landesbank vehement geforderte Fusion von Bawag und P.S.K. zu einer Marke ist bis heute Illusion. „Der Marcel“, erinnert sich ein Intimus, „hat die Burschen nicht nur einmal wie Schulbuben behandelt.“

Umgekehrt sollte die vor eineinhalb Jahren vor Elsners Ruhestandsantritt aufgeflogene Affäre um die vorzeitige Abfindung seiner Pensionsansprüche in der Höhe von gut 3,5 Millionen Euro den Haussegen endgültig in Schieflage bringen.
„Die Deutschen haben uns damals signalisiert, dass sie mit den Verhältnissen in Wien nicht zufrieden sind“, rekapituliert Bawag-Aufsichtsratschef Weninger, „wir hatten jedoch keinen Handlungsbedarf.“

Die Mesalliance. BLB-Chef Schmidt lässt über seinen Sprecher Peter Kulmburg nur ausrichten: „Es ist ja nicht so, dass die Bawag an sich eine grottenschlechte Bank wäre. Aber unsere Eigentümersituation war unbefriedigend.“
Das dürften auch alle potenziellen Interessenten, denen die Bayern das Bawag-Paket ab 2002 angedient hatten, so gesehen haben. Ein Wiener Banker: „Die haben in Europa so gut wie jeden gefragt. Aber man muss schon einen Klopfer haben, legt man sich mit einer Gewerkschaft ins Bett.“

Außer man ist die Gewerkschaft selbst. Die ÖGB-Spitze kann heute kaum verhehlen, dass sie die Bayerische Landesbank – gewollt oder nicht – mit ihrem Bestemmverhalten an den Rand des Wahnsinns getrieben haben dürfte. Vizepräsident Weninger: „Eine Abgabe der Mehrheit stand für uns nie zur Debatte. Und einem Verkauf an Dritte hätten wir auch nicht zugestimmt.“

Während der ÖGB auf Zeit spielte, begann diese der BLB davonzulaufen. Das Institut steht jeweils zur Hälfte im Einfluss des Freistaates Bayern und seiner Sparkassen. Ein Sektor also, der demnächst einen schwierigen Konzentrationsprozess durchlaufen dürfte. In den kommenden Jahren wird eine Reihe deutscher Sparkassen durch Fusionen vom Markt verschwinden. Will BLB-Chef Schmidt, dessen Landesbank zu den größten Instituten des deutschen Sektors zählt, seine Vision von einer starken süddeutschen Sparkassengruppe realisieren, wird er vor allem eines brauchen: Geld.

Was ihn schließlich dazu verleitet haben dürfte, dem ÖGB die Bawag zum Schleuderpreis von 500 Millionen Euro anzudienen. Mehr noch: Weil der Gewerkschaftsbund das Geld nicht hat, besorgen die Deutschen auch gleich die Finanzierung. Der ÖGB erhält von der BLB einen Kredit in der Höhe von rund 300 Millionen Euro. Legt man diesem marktübliche Konditionen von derzeit etwa fünf Prozent zugrunde, wird der ÖGB jährlich 15 Millionen Euro an Zinsen zahlen müssen – ziemlich exakt jener Betrag, den die Bawag zuletzt an jährlichen Dividenden ausgeschüttet hat. Aufsichtsratschef Weninger: „Oberstes Gebot war es, dass die Handlungsfähigkeit des ÖGB nicht eingeschränkt werden darf. Das ist gelungen.“

Die vertretbaren Belastungen mögen auch erklären, warum die Gewerkschaft zu Fragen nach der weiteren Zukunft der Bank auf die Bremse steigt. Präsident Fritz Verzetnitsch am Dienstagabend: „Wenn sich eine neue Partnerschaft anbietet, werden wir das gelassen überlegen. Ich will auch einen Börsegang nicht ausschließen. Für eine solche Entscheidung werden wir aber ruhig und gelassen die nächsten Jahre abwarten.“

Neue Allianz. Die aus heutiger Sicht wahrscheinlichste Variante: Der ÖGB gibt mittelfristig wieder zehn bis 15 Prozent an einen strategischen Partner aus dem Versicherungsbereich ab, der im Gegenzug Zugang zum gesamten Filialnetz von Bawag und P.S.K. erhält. Die deutsche Allianz-Gruppe, in Österreich mit der Allianz Elementar vertreten, dürfte dabei keine allzu schlechten Karten haben. Die Häuser unterhalten bereits seit Jahren enge Kontakte. Die Allianz war einst an der Gründung der Bawag Versicherung beteiligt, umgekehrt hat sich die Bank bei der Allianz Pensionskasse ebenso eingekauft wie bei der gemeinsamen Mitarbeitervorsorgekasse. Erst im April 2004 hat die Bawag die tschechische Operation der Allianz-Tochter Dresdner Bank erworben. Ein hochrangiger Gewerkschaftsbanker: „Einer Vertiefung dieser Partnerschaft würden wir nicht im Wege stehen.“

So ungern die Herren im ÖGB weitere Spekulationen nähren wollen, so sehr scheinen sie sich in ihrer neuen Rolle zu gefallen. Johann Driemer, Chef der Gewerkschaft Bau-Holz: „Wir haben gezeigt, dass der ÖGB wirtschaftlich denken und handeln kann. Da kann sich der eine oder andere Unternehmer etwas abschauen.